Gemeinderat,
20. Sitzung vom 25.10.2002, Wörtliches Protokoll - Seite 8 von 106
Die Szene hat sich beruhigt, denn
man ist draufgekommen, dass die Künstler nicht aufgefressen werden, nicht
verschickt werden, nicht eingesperrt werden. Nur in jüngster Zeit hat man wieder
aufhorchen können, denn in jüngster Zeit hat man wieder ein wenig
Agitationspolitik betrieben auf einer Bühne. Man hat ja Sie und StR Marboe
gesehen, wie Sie wohlgefällig Beifall gespendet haben.
Jetzt frage ich Sie:
Stellen Sie sich vor, es wäre umgekehrt gewesen. Ein Laudator wäre
hinausgegangen und hätte gesagt, ich erzähle euch ein Märchen: Wir haben eine
großartige Regierung (GR Harry Kopietz: Das wäre gelogen!), Österreich kann
sich glücklich preisen!, und er hätte aufgezählt, was alles passiert ist -
Abfertigung neu, Kindergeld -, er hätte alles aufgezählt, was diese Regierung
Gutes getan hat, und zum Schluss wäre dann eine Moderatorin hingetreten und
hätte gesagt: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 24. haben wir Wahl.
Bitte gehen Sie alle hin und schauen Sie, dass diese Erfolgsstory fortgesetzt
wird! (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.) Hätten Sie, Herr Stadtrat, da auch so
gelacht und geklatscht?
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte.
Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny:
Ich kann es kurz mit Ja beantworten, aber Sie haben da noch zwei, drei Dinge
angesprochen.
Erstens den Professorentitel für Herrn GR Kopietz:
Also, auch diese Bundesregierung hat lucidi intervalli. Ich finde es durchaus
angebracht, jemanden, der für die Kulturpolitik der Stadt Wien so viel getan
hat, damit auszuzeichnen. (Ironische Heiterkeit bei der FPÖ und bei der
ÖVP.)
Zur Künstlersozialversicherung: Frau Gemeinderätin,
Sie wissen genau, dass das der einzige Punkt aus dem Regierungsprogramm ist,
der zumindest angegangen, aber schlecht gelöst wurde. Fragen Sie irgendeinen
Kulturschaffenden in diesem Land. Der wird Ihnen sagen, es ist schlechter, als
es vorher war, denn die Künstlersozialversicherung, die auch in diesem
Regierungsprogramm steht, die gibt es schlicht und einfach nicht. Es wurde ein
Fonds eingerichtet, über den man relativ bürokratisch, relativ kompliziert,
wenn überhaupt, relativ wenig Geld bekommt, noch dazu weniger, als man vorher
aus verschiedenen anderen Einrichtungen bekommen hat.
Also, selbst dieser eine Punkt, der zumindest
angegangen wurde - denn alle anderen sind nicht einmal dis-kutiert worden -,
ist missglückt.
Und nun noch eine ernste Antwort auf Ihre eigentlich
zugrunde liegende Frage. Wissen Sie, Frau Gemein-derätin - Sie erleben das ja
auch selber oft mit, beispielsweise bei Ehrungen, die wir hier im Rathaus
durchzuführen haben -, ab und an kommt es schon vor, dass dort jemand - sei es
der Laudator oder die Laudatorin, sei es der oder die Geehrte - kritische Worte
findet gegenüber der Regierung, gegenüber der Stadt, gegenüber einer gewissen
Situation, auch mir gegenüber. Und selbstverständlich hält man sich, wenn man
die Offenheit, von der man oft spricht, tatsächlich auch nur ein bisschen ernst
nimmt, an den grundlegenden Grundsatz der Aufklärung von Voltaire: Ich bin zwar
nicht Ihrer Meinung, aber ich werde alles dafür tun, dass Sie diese Mei-nung
äußern können. - Und so werde ich es auch in Zukunft halten.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Danke. - Die letzte Zusatzfrage: Herr GR Kopietz. - Bitte.
GR Harry Kopietz (Sozialdemokratische
Fraktion des Wiener Landtags und Gemeinderats): Die Szene wurde nicht
beruhigt, sondern ausgehungert.
Herr Stadtrat, Sie haben in der Kürze der Zeit, die
Ihnen zur Verfügung stand, einige Spotlights auf die Wüstenlandschaft der
derzeitigen Kulturförderung der derzeitigen blau-schwarzen - Klammer: Chaos- -
Regierung geworfen. Mich würde interessieren, Herr Stadtrat: Was wurde seitens
der Stadt von Ihnen dagegengesetzt und was werden Sie noch entgegensetzen?
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte.
Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny:
Sehr geehrter Herr Gemeinderat!
Das vorher geschilderte Vakuum der Kulturpolitik hat
natürlich in Wien einiges Negatives bewirkt. Dem wurde viel entgegengesetzt.
Wir haben mit 173 Millionen EUR das höchste
Kulturbudget der Geschichte, während der Bund um knapp 12 Prozent gekürzt
hat.
Wir haben Perspektiven und versuchen, durchaus auch
gemeinsam mit allen Interessierten, in der Tat Visionen, kulturpolitische Perspektiven
für diese Stadt zu entwickeln.
Wir strukturieren unsere Theaterbühnen grundlegend
um, und zwar indem wir - das heißt, die Vereinigten Bühnen Wien - uns ernsthaft
mit der Frage auseinander setzen, welches ausdifferenzierte Kulturangebot für
das kulturinteressierte Publikum in dieser Stadt gemacht werden könnte. Das
heißt, dass wir das Theater an der Wien neu gestalten, dass wir das
Raimundtheater und das Ronacher für den gehobenen Unterhaltungssektor öffnen.
Es ist dies - in aller Bescheidenheit gesagt - wahrscheinlich die größte
Theaterreform überhaupt, nicht nur in der Geschichte Wiens.
Wir haben das Mozartjahr mit interessanten
Persönlichkeiten auf die Schiene gestellt.
Wir konnten auch für die Umstrukturierung der
Theater, glaube ich, hochmögende Persönlichkeiten gewinnen.
Wir haben in einem anderen wichtigen Bereich, nämlich
dem des Museums, neu organisiert und auch neu besetzt. Wir werden es auch
inhaltlich neu ausrichten.
Wir sind auch in verschiedenen anderen Bereichen -
ich erwähne natürlich den Karlsplatz - sehr bemüht, Zukunftsthemen anzugehen
und auch zu gestalten.
Dass wir beispielsweise Innenstadtkinos gerettet
haben und vieles andere mehr, möchte ich hier nur anführen.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren, ergibt sich folgendes
Bild: eine schweigsame, zurückgezogene, ängstliche perspektivenlose
Kulturpolitik des Bundes, die auch dem Wiener Kulturleben nachhaltig Schaden
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