Mitschrift
Ich bin Ilona Gusenbauer. Ich bin in Deutschland geboren. Ich bin in Wien aufgewachsen und zur Schule gegangen. Am Ende der Schulzeit habe ich mit Leichtathletik begonnen, diese war ein großer und wichtiger Teil meines Lebens, etliche Jahre. Es ist mir gelungen, große Leistungen aufzustellen im Hochsprung. Ich bin zehnmal österreichische Meisterin gewesen. Ich bin zweimal Europameisterin geworden, einmal in der Halle und einmal im Freien. Und ich konnte einen Weltrekord verbessern, der zuvor zehn Jahre lang gehalten hatte. Das war bei einem schönen, großen Wettkampf in Wien mit sehr, sehr vielen Zuschauern. Ich habe bereits während des Trainings für den Hochsprung Basketball gespielt und bin dann mit zwei verschiedenen Mannschaften insgesamt sechsmal österreichischer Meister geworden, auch im Basketball. Hat mir sehr große Freude gemacht. Mannschaftssport hat einen ganz besonderen Reiz auch. Meine Eltern sind sehr sportlich gewesen in ihrer Jugendzeit. Meine Mutter war Leichtathletin. Mein Vater war Turmspringer und später dann Wasserballer. Und ich verdanke meinen Eltern eigentlich, dass wir ... ahm ... Kinder so eine großartige turnerische Ausbildung, Grundausbildung bekommen haben, als wir schon klein waren. Also ein Handstand auf den Knien meines Vaters war obligat. Auf den Händen gehen konnte ich schon mit fünf Jahren, meterweit. Und das war sicher auch eine tolle Voraussetzung, um später dann den Körper noch weiter auszubilden. Meine Mutti ist Deutsche, durch die Heirat mit meinem Vater dann Österreicherin geworden. Mein Vater ist in Wien geboren. Nach dem Krieg wollte meine Mutter unbedingt nach Wien übersiedeln. War nicht so eine gute Idee, aber es ist halt so gekommen. Die erste Zeit war wahnsinnig schwierig. Ich erinnere mich noch, als ich sehr, sehr klein war, hatten wir eine Wohnung bezogen in einem Rohbau im zehnten Bezirk. Das war nicht illegal, das war sogar gefördert. Aber diese Wohnung konnten wir nicht weiter behalten. Wir kriegten dann von der Gemeinde Wien eine andere Wohnung angeboten, die war in der Nähe vom Augarten, direkt an der Augarten-Mauer. Das war eine ganz tolle Kindheit für mich. Ich hatte ja schon etliche Geschwister zu dem Zeitpunkt, und der Augarten war ein wundervolles Gelände um sich zu betätigen, herumzulaufen, Sport zu machen. Mein Bruder war ständig auf der Wiese Fußball spielen, und was ich nie vergessen werde: Meine Mutter hat sich jeden Tag Zeit genommen um mit uns zusammen, mit den Kindern, irgendwo hinzugehen, Augarten, im Sommer waren wir an der Donauwiese bei der Reichsbrücke. Und in der Nacht hat meine Mutti die Arbeiten gemacht, denn es gab ja damals nicht diese Möglichkeiten wie heute. Wir haben eine Wohnung gehabt ohne Wasser, ohne Klo in der Wohnung, das warme Wasser musste gewärmt werden, und das hat sich mir sehr eingeprägt. Also ein gemütliches Klo in der eigenen Wohnung mit schönem, weichem Klopapier statt Zeitungspapier hat mich geprägt. Ich hab das meinen Enkeln erzählt, die können sich das natürlich überhaupt nicht vorstellen, dass es so was mal gegeben hat. Jedenfalls, durch meine Geschwister hatten wir eine schöne Kindheit. Wenn ich jetzt so viele Jahre später darüber nachdenke, das war nicht einfach, denn es war nix da. Es war gar nix da und in den ersten Jahren an der Mauer beim Augarten waren ja an der Ecke vorne noch die Panzer postiert von den Russen. Die Russen mit den Maschinengewehren sind dort noch an der Ecke gestanden. Und eines Tages eben, im '55er Jahr, verschwanden die alle, nicht? Das war für uns Kinder ein ganz besonderes Erlebnis. Auf einmal waren die Panzer weg, auf einmal waren die Soldaten weg. Was mir natürlich auch noch in Erinnerung geblieben ist, was heute sich auch kein Mensch mehr vorstellen kann, ist, dass arme Leute mit ihren Musikinstrumenten, entweder mit einer Drehorgel oder mit Geigen oder nur mit ihrer Stimme in der Häuserreihe entlang gegangen sind, gesungen und gespielt haben und auf diese Art und Weise sich Geld erbettelt haben. Man hat das Geld dann aus den Fenstern rausgeworfen, nicht? Und meine große Schwester hat das damals auch probiert, weil sie das gesehen hat, und das war so goldig, wie sie ganz, ganz traurig war, weil niemand ihren Gesang belohnt hatte. Ja, und sonst war es natürlich so, dass niemand wirklich Geld hatte. Ich weiß aber sehr wohl, dass schon ein geteiltes Bürgertum da war, denn in der Volksschule gab es sehr wohl Kinder, die gut angezogen waren. Wir selber haben im Sommer bis in den Herbst hinein keine Schuhe angezogen, außer in die Schule und am Sonntag in die Kirche, nicht? Und erst wenn es dann kalt wurde, war klar, dass wir auch Schuhe brauchten. Aber das war alles normal. Es war auch normal, dass wir in dieser Zeit unterstützt wurden mit Dosenkäse, mit Dosen-Maisgrieß und solchen Sachen und eingekauft haben wir in der Taborstraße in einem USIA-Geschäft. Das war eine von den Russen, glaub ich, übernommene Kette, wo man Lebensmittel gekriegt hat. Also es war wirklich eine abenteuerliche Zeit. Als Kind erlebt man es abenteuerlich oder man fürchtet sich. Ich hab mich immer vor den Bunkern im Augarten gefürchtet. Die waren schrecklich unheimlich. Ich hatte damals schon fünf Geschwister. Das Zusammenleben in der kleinen Wohnung in der Scherzergasse war wirklich schon ziemlich mühsam, vor allem für meine Mutti. Für uns Kinder ja nicht unbedingt. Deshalb schrieb meine Mutti an den damaligen Bürgermeister, und der half uns dann, dass wir eine neue Wohnung bekamen in der Oberen Donaustraße in einem großen Gemeindebau zwischen der Schwedenbrücke und der Marienbrücke. Das war eine wirkliche, direkte Hilfe. Meine Mutti hat das oft und oft erzählt, dass Bürgermeister Jonas damals geholfen hat. Ja, das war genau die Zeit, als ich in die Mittelschule kam. Auch diese Zeit ist nicht mehr zu vergleichen mit der heutigen, denn Mittelschule konnte sich nicht jede Familie leisten für ihre Kinder. Von allen meinen Geschwistern war ich die Einzige, die ins Gymnasium ging. Und das war eine Frauenoberschule, hieß das damals. Ja, da war ich acht Jahre in der Kleinen Sperlgasse und gegen Ende der siebten Klasse eben, da kam der Zeitpunkt, wo mich meine Turnlehrerin damals zur Leichtathletik brachte. Während der Mittelschulzeit bin ich dann in der dritten Klasse zum Turnen gekommen und war mit Leidenschaft dabei. Der Turnverein war im dritten Bezirk. Ein ganz toller Turnverein mit sehr, sehr fortschrittlichen Methoden und wunderbaren Vorturnern. Ich hab auch dort Vorturnen gelernt in verschiedenen Kursen. Und am Ende der siebten Klasse hatte ich meinen ersten Wachstumsschub. Ich war da schon zu groß zum Turnen, bin aber als Vorturnerin geblieben. Und genau zu dem Zeitpunkt hatte mich meine Turnprofessorin überredet, bei einem Leichtathletik- Vergleichskampf mitzumachen. Ich hab nur deshalb mitgemacht, weil ich an diesem Nachmittag schulfrei bekommen hatte und bin also auf diesen Sportplatz gefahren. Es hieß, die ersten Zwei qualifizieren sich für einen Vergleichskampf zwischen London, Frankfurt und Wien. Ich war genannt im Hundertmeterlauf, im Weitsprung und im Hochsprung. Der erste Bewerb war der Hundertmeterlauf. Und als Turner oder Turnerin hatte man keine Sportschuhe. Man hat ja barfuß gearbeitet. Die hundert Meter lange, schwarze Aschenbahn barfuß zu durchlaufen war eine Qual für mich, hat mir keinen Spaß gemacht. Dann kam der Weitsprung, den hab ich auch barfuß gemacht. Aber das Springen hat mir Spaß gemacht und ich wurde Zweite. Und dann, der entscheidende Moment meines Lebens: der Hochsprung. Ich war vom ersten Sprung an sofort in den Hochsprung verliebt. Ich hab auch keine Schuhe angehabt, bin 30 oder 40 Mal gesprungen, weil ich ab 80 Zentimeter jede Höhe gesprungen bin, bis ich dann den Hochsprung gewonnen hatte. Und da hat mich auch eine spätere Kollegin dann angesprochen, ob ich nicht zum W.A.C. kommen möchte. Das war einer der führenden Leichtathletikclubs in Wien. Und da bin ich mit Freude hingefahren, hingegangen, ich hab ja nie Fahrscheine gehabt, ich bin alles zu Fuß gelaufen, und da hat meine Leichtathletikzeit begonnen beim W.A.C. in Wien. Von allen leichtathletischen Disziplinen hat mich der Hochsprung am allermeisten fasziniert. Nun war das aber so, dass man ja damals in den Sandhaufen sprang. Das heißt, die Technik natürlich war eine völlig andere als heute. Man hat ganz normal begonnen mit einem Schersprung. Den hat man nicht lernen müssen, da ist man einfach abgesprungen und hat geschaut, dass man über die Latte kommt. Die nächste Entwicklung, Steigerung der Technik war schon ein Rollsprung. Das muss man sich so vorstellen, dass man eigentlich gehockt war, aber eigentlich schräg gelegen ist. Und die fortschrittlichste und an- spruchsvollste Disziplin oder Technik im Hochsprung war der Bauchwälzer, englisch Straddle, der international natürlich von den Spitzenleuten gesprungen wurde, das heißt von den Männern. Bei den Frauen war das nicht so. Frauen sind zu dem Zeitpunkt über- wiegend den Rollsprung gesprungen. Nur die damalige Weltrekordhalterin zu der Zeit, als ich angefangen hatte, war eine Ausnahmeerscheinung. Ich habe sie später selber kennengelernt, Iolanda Balas, über 1,90 groß, unglaublich lange Beine. Ich glaube, ihr Schritt war da, wo ich meine Achseln hatte. Sie hielt den Weltrekord mit 1,91 m, als ich 1964 begann hochzuspringen. Der österreichische Rekord war damals 1,70 Meter, gehalten von Ulla Flegel und später Liese Prokop. Liese Prokop und Ulla Flegel beherrschten den Rollsprung. Bei mir war es so, dass ich die erste Zeit natürlich auch den Rollsprung gelernt hatte, und dann ist mein späterer Ehemann ins Spiel gekommen und er hatte mir den Bauchwälzer beigebracht. Ein Jahr nach Beginn meiner Leichtathletikzeit bin ich dann auch schon den österreichischen Jugendrekord mit diesem Stil gesprungen, 1,65 Meter. Ja, und den Sprung musste ich dann auch perfektionieren, denn das ist eine so technisch schwierige Sache, das wirklich ein Anlauf, der um zehn Zentimeter zu kurz oder zu lang ist, sich auswirkt beim Überqueren der Latte, nicht? Der Sprung selber war auch sehr schwer zu erlernen. Das würde vielleicht jetzt ein bisschen zu weit führen ... Das gestreckte Schwungbein oder gebeugte Schwungbein ... Mein damaliges Vorbild, um diesen Sprung zu erlernen und abzuschauen, war der damalige Weltrekordhalter, Waleri Brumel. Und das muss man sich vorstellen, heute noch, ja: Seine Bestleistung war damals 2,28 Meter. Nun war das alles eine Zeit, in der man das Training noch gar nicht so steuern konnte. Man hat mit dem eigenen Körpergewicht gearbeitet, das Steuern von Form bekommen hat darin bestanden, dass man weniger oder mehr trainiert hat, nicht? Das war alles sehr schwierig. Aber Waleri Brumel war einer der Ersten, der als Hochspringer mit Gewichten gearbeitet hatte. Und mein Mann, also wir haben ja 1967 geheiratet, hat alles mögliche Material beschafft, damit wir das alles in Erfahrung bringen konnten, wie der trainiert, wie der Sprung genau ausschaut, wie er das alles aufbaut und so. Das war also ganz, ganz entscheidend Filme zu bekommen, damit man das kontrollieren kann. Unsere eigenen technischen Möglichkeiten waren sehr bescheiden. Das Maximum war, sogar bis ich aufgehört hatte zu springen, waren Aufnahmen von Acht-Millimeter- oder Super-Acht-Millimeter-Filmen, die man ja erst viele Tage später dann entwickelt zurückbekam per Post. Wir haben dann Ringfilme daraus gemacht und verglichen, was schlecht ist und was in Ordnung ist und so, das war die Möglichkeit. Aber die Videotechnik und so weiter, das war damals alles noch nicht da. 1965 konnte ich den österreichischen Jugendrekord verbessern auf 1,65 m. Ab 1966 bin ich insgesamt zehnmal österreichische Meisterin geworden. Den österreichischen Rekord habe ich verbessert von 1,71 bis 1,93 Meter, das ist meine höchste Höhe. Ein österreichischer Rekord natürlich hat schon eine besondere Bedeutung, und zwar die 1,92 Meter. Das war nämlich in erster Linie Weltrekord. Das hatte insofern Aufsehen erregt, weil ich eben einen zehn Jahre alten Weltrekord verbessern konnte an diesem Tag. Unvergessen, es war im Rahmen eines Fußballspiels, Schweden - Österreich, und das war das Sportpressefest. Ich hatte eine fantastische Zuschauerkulisse an dem Tag. Die 1,92 Meter haben mir dann später auch eingebracht, dass ich in der Sportlerwahl international Zweite der Welt wurde, in Österreich zur Sportlerin oder Sportler des Jahres gewählt wurde. Und das sind natürlich schon Sachen, die nicht jeder Sportler erlebt oder erleben kann. Zur Entwicklung der eigenen Leistung hat natürlich dazu beigetragen, dass das Krafttraining für Frauen eingeführt wurde. Das war genau zu dem Zeitpunkt, als ich mein Töchterchen Ulla im Jahr 1968 auf die Welt gebracht habe. Danach habe ich auch begonnen, so wie alle anderen, mit Gewichten zu trainieren und hab mich wirklich unglaublich verbessert. Mein Rekord bis dahin war 1,74 Meter, und es ist mir gelungen in dem Jahr noch, mit Baby, den Rekord auf 1,80 Meter zu verbessern. Also das Krafttraining hat die Leichtathletik natürlich, die Frauenleichtathletik im Besonderen, total verändert. Man stärkt damit die Muskulatur, die man für den Sport braucht. Was sich sonst noch verändert hat zwischen damals und heute, das will ich gar nicht alles aufzählen. Allein von medizinischer Betreuung über Ernährung, alles was einfach zum Körper dazugehört, das ganze Umfeld, die Möglichkeit Sport unbelastet zu machen, das hat sich so gewaltig verändert, dass man sagen kann: Wir waren Amateure. 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko machte ein Hochspringer Furore und veränderte die Welt der Hochspringer, weil er einen völlig neuen Hochsprungstil kreierte. Das war der sogenannte Fosbury Flop. Eine Möglichkeit für großgewachsene, weniger kräftige Springer als wir das damals waren, weil man beim Fosbury Flop schneller anlaufen kann. Man muss um hoch zu springen, musste man nicht so tief gehen, und für dieses Tiefgehen und Schwungholen brauchte man eigentlich die ganze Kraft. Also das ist eher so ein Weitsprung, Weit-Hochsprung und technisch viel, viel schneller zu erlernen. Jedenfalls war jetzt für all diejenigen Hochspringer, die wir gebraucht hatten, um zu gewinnen, war endlich eine Möglichkeit gegeben, ihre körperlichen Hebel und Voraussetzungen auch optimal ausnützen zu können. Was natürlich bei Mädchen sich besonders auswirkt, weil bei Mädchen oder bei den Damen die Körpergröße einfach maßgeblich entscheidend ist, wie hoch man springen kann. Ich bin elf, zwölf Zentimeter über meine Körpergröße gesprungen, Männer können 30, 40 Zentimeter höher springen. Also das ist einfach von den 30 Prozent mehr Möglichkeiten, die der männliche Körper hat gegenüber den Frauen, nicht? Wenn ich aber zu groß bin, schaffe ich es nicht, diese Körperspannung aufzubauen und zu explodieren, um eine Höhe zu bekommen. Also war der Fosbury Flop für den Frauenhochsprung ganz bedeutend. Und, was noch dazukommt: Der hätte diesen Sprung nicht machen können, wenn nicht gleichzeitig die Gegebenheiten sich verändert hätten. Anstatt Sand gab es auf einmal Schaumgummi-Blöcke. Und durch den Fosbury Flop wurden die, leider Gottes, für mich leider, immer höher und immer höher, sodass ich Probleme bekommen hab, meinen Sprung technisch zu vollenden. Ich hab das abwandeln müssen dann, während für die Flopper es ideal war, gemütlich auf den Rücken zu landen. Also, so hat jede Zeit ihre Vorteile und Nachteile. Wenn ich umschreiben sollte, was meinen Hochsprungerfolg ausgemacht hat, dann würde ich so sagen: Ich war sehr verliebt in den Hochsprung. Ich war Gott sei Dank nicht fanatisch, weil das nicht mein ganzer Lebensinhalt war. Ich hab Sport wahnsinnig gerne gemacht, aber ich hab ja mein Töchterchen gehabt und bin dadurch auch immer auf dem Boden geblieben, nicht? Wenn ich zu wenig Zeit hatte oder mit dem Kopf zu sehr wo anders war, habe ich das sofort an ihrem Verhalten gesehen. Also ich verdanke meiner Tochter, dass ich eine sehr gute Einstellung zum Sport bis zum Schluss beibehalten konnte. Was aber ganz wesentlich war, nicht nur dass ich von der Natur mit guten Hebeln ausgestattet war für den Sprungstil, sondern dass meine Mentalität mitgespielt hat. Ich konnte mich nur im Wettkampf steigern. Im Training ... Ich habe es sehr seriös betrieben, ich hab mich verantwortungsbewusst vorbereitet, sehr akribisch, mit Trainingsbuch, mit allem Drum und Dran, aber ich konnte im Training keine Leistung bringen. Meine beste Leistung im Training waren vielleicht 1,70 Meter. Aber sobald es drum gegangen ist, dass ich im Wettkampf gestartet bin, war die Welt anders. Was auch den Hochsprung natürlich besonders interessant macht, für den Wettkämpfer selber ist, dass man ja unmittelbar vor seiner eigenen Leistung steht. Die Latte liegt auf 1,90 Meter und entweder ich schaffe es oder nicht. Das ist der große Unterschied, psychisch, zu anderen leichtathletischen Disziplinen, nicht? Ich bin mir immer bewusst, was ich jetzt leisten werde. Dazu, glaube ich, braucht man schon auch einen ganz bestimmten Kopf. Ich habe eine damals ostdeutsche Leichtathletin gekannt, die im Training unglaublich hoch gesprungen ist. Zu einer Zeit, als die Mädchen 1,80 Meter bewältigen konnten, ist sie im Training schon 1,87 Meter gesprungen, aber im Wettkampf keine 1,80 Meter. Das heißt, sie war dem Stress nicht gewachsen und ich habe den Stress gebraucht. Wobei ich immer zuerst geschaut hab, dass ich mit meiner eigenen Leistung zufrieden war und mich dann orientiert hab: Wo steh ich denn damit in der Konkurrenz? Also es hat mir Spaß gemacht. Besondere Erlebnisse für mich waren natürlich internationale Wettkämpfe. Meine allerersten Europameisterschaften hab ich erlebt im Jahr 1966 in Budapest. Ich bin damals in die Arena gekommen. Das Stadion war voll und ich war fix und fertig. Diese Atmosphäre hat mich damals nicht angestachelt, sondern gelähmt. Ich habe geglaubt: Um Gottes Willen, die schauen mir alle zu, das ist ja peinlich, das ist schrecklich, ich kann das ja noch gar nicht so gut. Die damalige Weltrekordlerin war am Start, lauter große Namen, und ich war so verstört, dass ich mir den Anlauf auf die falsche Seite ausgemessen hatte. Ich bin auf der Waage gestanden, hab nicht gewusst, was los ist, das schaut alles so anders aus, und hab dann hilfesuchend auf die Tribüne geschaut, und Roland hat mir dann gedeutet und dann war mir klar: Ich hab mir vor lauter Aufregung den Anlauf falsch ausgemessen, nicht? Ich hab mich dann aber ganz gut gehalten. Die ganzen Umstände waren aber auch noch sehr komisch. Ich hab nicht gewusst, dass ich mich qualifiziert hatte, war enttäuscht, dass ich nicht wirklich gut gesprungen bin, hab trainiert und dann kam ein Funktionär, der sagte: "Warum trainierst du, du musst ja dann im Finale starten?" Also, das war damals alles wirklich noch amateurhaft, rundherum. Jeder einzelne internationale Wettkampf hat Spuren hinterlassen. Aber von allen die Bedeutungsvollsten waren für mich zunächst einmal die Halleneuropameisterschaften in Wien. Das waren die allerersten Halleneuropameisterschaften, die es gegeben hat. In der Stadthalle, eine ganz wundervolle Atmosphäre. Sehr, ich möcht sagen, familiär, intim. 6000 Zuschauer direkt an der Wettkampfstätte. Es ist mir damals gelungen, Europameisterin zu werden mit einem neuen Hallenweltrekord, also man sagt ja nicht Weltrekord, Hallenbestleistung, aber es sind Hallenweltrekorde, nicht? Und ein Bild, das ich nicht vergessen werde: Am Tag nach dem Wettkampf bin ich zur Stadthalle gefahren, entweder hab ich irgendwas vergessen, abgeholt oder ein Meeting gehabt, und auf der Straße lagen die Tageszeitungen mit diesen Schlagzeilen: Ilona, Weltrekord, Europameisterin. Das war so komisch, das ist im Kopf und geht nicht weg. Die nächsten großen Europameisterschaften waren dann im Jahr 1971 für mich in Helsinki. Da wurde ich ganz souverän Europameisterin. War auch eine kleine Vorgeschichte: Wir waren damals 56 Springerinnen am Start in zwei Gruppen, um uns zu qualifizieren, und ich hatte zu wenig Anlauf. Ich war mitten auf der Laufbahn und zu dem Zeitpunkt, so wie die Zeitpläne damals ausgearbeitet waren, fand zur gleichen Zeit der 10.000-Meter-Lauf statt. Und ich hab gewusst, das geht nicht, ich kann nicht meine Marke mitten auf der Laufbahn haben, wenn dann die Läufer kommen, wird sich das nicht ausgehen. Ich war damals so willig und fest entschlossen, dass ich zum Präsidenten der internationalen Athletik Federation heißt das, glaub ich ... IAF gegangen bin, gesagt hab: "Ich habe Anrecht auf zwölf Meter Anlauf, das steht in den Statuten." Und die hab ich dann auch bekommen. Es mussten alle 56 Mädchen ihre Marken verändern, weil die Anlagen verschoben wurden. Also, ja, das gehört eigentlich auch zu meiner Geschichte dazu. Dann bin ich im Finale gewesen und bin spät am Abend, elf Uhr nachts, als es schön kühl war, Europameisterin geworden. Was ich sonst noch an inter- nationalen, wunderschönen Erlebnissen mitnehmen darf in mein Leben, das waren die beiden Erdteilkämpfe Amerika gegen Europa. Die hat es nur zweimal gegeben. Das waren ganz beeindruckende Erlebnisse für mich. Die zwei Besten von jedem leicht- athletischem Bewerb von ganz Amerika gegen die zwei Besten von Europa. Die haben einmal stattgefunden in Montreal und einmal in Stuttgart. Danach hat es das nicht mehr gegeben, weil man hat später alles verändert. Die größten Wettkämpfe waren Europameisterschaften oder Olympische Spiele. Die Erdteilkämpfe waren eingeschoben, um eben mehr internationales Flair zu schaffen. Heute gibt es diese Diamond League und so quasi Weltcup-Bewerbe. Olympische Spiele hat es zweimal für mich gegeben in meinem Leben. 1968 in Mexiko, da war mein Töchterchen erst ein paar Monate alt. Ich hatte mich verbessert und quali- fiziert für die Olympischen Spiele, und bin nicht mit den größten Erwartungen hingefahren, sondern war sehr, sehr glücklich, dass ich teilnehmen konnte. Und ... sehr wohlgefühlt habe ich mich dort nicht. Es war nämlich so, dass zum ersten Mal die Laufbahnen modern ausgestattet waren mit Kunststoff. Ich hatte umlernen müssen von dem Setzen des Absprungfußes, der in der Asche einen besonderen Halt gebraucht hatte, indem man ihn etwas quer gesetzt hat, auf einen geraden Absprung. Der Umstieg hatte mir zwischen- zeitlich Probleme bereitet im Knie. Das ist ja ganz klar, wenn der Fuß ausgedreht ist und der ganze Druck von einer Tonne kommt auf das Knie beim Absprung, das muss sich schlecht auswirken. Und so hatte ich in Mexiko ziemliche Knieprobleme. Hab das dann beim Wettkampf selber ganz gut hingekriegt, aber am Wettkampftag hat mich die Rache des Montezuma voll erwischt. Es war ein bisschen unglücklich, aber ich wär auch nicht besser gesprungen, wenn ich wirklich ganz gesund gewesen wäre. Außerdem habe ich sehr gelitten, weil ich einfach Babyentzug hatte. Ich konnte aber als Achte die Spiele beenden. Achter Platz ist was Tolles. In Mexiko waren die Spiele ein ganz großes Ereignis für die Athleten. Das Dorf war abgegrenzt durch einen hohen Zaun, die Autobusse sind draußen vorbeigefahren, die Japaner sind drinnen gesessen und haben gefilmt und fotografiert. Und ein ganz lieber italienischer Freund, er war Hürden-Europameister, hat sich hingesetzt mit einer Tafel und draufgeschrieben auf Englisch: "Bitte nicht füttern!" Am Abend konnte man in der Umgebung von Mexiko überall hingehen, überall wurde gefeiert, Party gefeiert. Nur ich war sehr bedrückt, weil ich in Mexiko-City in der Stadt fürchterlich gelitten habe durch das Bild der vielen armseligen Mütter, die mit ihren Kindern auf Decken bis nachts ihre Nüsse verkauft haben. Das hat mich fertiggemacht, auch, weil mein Baby nicht bei mir war. Das ist auch ein Bild, das ich mitgenommen hab. Das hat sich eingebrannt in meinen Kopf. Die zweiten Olympischen Spiele, die ich erleben durfte, waren in München 1972. Da hatte sich alles sehr verändert zwischen Mexiko und München. Ich war Favorit. Nur ... Es gibt immer ein "Nur" bei jedem Sportler. Mein "Nur" war, dass in dem Winter vor den Spielen wurde meinen Trainingsstätte umgebaut. Und ich hatte riesige Probleme, eine Trainingsstätte zu finden, wo ich genug Krafttraining machen konnte. Ich habe anstatt im November erst im April das Aufbautraining begonnen, und war mir nicht sicher, ob ich wirklich Hochform erreichen würde. Hätte es in München diese großen Bildschirme gegeben, so wie sie heute üblich sind, wo man hinaufschauen kann und dann in Zeitlupe sehen kann, was man gerade vollbracht hat, dann wäre ich ... weiß ich nicht, wie der Wettkampf ausgegangen wär. Aber so war ich ein bisschen verunsichert. Zu diesem Zeitpunkt waren schon alle Flopper, die Mädchen, die den anderen Stil gesprungen sind, waren im Vormarsch, und die konnte ich absolut nicht einschätzen. Ich war noch Führende und Favoritin, aber ich habe genau gespürt, diese Mädchen kann ich nicht einschätzen. Alle, die noch den Stil, den Bauchwälzer, gesprungen sind, die konnte ich einschätzen, da wusste ich wie sich der Wettkampf wahrscheinlich entwickeln würde. Aber die Flopper waren unberechenbar. Und genau das ist dann eingetroffen. Die 16-jährige Ulrike Meyfarth, die damals nicht einmal wusste, wie hoch der Frauenweltrekord liegt, ist Olympiasiegerin geworden. Gefeiert, zurecht. Als Deutsche in Deutschland, das war natürlich ein Riesenfest und für mich persönlich war es einer meiner größten Wettkämpfe - wirklich Kämpfe - von allen, denn ich hatte einen schlechten Tag. Ich habe gehört, was Leute auf den Rängen zueinander gesprochen hatten. Ein Satz, den ich nie vergessen werd: "Hörst Franzi, bring mir Würstl mit!" Hab ich gehört. Am Tag vorher hätte weiß Gott was passieren können, ich war besser beieinander. Aber es war ein Pech. Und deshalb bin ich bis zum heutigen Tag total glücklich, dass ich die Bronzemedaille erreichen konnte, erringen konnte. Der Sport ist eine Bühne, wo für alle teilnehmenden Sportler alles gleich ist. Das hab ich sehr geschätzt als Sportler, dass meine 1,90 Meter überall 1,90 Meter sind. Der Sport ist eine Sprache, die alle Sportler der Welt gleich verstehen. Wobei ich sagen muss, die Punktevergabe ist eine andere Sache. So hatte ich das Glück, in Zentimetern gemessen zu werden. Und Sportler untereinander sind zwar Konkurrenten, aber sind Freunde. Bis zum heutigen Tag habe ich Freunde, international. Eine sportliche Konkurrentin aus der damaligen DDR, wir schreiben uns nach wie vor E-Mails und sie hat mich besucht. Also das ist eine wunderschöne Welt. Diese Welt bietet leider Gottes auch die Möglichkeit ... .. Bühne für Politik. Das möchte ich jetzt gar nicht beurteilen, aber ich habe es leider zweimal miterlebt, einmal in Mexiko, als die Black-Power-Bewegung die Olympischen Spiele dazu benützte, um Zeichen zu setzen. Und das zweite Mal eben der Terrorüberfall in München. Bei beiden olympischen Spielen haben tragische Ereignisse stattgefunden. Während man als Sportler natürlich sehr fokussiert ist auf seine eigenen Stunden und Tage und Trainingseinheiten, haben sich halt am Rande unglaubliche Dinge abgespielt. Wir waren in Mexiko schon zwei Wochen vorher dort vor Beginn der Spiele, weil ich aufgrund der Mutterschaft kein Höhentraining mitmachen konnte. Ich habe dort am Rande die Studenten- demonstrationen erleben müssen, die blutigst niedergeschlagen wurden, in der Weltpresse eigentlich kein Echo gefunden haben. Viel mehr hat dann gezählt, oder wurde sich von der Presse her konzentriert auf die Black-Power-Bewegung, die sich ausschließlich auf zwei Sportler bezogen hat, die mit ihren schwarzen Handschuhen und erhobener Faust zur Siegerehrung halt Aufsehen erregt haben. Das andere entsetzliche Ereignis hat während der der Olympischen Spiele in München stattgefunden und bis zum heutigen Tag hab ich versucht, ein Tuch darüber zu decken, damit ich nicht mehr dran erinnert werde. 1976, glaube ich, wurde das Dusika-Stadion gebaut, das Hallenstadion neben dem großen Prater-Stadion, und seit der Zeit kann man in Wien Leichtathletik in der Halle machen. Das ist was ganz Tolles, aber ich glaube, dass in der heutigen Zeit sehr viele Möglichkeiten da sind für Kinder Sport zu machen, andere Möglichkeiten. Wenn wir als Kinder in den Park gegangen sind oder auf der Straße spielen konnten, weil noch keine Autos gefahren sind, so können die Kinder heute diverse Fun-Hallen aufsuchen, besuchen, wo sie auch die neuen, jugendlichen modernen Sportarten ausüben können. Skateboard-Rampen und was weiß ich. Also alles, was die Kinder der heutigen Zeit besonders fasziniert. Und ich glaub, dass es von der Stadt Wien her ganz großartig ist, dass sie solche Hallen zur Verfügung stellt, denn was kann ich sonst tun als Kind: In einen Verein gehen, irgendwo turnen, irgendeine Sportart machen. Da bin ich gebunden an eine Mitglied- schaft, an Mitgliedsbeiträge usw., also hat die Stadt Wien, glaub ich, ganz gut reagiert und solche Sportmöglichkeiten geboten, nicht? Wenn ich selber denke: Skifahren in Mauerbach. Wunderbar. Oft genug gemacht und auch mit den Kindern dort gewesen. Also da hat Wien schon ganz besonders viel getan, glaub ich, weil es sonst sehr schwierig geworden ist für Kinder in der heutigen Zeit irgendwo frei Sport zu machen. Heute bin ich in Pension, wohne ganz in der Nähe von Wien und kann nur jedes Mal staunen, wenn ich einen Termin in Wien habe, wie Wien sich verändert hat. Wien ist eine ganz andere Stadt, als ich sie als Kind oder als Schülerin erlebt hab. Ich hab viele Städte international gesehen und kann nur sagen: Ich staune. Ich staune immer wieder. Freundlich, hell, Parks, grün. Und selber lebe ich hier eben auch im grünen Umfeld, und kann jetzt, wo Zeit ist, mich meinem Hobby widmen. Ich bin sehr gern kreativ unterwegs, war immer kreativ, hab mein ganzes Leben lang gezeichnet, und jetzt kann ich das halt intensiver machen. Ich hab in der Zwischenzeit gelernt, ein bisschen mit Ölfarben umzugehen, und hab die Möglichkeit hier einmal im Jahr Bilder auszustellen. Das ist auch interessant. Was ich aber am allerliebsten bin, abgesehen vom Schnitzen, Mosaik-Machen, Malen und Zeichnen, ich bin am liebsten Oma. In meinem Sportlerleben war ein ganz bedeutender Moment, als ich das erste Mal Mitglied des österreichischen Nationalteams war. Im Flugzeug bekam ich eine Nadel angesteckt, die hab ich natürlich mir aufgehoben. Die Steigerung dessen ist, wenn man Mitglied der Olympiamannschaft ist. Ich habe auch in München extra die Fahrt auf mich genommen, weil ich bei der Eröffnungsfeier dabei sein wollte, weil ich's in Mexiko schon erlebt hab hinter der eigenen Fahne zu gehen, von weiß Gott wie vielen Fernseh- stationen und so weiter übertragen. Ich hab mir ja selber auch andere Winterspiele und so angeschaut und gewartet, bis die Österreicher einmarschieren und kommen. Bei Olympischen Spielen dabei zu sein ist eine ganz, ganz bedeutende Sache in einem Sportlerleben, und ich verteidige alle, die dabei sind und jetzt nicht eine Medaille machen, weil sie sich alle qualifizieren mussten. Sie haben sich die Teilnahme verdient. Und ich lass nichts über niemanden kommen, auch wenn er 28. wurde, weil er wie gesagt die Teilnahme verdient hat. Nun ist der Gipfel, wenn man am Podest steht, für das eigene Land auf dem Podium steht und die Nationalhymne, die Bundeshymne gespielt wird. Da hab ich jetzt eine Gänsehaut, wenn ich dran denke. Das ist einfach der größte und bewegendste Moment im Sportlerdasein.
Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Ilona Gusenbauer (Hochspringerin)
Wir und Wien - Erinnerungen Die 1947 geborene Hochspringerin Ilona Gusenbauer hat österreichische Sportgeschichte geschrieben: Am 4.September 1971 brach sie vor 48.000 begeisterten Zuschauern im Wiener Praterstadion mit 1,92m den Weltrekord im Damenhochsprung, den die Rumänin Iolanda Bala zehn Jahre lang gehalten hatte.
Länge: 45 Min. 09 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien