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Mein Name ist Ewald Plachutta. Ich bin in Wien in der Porzellangasse 45 geboren. Meine Familie ist zurückreichend für mich bis zum Urgroßvater. Den hab ich übers Internet entdeckt. Ich wusste zwar, dass es ihn gibt und wusste den Geburtstag und den Sterbetag, aber ich wusste nicht um seine Bedeutung. Er hatte den Namen Josef Plachutta. Oder Josip Plahuta. Und zwar, das Wort Plachutta wird im Slowenischen, er war Slowene, nicht mit CH geschrieben, sondern nur mit H und einem T. Und das Interessante an ihm war oder ist, dass er ein weltberühmter Schachkomponist ist. Gewesen ist. Und jeder fragt mich natürlich: Was bedeutet Schachkomponist? Kann sich niemand was vorstellen. Also das ist ein Mann, der Schachzüge konstruiert. Eröffnungen oder irgendwelche prägnanten, äh, Züge. Und für diese Sache war er ein Unsterblicher, wie im Internet steht. Er war damals unter den 200 bedeu- tendsten Persönlichkeiten Europas. Also mein Vater war zwischen den zwei Weltkriegen Leiter eines großen Sägewerks in Göss in der Nähe von Leoben, im Murtal, Liesingtal. Und meine Mutter war sesshaft in Mautern, wo sie auch geboren war. Beide sind ... .. 1896, 1897 geboren. Und ich bin das letzte Kind aus dieser Ehe. Also mein Bruder ist 13 Jahre älter, meine Schwester sechs Jahre älter. Und mit Kriegsbeginn begann dann eine Übersiedelung nach Wien. Was meiner Mutter sehr entgegenkam, weil sie war eine ausgezeichnete Pianistin. Sie war kulturell sehr interessiert, mein Vater ebenso. Ich hab das Glück gehabt, eine intelligente und pflichtbewusste und geistig hochstehende Familie zu besitzen. Und das ... Also diese ersten Lebensjahre haben mich sehr geprägt. Das ist mir bei meiner späteren Entwicklung sehr zugutegekommen. Nach dieser Übersiedlung nach Wien bin ich am 16. Juni 1940 geboren. Ich war eine Hausgeburt. Und wir haben uns sehr wohlgefühlt. Es war eine Wohnung mit einem Standard, den man eigentlich nach dem Krieg in weiten Bereichen Österreichs nicht vorgefunden hat. Wir haben Badezimmer gehabt, Warmwasser, es hat Telefon gegeben. Der 9. Bezirk war mit einer sehr guten Klientel besiedelt. D.h. Rechtsanwälte, Ärzte und so weiter. Es war auch von der Bausubstanz ein sehr, sehr schöner Bezirk. Und vis-à-vis war ein Greißlerladen. Der hat Langsteiner geheißen. Und das ist insofern interessant, ich muss ein bissl ausschweifen: Wie ich dann 1958 wieder nach Wien zurückkehrte und ins Hotel Astoria kam, war ein Stubenmädchen, und die fragte mich, ob ich was mit der Familie Plachutta zu tun hab. Weil sie kennt mich als Kleinkind, und sie kannte meine Mutter, die täglich einkaufen kam. Und es gibt dann noch ... Also ich hab ja sehr viel damals musikalisch mitbekommen. Durch die Musik meiner Mutter und durch Schallplatten. Und kann mich noch ganz genau erinnern: Da waren wir auf Besuch, und da gab's einen Schlager. "Hoch droben auf dem Berg". Und das hat ... Ich hab jetzt nachgeschaut, das hat das Rudi-Schuricke-Trio gesungen. Und das ist mir bis heute musikalisch noch genau in Erinnerung. Und dazu komm ich dann später, wie ich dann nach Mautern wieder kam, wie sich das abgespielt hat. Ähm, ich sprach nach der Schrift. Und wie das dann in Mautern bei der Rückkehr war, wo ich ja früher nicht war, sondern nur meine Eltern und Geschwister. Na ja, es war dann so: Das Kriegsende war sichtbar. Dass der Krieg anders ausgeht wie von den Obrigkeiten prognostiziert. Die andere Sache ... Und die Bevölkerung war meines Wissens natürlich sehr besorgt, was kommen wird. Die Russen, also die Rote Armee stand vor der Tür. Vorher gab's massivste Bombenangriffe, die ich eigentlich nicht wahrgenommen hab als Kind. Das hat aber dann ... Mein Vater kam schon aus dem Krieg zurück, und das war das Signal, Wien zu verlassen. Und es war ja das Haus in Mautern in der Steiermark vorhanden, das im Besitz der Großmutter war. Und wir sind dorthin geflüchtet, und es war aber ausgemietet. Wir konnten keinen Unterschlupf finden im eigenen Haus. Und sind dann weiter geflohen nach Liezen. Und sind dort in einem Hotel untergekommen. Es waren zwei Zimmer zur Verfügung. Und die ... Also die Flucht hab ich sehr massiv und sehr dramatisch miterlebt. Da sind ganze Karawanen, es hat in Regen ... Der Regen war massivst, und ... Wir sind dann da bei Gaishorn, Rottenmann hinaufgefahren. Toiletten natürlich keine. Und ich weiß noch ganz genau, ich hab dann zu meiner Mutter gesagt: "Mutti, das ist gar nicht schön hier." Wir sind in einem Hotel unter- gekommen, hab ich schon geschildert. Ich hab ein einziges Spielzeug gehabt. Und das war ein Glied von einer Fahrradkette. Und mit dem hab ich, weil natürlich auch die Kinder geprägt waren vom Krieg und von dem, was geschildert wurde ... Mit dem hab ich Panzer gespielt den ganzen Tag. Zum Essen gab's nicht sehr viel. Und meine Mutter war da sehr talentiert im sogenannten Hamstern. Es war noch ein Kilo Kakao vorhanden und etwas Butter. Und wenn mein Vater schlief, dann hat sie heimlich für uns Zucker, Butter und Kakao vermischt und hat's den Kindern zu essen gegeben. D.h. mein Bruder war ja noch im Krieg. Man wusste gar nicht, wo er war. Es hat sich dann herausgestellt, dass er in Kriegsgefangenschaft geraten war. Und nach ca. drei Monaten sind wir wieder nach Mautern. Weil das war nicht haltbar. Meine Großmutter ist dann oben verstorben in Liezen. Das Grab haben wir nie mehr gefunden. Wir sind nach Mautern zurückgekommen, da war dann ein Zimmer frei. Und da ist dann die ganze Familie untergebracht worden. Also die, die vorhanden waren. Zwei waren ja nicht da. Also 1945, die Rückkehr nach Mautern ... Das war für mich als Kind, da ich dann Gleichaltrige als Spielgefährten hatte, ein Problem. Und zwar ein sprachliches Problem. Weil ich wurde erzogen, nach der Schrift zu sprechen. Und die ganzen Buben dort haben natürlich im übelsten steirischen Dialekt gesprochen. Und da war ich ein Außenseiter. Und verspottet, natürlich. Und zu allem Überdruss hab ich dann gesagt, ich muss ihnen was vorsingen. Und dann hab ich ein Lied vom Richard Tauber, das ich so oft gehört hab, gesungen. "Drei rote Rosen schenk ich dir". Da haben die Buben halt gesagt: (steirisch:) "Schaut's euch an den Trottel, was der da singt!" "Drei rote Rosen schenk ich dir!" Also das war die große Erheiterung. Aber wie Kinder halt sind, man akklimatisiert sich auch sprachlich sofort. Ich sag einmal, nach 14 Tagen hab ich wahrscheinlich genauso ur-steirerisch oder ur- steirisch gesprochen wie die anderen. 1946 war die Einschulung. Und ich hab das Glück gehabt, eine wunderbare Lehrerin zu haben. Die ist uns sehr alt vorgekommen, wie halt Jugendliche oder Kinder immer auch 24-Jährige bereits als alt ansehen. Und sie hat uns in einer Weise unterrichtet ... Also wenn man heute hört, was das alles für Probleme mit sich bringt ... Wir haben im Nu Lesen, Schreiben, alles gekonnt. Und sie war eine hervorragende Pädagogin. Und wir waren alle verliebt in sie. Egal ob Mädchen oder Bub. Und jeder hat als Liebesbezeugung seine Jause vorne hingelegt, auf ihren Schreibtisch, und natürlich konnte sie nicht so viele Brote essen. Aber es ist halt vorne gelegen. Was sie dann damit gemacht hat, weiß ich nicht. Aber es war eine grenzenlose Liebe zu ihr, und sie hat mich vier Jahre begleitet. Das Tragische war, dass sie bei ihrem ersten Kind verblutet ist. Und ja ... Aber das ... Also mich verbinden solche Menschen immer in Erinnerung. Also die sterben nie. Und jetzt rückwirkend muss ich noch erzählen: Mein Bruder ist, ich nehme an, 1947 aus der amerikanischen Gefangenschaft zurückgekommen. Und es war ein sehr bezeichnendes Erlebnis. Weil ich ... Meine Mutter war außer Haus. Und ich saß unten bei einer Nachbarin, die bei uns im Haus gewohnt hat. Und auf einmal geht die Tür auf, und es kommt ein junger Soldat herein. Mit so einem langen, wie sagt man ... .. Kunststoffmantel oder was immer, so ein Wehrmachtsmantel. Und ich hab ja gar keine Erinnerung an meinen Bruder gehabt. Und auf einmal sagt er zu mir: "Ich bin's, dein Bruder Egon." Ja. Und dann kommt vielleicht eine Viertelstunde später meine Mutter. Und erkennt ihren eigenen Sohn nicht. Er ist, glaub ich, mit 16 oder 17 eingerückt. War noch ein halbes Kind. Grad in der Pubertät vielleicht. Und dann war er eben schon ein Mann, hat eine Kappe aufgehabt. Und sie dreht sich um, um schon hinauszugehen. Sie hat ihn immer beobachtet, mein Bruder hat kein Wort gesagt. Und ich hab dann gesagt: "Mutti, das ist der Egon!" Und das war dann natürlich herzzerreißend, die Begegnung zwischen Kind und Mutter. Und das ist unvergesslich. Nach der Rückkehr meines Bruders hat er im Schnellverfahren die Matura nachgemacht. Und hat dann in Graz ein Studium begonnen. Das hat aber bedeutet, dass meine Mutter mit mir allein war. Die Großmutter war ja schon verstorben. Der Vater war in Leoben, ist sehr selten nach Hause gekommen. Und meine Schwester war ja auch in Leoben. Und so war ich also mit meiner Mutter alleine. Und dann hat mein Vater zwei schwere Unfälle im Bergwerk gehabt. Er war scheinbar unroutiniert. Das war für ihn sehr belastend von der körperlichen Anstrengung. Und er ist zweimal zwischen den Hunten, das sind diese Wägen mit der Beladung, eingequetscht worden und war relativ schwer verletzt. Und die Mutter, die so unglücklich war, auch dass wir wieder in Mautern waren, und dass ihr der kulturelle Hintergrund gefehlt hat, hat den ersten Schlaganfall gehabt. Und das war insofern wahnsinnig tragisch, weil ich in der Nacht mit ihr alleine war. D.h. es wurde ihr dann furchtbar übel. Und sie hat die ganze Nacht Blut erbrochen. Also ich weiß gar nicht, woher das viele Blut kam. Es war zum Teil auch schon verklumpt. Also es war entsetzlich, und ich war wie paralysiert. Ich war nicht in der Lage, irgendjemand zu holen. Und irgendwann hat's dann halt aufgehört. Aber sie war halbseitig gelähmt dann. D.h. sie konnte schon gehen, aber die linke Gesichtshälfte war verzogen, der Arm war schwer beweglich. Und sie hat dann einen massiven Anstieg des Blutdrucks gehabt. Und die ärztliche Betreuung war, obwohl Freunde von uns, der Arzt, eher sehr mäßig, ja. Und es war dann in der Folge so: Das hat dann noch zirka ... Es ist ihr halt immer wechselhaft besser oder schlechter gegangen. Und es war dann so, dass es ihr ... sehr schlecht gegangen ist am Tag vor ihrem Ableben. Und am Tag darauf, wo sie dann verstorben ist, hat sie in der Früh gesagt, sie ist wieder voll Optimismus, es geht ihr wieder besser. Ich wollte schon aus dem Zimmer gehen, da hör ich sie röcheln und auf ... .. also Laute, die ich nicht kannte, von sich geben. Und da ist sie dann in meinem Beisein verstorben. Und das war also ... .. schon ein sehr belastendes Ereignis, das mich eigentlich mein ganzes Leben verfolgt. Mein Vater hatte dann 1953 oder Anfang '54, das weiß ich nicht genau, aber ich glaub eher 1953, sich wieder verehelicht. Und so tragisch der Tod meiner Mutter war, war's eine schicksalhafte Bestimmung, weil es mit meinem späteren Beruf zu tun hat. 1954 war dann Schulschluss und die Entscheidung, einen Beruf zu erlernen. Und es war große Ratlosigkeit. D.h. das Haus in Mautern wurde verkauft. Und der Umzug nach Graz erfolgte, weil dort mein Vater versuchte, sich wieder eine Existenz aufzubauen. Und mein Bruder war damals schon in einer Lebensgemeinschaft. Meine Schwester hat unten auch gewohnt, die hat bereits Leoben verlassen, hat beim Kastner & Öhler begonnen als Verkäuferin. Und bei mir war das so, dass ich zuerst bei der Schwester meiner Stiefmutter untergebracht war. Und das war die Stiefmutter vom Herrn von Fodermayer. Der Herr von Fodermayer war erstens Eigentümer der Drei Husaren in Wien. Damals das einzige elitäre Restaurant, weltbekannt. Und zum zweiten, vom Herrn Fodermayer die Schwester, äh ... war verwandt mit dem Eigentümer des Schlosshotels Velden. Also das war alles ein Bezug auch zur Gastronomie. Und dann war eben das ausstehende oder anstehende Problem: Was machen wir mit dem Ewald? Mich hat das nicht sehr berührt. Mir war das ziemlich egal. Egal, was zur Debatte gestanden wäre, ich hätt's gemacht. Und jetzt war's so: Meine Stiefmutter war die Stieftante vom Herrn Fodermayer. Ihre Schwester war die Stiefmutter vom Herrn Fodermayer. Und die beiden hatten ein Gewerbe, das befasste sich mit Restaurieren von Orientteppichen. Und damals wurde das Grand Hotel Wiesler wieder von der englischen Besatzung an die Familie Wiesler zurückgegeben. Und da haben sie den Auftrag erhalten, sie müssen dort alle Teppiche auf Vordermann bringen. Und da sind sie auf die Idee gekommen, der Ewald könnte ja dort als Piccolo anfangen. Also als Kellnerlehrling, den Ausdruck Piccolo kennt man ja heute nicht mehr. Und da haben sie gesagt: "Na ja, wir haben ja den Egon Fodermayer, den rufen wir jetzt an, was der dazu sagt." Da haben sie angerufen und gesagt: "Du kennst das Problem mit dem eingeheirateten Buben von der Walli", das war meine Stiefmutter. "Und wir hätten jetzt vielleicht die Möglichkeit, im Grand Hotel Wiesler einen Platz zu finden als Piccolo." Hat er gesagt: "Was heißt das?" Er war ja ein weltmännischer, sehr diktatorisch auftretender Mann. Und er hat gesagt: "Was ist das? Der wird Koch! Da ist er was!" Und damit war der Fall erledigt. Jetzt war nur die Problematik bei der Frau Dr. Wiesler ... Sie war zwar nicht Akademikerin, aber der Herr Dr. Wiesler hat sie im Soge natürlich mitgezogen. Und die Stieftante Fodermayer hat mich dort vorstellig gemacht. Und es war fürs erste Mal eine Katastrophe! Weil ich war einem Biafra-Kind ähnlich. Kleinwüchsig, schmal, unterernährt. Und ... Frau Wiesler war so ähnlich wie meine Frau: dichte Mähne, gut bestellt. Und sehr resolut. Und sie hat gesagt: "Frau Fodermayer, was wollen S' denn mit dem?" "Der fällt mir ja um, der hält das ja nie aus!" Die Frau Fodermayer hat natürlich zu betteln und zu bitten angefangen. Und mit Ach und Krach hat sie dann eingewilligt. Und so hab ich also mit 14 Jahren eine Lehre begonnen im Grand Hotel Wiesler. 1. September 1954, 9 Uhr, war ich vorstellig als Küchenjunge, als Lehrling. Und ich hab an und für sich einen sehr netten Küchenchef gehabt. Gelernt hab ich nix. Der Alltag war gepflastert mit Hilfsarbeiten. Und der Zugang zum Herd war uns Lehrlingen weitgehend verwehrt. Dazu muss man sagen: Es hat schon Regelungen, auch in der Arbeitszeit, gegeben. Nicht dass man glaubt ... Das war nicht so. Lehrlinge hatten damals schon einen Monat Urlaubsanspruch. Es war aber eine Sechs-Tage-Woche. Ja, also ... Die Freizeit war schon knapp bemessen. Am Anfang hab ich nur Frühdienst gehabt, das war so weit in Ordnung. Es hat dann Differenzen mit dem Chef gegeben, und es kam ein neuer Chef. Der Name spielt heute keine Rolle. Es war einer von Österreichs führenden Chefs, der Herr Wirtl. Der ist zu meinem Lebensmenschen geworden, dem ich so viel zu verdanken hab. Also er war ein international ausgebildeter Küchenfachmann. Und hat damals in den Hochburgen der österreichischen Hotellerie, Gastronomie gearbeitet. Das heißt, damals war angesagt: Bad Gastein, ein Weltkurort. Velden oder Pörtschach. Und Zürs. Nicht einmal Lech! Zürs war also im Winter die Anlaufstelle Nummer eins. Und dort hat er immer gewerkt. Und das hat auch seinen Hintergrund. Weil damals ein Küchenchef oder Koch in der Saison das Doppelte verdient hat wie in der Stadt oder am Land, ja. Und er war an und für sich in Graz sesshaft. Und war dann einige Monate ... Ich hab ja vorher nix gelernt. Ich hab immer nur Kartoffeln geschält, Pommes frites geschnitten und blanchiert. Und dann kommt dieser neue Mann und führt dort neue Sitten ein. Also gegessen haben wir damals auf der Stiege. Und da hat's in der Regel gegeben: Reis mit Saft, Erdäpfelpüree mit Saft oder, wenn's gut hergegangen ist ... In der Gastronomie werden ja die Fonds und Jus, also Säfte erzeugt. Und da kommen oft nicht nur Knochen hinein, sondern auch ein ganzer Kalbsschweif, wo's was zum Abnagen gab. Der war aber schon drei Stunden ausgekocht. Also das war eh ausgelaugt. Und das war so die Draufgabe. Das war das Essen für die Lehrlinge. Was das Personal so gegessen hat, weiß ich gar nicht mehr. Und dann kommt dieser Mann, und da hab ich gesehen, was soziales Empfinden und soziales Praktikum ist. Auf einmal hat's geheißen: Tisch aufdecken, alle setzen sich zu Tisch! Und dann wird eben gegessen mitsammen. Und natürlich das, was verwertbar war und in Ordnung war. Aber Fleisch und alles, sehr zum Missfallen der Patronanz, weil das hat natürlich Geld gekostet. Und dann hat er gesagt: "Du kommst jetzt zum Herd, ich zeig dir das, ich erklär dir das." Und auf einmal bin ich aufgeblüht. Weil ich durfte alles machen, und er hat mich gelobt. Und ich bin auf einmal gar nicht mehr z'Haus 'gangen. Ich hab um acht angefangen, bin um elf, halb zwölf in der Nacht z'Haus 'gangen. Meine Familie hat geglaubt, ich werd ausgenützt. Ich hab gesagt: Nein, das ist nicht so. Ich hab oft Spätdienst gemacht, da sind Salzburger Nockerl und so bestellt worden, und ich hab das gemacht. Das hat mir einen derartigen Schub gegeben. Und Heringsschmaus, ich durfte Butterskulpturen machen, ich hab einen Seehund gemacht und alles Mögliche, was ich nie gelernt hab. Das war fantastisch! Und dann, zu meinem großen Leidwesen, hat er gesagt, er baut ein Haus in Graz und braucht mehr Geld, und er geht wieder nach Bad Gastein. Und da wusste ich aber schon, wer der Nachfolger ist für seine Stelle. Und das war ein derart cholerischer, rabiater und gewalttätiger Mensch, den ich auch noch erlebt habe dann. Und das ... Ich war so unglücklich, und da hab ich dann mit Herrn Wirtl gesprochen und gesagt: "Chef, ich bin so traurig, dass Sie weggehen!" Er hat gesagt: "Wann hast du Urlaub?" - "Ich glaub, im Mai." Er hat gesagt: "Dann packst deine Siebensachen, kommst zu mir nach Bad Gastein und arbeitest einen Monat dort." Mai 1956. Ich hab mich dann zusammengepackt, bin nach Bad Gastein gefahren. Und das war so: Das war damals ein Weltkurort. An jeder Ecke, auf jedem Geschäft ist gestanden: Wien, Paris, London, New York. Also Adlmüller und Knize und ausländische Geschäfte. Also es war diese große Hotelstadt. Heute ist das aus der Mode gekommen, aber damals war das einprägsam und faszinierend. Der Wasserfall und diese großen Hotelriesen! Also das war unglaublich. Große Brigaden in den Küchen, die Kellner. Und ich war dann bei meinem Chef, bei meinem Küchenchef, im Hotel Elisabethpark untergebracht. Das war das aufstrebende Hotel. Das große Hotel, das elegante, war das Hotel de l'Europe. Und oben das Bellevue, oder das Straubinger. Aber das kommende Haus war eben das Elisabethpark. Aus folgendem Grund: Eigentümer war der Baumeister Franzmair. Er galt damals schon als der König des Gasteinertals. Er war Baumeister, hat die ganze Gegend saniert. Hat viel verdient, war ein unglaublich fleißiger, aber auch sehr hartherziger Mann. Unnahbar. Er hat damals die reichste Tochter des Gasteinertals, also die Eigentümerin des Elisabethpark, geheiratet. Wir hatten damals einen kleinen Flughafen in Hofgastein. Wir hatten ein eigenes Elektrizitätswerk. Also es war alles da, was damals eine wirkliche Sensation war. Und das hat mir unheimlich gefallen. Es war so: Es werden ja immer Verträge mit den Köchen oder mit dem Service oder was immer das ist geschlossen. Damit sie antreten und auch bleiben. Und es ist dann ein Partiechef ... Also ein Partiechef ist ein Abteilungskoch. Der Chef einer Abteilung, z.B. kalte Vorspeisen, Patisserie, Süßspeisen, Rotissier für Fleischgerichte und so weiter. Darüber steht der Chef oder der Küchendirektor. Und der erschien nicht. Und es war nur ein Hilfskoch, der war 54 Jahre alt, Familienvater. Und Herr Wirtl hat zu mir gesagt: "Das machst du!" Das war natürlich ein Schock. Ich war grad nicht einmal 16 Jahre alt und musste eine Abteilung führen. Er hat gesagt: "Ich erklär dir alles", und so ist es losgegangen. Ich musste als Chef fungieren für einen 54-jährigen Familienvater. Das war auch nicht ganz so einfach, weil oft dann auch der Ton nicht gepasst hat. Und meine Schwierigkeiten verbunden mit seinen Schwierigkeiten, die ich regulieren musste, das war also wirklich eine nicht ganz einfache Sache. Zudem war das Ganze auf einem sehr hohen Niveau. In gewissen Bereichen ideenreicher und anspruchsvoller wie heute. Zum Beispiel Kartoffelgerichte. Wir haben in einer Saison, also in diesen fünf Monaten, zirka 60 verschiedene Kartoffelarten praktiziert. Also das ist ... Und alles ist auf Französisch gegangen! Heute machst Pommes guardar, morgen Pommes soufflées, morgen Pommes parmentier, dann Pommes duchesse, und so ist das gegangen, die ganze Kette durch. Und so war's mit den Gemüsen, dies und jenes. Die ganze Palette runter, die ich ja zum Teil noch gar nicht gekocht hatte. Und so ... Aber es war faszinierend und sehr lehrreich. Nach Dienst ... Es war ja so: fünf Monate durch ohne freien Tag. Ja? Das heißt, ein halber Tag in der Woche, von acht Uhr bis 15 Uhr, das war der freie halbe Tag. Ah, das war der halbe Arbeitstag, und dann war der halbe freie Tag. Das war ohne Zittern. Aber es war eine unglaublich schöne Zeit. Es war eine Familie. Heute sind lauter junge Köche, hoch talentiert, hoch ausgebildet. Damals waren die Partiechefs 40, 50. Bis 60 Jahre alt, die waren alle lebenserfahren. Und die Gespräche bei Tisch, das ist ja, was heute fehlt. Ich hab da alles mitbekommen, was Ältere für Probleme haben, wie sie leben, wie die Familien ohne sie auskommen und so weiter. Also es war so: Das Ende des Urlaubs ist immer näher gekommen. Mir hat's dort so gut gefallen, ich hab meinen Vater angerufen: "Du, Papa, ich möcht die Lehre beim Wiesler nicht mehr fortsetzen." "Ich möchte meine Lehre hier fortsetzen." "Ich hab auch die Gelegenheit, man würde mich sehr gerne behalten." Das war eine sehr schwierige Sache. Die Familie Wiesler hat sich natürlich geweigert, diesen Vertrag aufzulösen. Und nachstehend oder nachher betrachtet war es eine nicht ganz faire Angelegenheit. Es hat geheißen, Gastein ist 1000 Meter hoch, und ich bin gesundheitlich angeschlagen und so weiter. Dann hat man sich doch irgendwann geeinigt. Natürlich zum Unwillen der Familie Wiesler. Die haben eineinhalb Jahre in mich investiert, und dann, wie schon Kenntnisse da waren, hab ich mich verabschiedet. Und dann war's so, dass ich eine überdimensionale Arbeitszeit hatte. Und das Problem war, dass natürlich der Herr Baumeister Franzmair ein resoluter und absolut nicht ansprechbarer Mann war. Und ... Das war aber vorher, noch bevor ich zugesagt hab, dass ich da bleibe. Da hab ich in meinem jugendlichen Leichtsinn mich erdreistet, denn Herrn Baumeister auf der Stiege anzusprechen. Den hat fast der Schlag getroffen über meine Frechheit. Ich hab gesagt: "Herr Baumeister, wie Sie wissen, würde ich gerne bleiben." "Ich hab aber einen Posten übernommen, den normalerweise ein vollwertiger Koch ausführt." "Ich hab überdimensional lange Arbeitszeiten." "Und ich würde mir erwarten, dass Sie mir das Doppelte bezahlen." Das hat der in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt! Und er hat gesagt, er wird sich das kurz überlegen. Und das wurde dann bewilligt, zähneknirschend. Und vorauseilend muss ich sagen: Wie dann die Saison aus war und ich alleine war und für die Patrons kochen musste, hab ich das schwer gebüßt. Also ... So war's dann, dass ich eben diese fünf Monate meine Lehre, dort einmal das zweite Lehrjahr vollendet hab. Und dann in der Folge das dritte Lehrjahr auch. Dann hab ich eine Dummheit begangen. Insofern, dass ich mich nicht rechtzeitig um einen anderen Posten umgeschaut hab. Und hab dann eher aus der Notsituation heraus eine Stelle in Mariazell angenommen. Da gibt's ein großes Hotel, das dreigeteilt war, das Hotel Laufenstein. Und ein Teil war der Goldene Löwe. Wie ich dort hingekommen bin, hab ich gar nicht drauf geschaut, was da oben steht. Sondern ich hab auf die Speisekarte geschaut, da ist gestanden "Löwengulasch". Ich hab gedacht, die verkochen einen Löwen. Aber es hat sich auf das Hotel Goldener Löwe bezogen. Die Eigentümer und die Familie ... Der Eigentümer war ein furchtbarer, tyrannischer und unmenschlicher Geselle. Ich war untergebracht ... Es hat geheißen, vis-à-vis über die Straße ist das Personalhaus. Es ist keiner mitgegangen. Es war schon dämmrig, und ich bin dann durch einen kurzen Hof gegangen. Und komm dort rein, es war fast schon stockdunkel. Und ich hab das Licht eingeschaltet und war schon im Stromkreis. Also der Lichtschalter ist frei gelegen. Dann geh ich die Stiegen rauf und bin gleich einmal bis hier ... .. bis, bis ... .. bis zum Gesäß hinauf durch eine Stiege gefallen, weil da hat das Brett gefehlt. Und so ist es weitergegangen. Es war im ersten Stock, da war der Boden schon so schleißig, dass man in die nächste Etage runtergesehen hat. Es waren Betten total durchgelegen. Es war bereits November. Die Fensterscheiben waren nicht intakt. Es war keine Heizung, es war kalt. Und, also ... Es war ... Das Wasser hat man irgendwo holen müssen, nur Kaltwasser. Und Waschgelegenheit fast nicht vorhanden. Also das war ein unglaublicher Zustand da! Ich hab aber keine Möglichkeit gehabt ... Ich hab nicht gewusst, wo ich arbeiten sollte. Und nach sechs Monaten hab ich mich dann dort verabschiedet. Weil ich in der Zeitung gelesen hab, es gab zwei Stellenangebote in Wien. Das eine war das Kerzenstüberl, ein sehr renommiertes Restaurant. Und das Hotel Astoria, und da stand, dass es auch eine Unterbringung gab. Und ich hab damals, auf Schulden natürlich, ein Moped gekauft, und da bin ich dann vorher nach Hause gefahren, nach Graz. Zum Unwillen meines Vaters. Und bin dann mit dem Moped sechs oder sieben Stunden nach Wien gefahren. Ich hab mich nicht ausgekannt, aber das war damals sehr einfach. Man ist Triester Straße gefahren, die ist kerzengerade durchgegangen. Die Wiedner Hauptstraße, da war noch nicht diese Umfahrung. Da war die Rauchfangkehrerkirche, und schon warst in der Kärntner Straße. Damals noch in beiden Richtungen befahrbar. Und gleich am Anfang stand das Hotel Astoria. Das war kein Problem. Und das war dann ein kurioser Beginn. Ich hab dort als Jungkoch angefangen, und ich wollte ja was dazulernen. Es war ein Chef dort und eine kleine Brigade. Das Restaurant war nicht sehr florierend. Ich hab ein Zimmer bekommen, das war, sagen wir: auch unterbemittelt in seiner Ausstattung. Es gab ein paar Kästen. Ich hätt eh keinen gebraucht, ich hab keine Kleidung gehabt bis auf ein Sakko und eine Hose. Es waren fünf Betten drinnen, das war aber noch nicht das Übel. Sondern ... Am Nachmittag haben einige Portiers dort geruht. Aber die Nachtportiers kamen immer in der Nacht herein. Tür auf, Tür zu, Licht an, Kasten auf, Kasten zu, umziehen, wieder raus. Kaum war der draußen, warst wach, ist der nächste gekommen. So ist das dahingegangen. Das Zweite war dann so nach zirka einem Monat ... Es war eine neue Führung, die Eigen- tümerin war kurz vorher verstorben. Und der Küchenchef wollte sich nicht fügen. Und den haben sie kurzfristig entlassen. Und die Direktion hat gemeint, ich soll das weitermachen. Und ich war damals ... ja, grad 18 Jahre. Ich schraub das in Interviews meistens hinauf, weil das so unglaubwürdig klingt. Und das war ein schwieriger Beginn. Es war alles in Französisch zu schreiben. Es wurde täglich die Speisekarte erneuert, was sowieso ein Unsinn ist. Das war so Usus damals. Und es wurde alles in Französisch geschrieben. Das hab ich zwar intus gehabt. Und ... das Restaurant war ... .. fallweise sehr mäßig besiedelt. Also das war wirtschaftlich auch schwer zu regeln. Es gab ja damals ... So wie heute, Kühlladen und alle Möglichkeiten ... Die Herde waren entweder holz- oder kohlebefeuert. Also ich hab auf allen Herden schon gearbeitet. Von der Holzbefeuerung über Gas über Elektro über Kohle ... Und dann über elektrisch und Induktion. Also es hat alles gegeben. Und es war sehr mühsam. Man musste ja für jedes ... für jede Zutat ins Kühlhaus laufen und rutschend da, dass man schneller vorankommt ... Oder Wendeltreppen ist man einfach wie ein Skifahrer hinuntergesaust, um schnell unten und wieder heroben zu sein. Es gab kein Gehen, es gab nur ein Laufen, den ganzen Tag. Und irgendwie hab ich halt, auf Deutsch gesagt, die Kurve gekratzt und hab mir schön langsam auch auto- didaktisch Kenntnisse beigebracht. Der rettende Hafen war dann der Verband der österreichischen Köche. Der war da in der Kantgasse. Schon in meiner Lehrzeit wurde ich eingeführt in diesen Kochverband, wo die großen Chefs waren. Wo man Kochkunstausstellungen usw. gesehen hat. Und das war meine neue Heimat. Da hab ich die ganzen großen Köche von Wien ... Das ist heute nicht so, heute bewegt sich alles im Anonymen. Man kennt einander nicht, die großen Chefs kommen und gehen, Konzerne kommen, werden weitergereicht. Also dieses Bündnis an Köchen und tragenden Persönlichkeiten, die auch schon älter sind, das gibt's heute nicht mehr, das war damals vorhanden. Wenn ich jetzt an das Jahr 1977/78 zurückdenke, dann war das so ... Ich wollte und konnte mich vom Hotel Astoria nicht lösen, weil mir das zu riskant war. Wie gesagt, Alleinverdiener, findet keine passende Stelle, wo's mir auch gefällt. So hab ich mein sicheres Einkommen gehabt. Es war dann aber so, dass das Hotel, das ja ein Mietobjekt ist, vergeben wurde von den Erben dieses Unternehmens. An das österreichische Verkehrsbüro. Und ich hab vorher schon verhandelt gehabt mit dem Hotel Europe. Und hab das dann aber nicht angenommen, weil meine Brigade nicht mitziehen wollte. Und auf einmal war mein Vor ... Mein höchster Vorgesetzter war der Generaldirektor Sokol, der frisch im Amt war. Und, äh, der ... ein großer Anhänger von mir war. Ja, er hat mich sehr geschätzt. Und wir wurden übernommen, es gab einen neuen Direktor, das war ein Villacher mit seiner Frau. Der Uwe Kohl, der war gleich alt wie ich. Der war auch in einem ganz kleinen, defizitären Hotel in Villach. Und hat quasi seine letzte Lebenschance mit der Besetzung des Hotel Astoria vorgefunden. Wir haben uns von Anfang an blendend verstanden. Und, äh ... Ich wurde dann ins Hotel Europa auch versetzt, also ich hab dann zwei Häuser betreut. Und nebenbei war's dann so, dass ich mich von dieser Tätigkeit im Europa eben entfernen wollte. Und da kommt es dann zum Thema "Drei Husaren". Also 1978 war dann die Übernahme durch das Verkehrsbüro. Mein neuer Vorgesetzter war der Uwe Kohl. Und ich hab mich blendend verstanden mit ihm. Wir haben immer schwadroniert: Wie schön wär das, wenn wir selbstständig wären! Er war ja schon länger beim Verkehrsbüro. Und ich hab ja solch große Hoffnungen hineingelegt. Ich hab mir gedacht: Verkehrsbüro, das wird das Hotel pushen, wir werden im Restaurant was weiß ich für Frequenzen haben. Hat alles nicht stattgefunden. Und da haben wir halt schwadroniert, wenn man selbstständig sein könnte, wie toll das wär. Eigenverantwortung, nicht von idio- tischen Direktoren und ihren Dingen, wo man eh schon vorher weiß, dass das nicht umsetzbar ist ... Dass wir das in die eigene Hand nehmen können. Und es war, glaub ich, ein Vormittag, und die Frau Kohl - wir waren damals noch per Sie - kommt runter und sagt: "Herr Plachutta, haben S' einen Rucksack voll Geld?" Sag ich: "Wofür brauch'ma das?" Sagt sie: "Dass wir die Drei Husaren kaufen können." Sag ich: "Interessant, das ist ein Verwandter von mir, der hat mich zum Beruf gebracht. Der Egon von Fodermayer." - "Aha ..." Na, und dann haben wir beraten, und dann ist ... Es war ein Freund meines späteren Partners, der ihn drauf aufmerksam gemacht hat. Nur, es war ja so: Die Ablöse war über sieben Millionen Schilling. Und wir haben jeder ein Eigenkapital gehabt von 50.000 Schilling. Und dann war natürlich das Martyrium ... Und es mutet ja fantastisch an, nicht: Das war das bestgehende und einzige wirklich ernstzunehmende Restaurant in Wien. Und die Frequenzen waren toll, die Erlöse waren toll. Es hat zwei Unbekannte gegeben. Ersten die Beschaffung der nötigen finanziellen Mittel. Das Zweite war: Egon von Fodermayer war in der High Society von damals eingebunden. Mautner Markhof, ähnliche Persönlich- keiten waren per Du mit ihm. Und jetzt kommen zwei Nobodys und sagen, wir werden die Drei Husaren übernehmen. Es war vorher große Pleite mit dem Franziskanerplatz, wo ein Gastronom elf Millionen Schilling Schulden gemacht hat. Und da hat man ... Wie's dann offenkundig wurde, haben alle gesagt: Das sind die Nächsten, die dort eine pleitegehen. Also es ist dann irgendwie mit Goodwill, auch durch Rücksichtnahme auf den Herrn von Fodermayer, der sein Lebenswerk in private Hände legen wollte ... Die Konstellation hat ihm sehr gefallen. Er hat mich ja persönlich auch gekannt. Er hat meine Ausstellungen besucht und war mir gewogen. Er hat gesagt, da ist einer, der Verwaltung und Gästebetreuung macht, und einer, der's versteht. Und so ist es dann zur Übernahme gekommen. Am 16. Dezember 1979 wurden die Drei Husaren übergeben. Und der Egon Fodermayer hat dann natürlich ... .. beharrt darauf, dass ich nichts verändern darf. Und das war eine große Auflage, weil das Restaurant war veraltet. Er hat nix dagegen gehabt, dass man da Erneuerungen macht. Wir haben zwar kein Geld gemacht, aber haben halt noch einmal Kredite aufgenommen. Die Küche war abbruchreif, war total überaltert. Man hat zwei Jahre vorher noch mit Kohlenherden gearbeitet. Und es war ... ich sag immer: Little Italy. Oben ist die Wäsche gehangen. Und es hat ihm gefallen. Und ich war immer ein klinischer Mensch, wie aus dem Ei gepellt. Und es gab nix Schöneres für ihn ... Da hat er vorher irgendwas Fettes angegriffen, und dann hat er gesagt: "Darf ich ..." Dann hat er sich in meine Schürze gewischt, da waren die Fettflecken. Das war für mich schrecklich. Und er hat gesagt: "Ich werde dich in diesen Betrieb einführen." Das hat bedeutet, dass ich um sieben Uhr in der Früh strammstehen musste, mit ihm zum Einkauf fahren - zuerst zum Schlachthof. Kurioserweise hat er Dinge auf der Speisekarte gehabt, das hat mit einem Luxusrestaurant nix zu tun gehabt. Es hat z.B. ein Bluttommerl gegeben. Das ist so eine Art Blutwurst ohne Darm. Heute gibt's das ja alles nicht mehr. Da hat man eben zum Schlachthof fahren müssen. In aller Früh, ich hab noch nicht gefrühstückt gehabt, eiskalt war's. Und dann sind die Schweine heruntergerutscht, Klammer, und dann der Stich und das Blut. Und das Blut haben wir dann in der Kanne wieder nach ... Da war mir eh schon zum Umfallen. Dann bin ich ins eiskalte Restaurant. Das hat so ausgeschaut wie eine Bar. Äh, nach der ... nach der durchzechten Nacht. Und dann ist es halt ans Verarbeiten gegangen. Es war dann die Partnerschaft durch Verträge eben niedergelegt. Und im Vertrag liegt meistens schon der Tod der Partnerschaft. Also wir haben am Anfang sehr gut harmoniert. Und mit fortlauf ... Ich war ja 14 Jahre dann mit meinem Partner zusammen. Wir haben von vornherein einen großen kommerziellen Erfolg und auch die Anerkennung der Gäste gehabt. Wir haben, äh, goldene Zeiten erlebt. Also der Beginn der 80er Jahre war phänomenal. Wirtschaftlich phänomenal. Wir haben damals schon einen Umsatz von annähernd 50 Millionen Schilling gehabt. Nur für ein Abendrestaurant! Das war ... Weltweit hat's das damals nicht gegeben, und viele können das heute noch nicht erreichen, wenn man's real umrechnet. Also ich hab im Jahr zirka ... .. 3500 Kilo Hummer verkauft. Wir haben oft an einem Abend zwei Kilo Kaviar verkauft. Also es war eine goldene Zeit, die Leut haben so viel Geld ausgegeben! Wenn man bedenkt ... Wir hatten ja zwei Besetzungen. Vor der Oper und nach der Oper. Es war ein Pianist, Bösendorfer Flügel, eine Million Schilling. Die Gäste sind nach der Oper gekommen, oft 110 Personen, alle auf einmal. Es wurde alles à la minute gekocht. Das heißt, das war ein Stress - unglaublich! Also ich musste damals die Leute wirklich derart antreiben, das ist gnadenlos gegangen! Und die Brigade war klein. Es war das Jahr 1987. Da haben mein Partner und ich eine Expansion angestrebt und haben am gleichen Tag zwei Restaurants gekauft. Das eine war der älteste Italiener, die damalige Grotta Azzurra. Und das damalige Hietzinger Bräu, im 13. Bezirk, wo wir heute sitzen. Äh, und ich hab ... Mein Partner sagte: "Schau dir das an in Hietzing, ob dir das gefällt." Ich bin bei der Tür reingekommen, und es hat mich fasziniert. Meine kulinarische Seele ist eher dem Bürgerlichen nahe. Normale Wiener Kost. Die Wiener Küche, Franz Ruhm mit seinen Büchern und Journalen, das war die Lektüre, die ich geliebt hab. Und das war meine Welt. Ich hab gesagt: "Uwe, das ist fantastisch, das nehmen wir." Es war eigenartigerweise ja auch wieder eine Schicksalsfügung. So wie ... Fodermayer bringt mich zum Beruf, und ich kaufe dann sein Restaurant, so war's auch hier. Der ehemalige Küchenchef der Drei Husaren, der mit uns nicht mitmachen wollte, war hier Geschäftsführer und Küchenchef, im Hietzinger Bräu. Und wir haben mit dem ... .. dem damaligen Eigner ... Der Herr Buscheck, das war so wirklich ein Fleischhauer, so mit wirklich ... sagen wir wienerisch: Würstelfingern, und einem massiven, kleinen Körper. Mit ihm haben wir verhandelt. Und er hat uns eingeladen. Er wollte das damals defizitäre Restaurant anbringen. Und es kam nie zu einer Verhandlung. Er hat immer irgendwelche Geschichten erzählt, und nach dem dritten Mal haben wir beschlossen: Wir schätzen, was er haben möchte, und das bringen wir ihm bar mit. Und das war so ein Stoß Tausender. Und er hat wieder schwadroniert, hat von Gott und der Welt erzählt. Und mein Partner nimmt dann das Geld und legt's in die Mitte des Tisches. Und das waren einige Millionen. Und er schaut das an, mit prüfendem Blick, legt seine Hand drauf, zieht's zu sich, legt's auf seinen Nebensessel. Wir haben geschaut. Und da fängt er wieder von allem Möglichen zu reden an. Wir haben gesagt: "Herr Buscheck, irgendwann brauchen wir schon ..." Er hat gesagt: "Morgen gehört's euch!" Sag ich: "Na ja, Sie müssen ja Ihre ... Ihre Mitarbeiter abfertigen, informieren." "Ja, mach ich schon." Vertrag hat's keinen gegeben. Am nächsten Tag sagt mein Partner: "Ich hab noch was zu tun, fahr du raus." Ich fahr dort raus, und der Herr Knapp kommt mir entgegen, das war der Geschäftsführer, Küchenchef. Sag ich: "Herr Knapp, Sie wissen eh ...?" Sagt er: "Was soll ich wissen?" - "Dass das jetzt uns gehört." Sagt er: "Das kann jeder sagen." - "Rufen S' Herrn Buscheck an." Kommt er dann raus und sagt, das ist bestätigt. Sag ich: "Ihr seid alle eingeladen zu bleiben." Hat er gesagt: "Das überlegen wir uns", dann waren alle verschwunden. Bis auf zwei Abwäscher. Türken, die hab ich heute noch, nach 25 Jahren. Und einen Schankmann, der war so ein Eigenbrötler. Der war so lang, bis er gestorben ist, auch bei uns. So hat das begonnen. Und meine Frau, die das nie in ihrem Leben gemacht hat, in Ermangelung von Personal ... Wir waren ja gar nicht vorbereitet! Wir hatten kein Personal für die zwei Betriebe. In der Grotta sind die meisten geblieben, aber da waren alle weg. Herr Buscheck hat sich ausbedungen, dass ich bei ihm kaufen muss. Er liefert nicht, ich muss es abholen. Ich hab damals zwei Stunden geschlafen pro Nacht. Mehr ist sich nicht ausgegangen. Und meine Frau, die von dem keine Ahnung hatte, aber die so eine Handfeste ist ... Äh ... Der Partner hat gesagt: "Wenn ein Gast reinkommt am Abend, sagst 'Guten Abend' und setzt ihn irgendwo hin." Und sie hat das ... Nach 14 Tagen war in Wien bekannt, wie die Frau Plachutta das macht. Die ist das ganz unorthodox angegangen. Ist jemand mit einem Hund gekommen, ist der Hund versorgt worden. Gibt der Hund a Ruh', gibt's Herrl a Ruh'. Sind Kinder dabei ... Normalerweise muss alles gleichzeitig serviert werden. Dann sind die Kinder lustig oder unlustig, und die Eltern sind grantig. Und da wird zuerst den Kindern serviert. Und wenn das dreckige Geschirr am Tisch steht, wird normalerweise gewartet, bis der Letzte aufgehört hat. Sie lässt abservieren, sagt: "Weg mit dem!" So ist das gegangen. Wir haben generell kein einziges Jahr rote Zahlen geschrieben. Nirgendwo. Und das war ... Es war schon ... Elemente des Gekochten waren schon herinnen. Aber dieses System geht auf das Hotelrestaurant Meißl & Schadn am Neuen Markt zurück. Das ist ja dann ausgebombt worden. Dort wurden 24 oder 22 Sorten des gekochten Rindfleisches nach der berühmten Wiener Teilung gesotten und verkauft. Und bekannt wäre es ja nie geworden, hätte Joseph Wechsberg, das war ein jüdischer Autor, der auch sehr viel ... Er war weltgewandt, hat sehr viel über die Tschechei ... Hat über die französische Küche, die Großen der damaligen Zeit, "In Vienna" und so weiter, geschrieben. Sehr humorvolle Anekdoten. Und über dieses Kapitel, das heißt ... Also das Buch heißt "Forelle blau und schwarze Trüffel". Und das Kapitel heißt "Tafelspitz für den Hofrat". Da beschreibt er die Kellner, wie sie agiert haben, und die Erkennungsmale der einzelnen Teile. Dass die Leute schon geschult waren, und dass Verwechslungen nicht in Kauf genommen wurden, wenn da irgendein anderes Stück serviert wurde. Und das war dann letztlich eben die Inspiration, dieses System einzuführen. Das war aber schon in der Partnerschaft mit dem Uwe Kohl. Also '87 bis '93. Dann kam's eben zu einer Realteilung. Über die Details will ich nicht sprechen. Ich hab mich dann entschlossen, das damals noch so genannte Hietzinger Bräu zu übernehmen. Der Hauseigentümer ist ... eine ... .. wie soll ich sagen, Verwandtschaft der Ottakringer Brauerei. Die Frau Wenckheim ist die Schwester vom Herrn Harmer. Der Herr Harmer hat die Immobilien und so weiter. Wie dann spruchreif wurde, dass wir - oder mein Sohn - das Restaurant Koranda, es hat dann Wegenstein geheißen, übernehmen kann, dann war die Namensgebung natürlich das große Problem. Zuerst wollten wir es Lueger Bräu nennen, weil dort der Lueger-Platz ist. Und es wäre ein gewisser Zusammenhang mit dem Hietzinger Bräu gewesen. Der damalige Marketingchef der Ottakringer Brauerei hat gesagt: "Warum nennt ihr's nicht Plachutta?" Ich hab gesagt: "Ein komplizierter Name, geht nicht ins Ohr." Na, wir haben uns dann entschlossen, es Plachutta zu nennen. Mein Sohn sagte, Gastwirtschaft, das wär was Bürgerliches und würde passen. Und das Restaurant wurde aufgesperrt vom damaligen Bürgermeister Zilk, der uns sehr gewogen war, ein Stammgast war. Das war vom ersten Tag an ein großer Erfolg. Mein Sohn, der da ja sehr geschickt ist, hat die restlichen ... Im Zug der Zeit waren viele Lokale anschließend, die er aufgekauft hat. Ein Juwelier und ... ein Krawattengeschäft. Und dann Teile des Elite-Kinos, wo wir heute unsere Produktionsräume haben. Also es hat sich enorm erweitert. Und auch die Fußgängerzone, die sehr repräsentabel heute erscheint, das ist praktisch sein Werk. Und es ist, kann man sagen, das bestflorierende gastronomische Restaurant Österreichs geworden. Wenn man das Schweizerhaus ausnimmt. Das ist aber im Winter nicht in dem Maß geöffnet. Aber sagen wir, auf Haubenniveau ist es das bestflorierende Geschäft. Also es war so, dass ich immer schon ein Buch schreiben wollte. Aber ich war nicht so bestrebt, so wie die anderen Spitzenköche so großformatige, plakative und teils selbstdarstellerische Bücher zu veröffentlichen. Sondern ich hab das Vorbild Franz Ruhm gehabt. Das war meine Gallionsfigur, meine Anleitung. Ein Mann, der sich der Haushaltsküche widmet, auch für Hobbyköche geeignet. Und ein umfassendes Werk von A bis Z, also von der Vorspeise über Speisenkunde bis zum Ende. Und der Zufall hat's gewollt: Der damalige Chefredakteur und auch Tester vom Gault-Millau, der Christoph Wagner, hat mich eines Tages angerufen. Ich hab ihn kaum gekannt. Er sagt: "Haben Sie Interesse, ein Buch mit mir zu schreiben?" Sag ich: "Selbstverständlich, was soll's denn sein?" Er hat das Thema genannt. Und das war für mich das, was ich eigentlich tun wollte. Das hat eine schwierige Entwicklung gehabt, und dann hat sich doch ... Es war ein Auftragswerk der Buchgemeinschaft Donauland. Und dann hat sich der Verlag durchgerungen, das zu machen. Insofern, dass ich drei Jahre Zeit hatte, das Buch zu schreiben. Und dann war das Ganze fertig. Kein Mensch hat sich gekümmert in den ganzen drei Jahren. Ich hab 1300 Rezepte noch mit der Maschine geschrieben. Da kamen die Korrekturen per Fax, eine ganze Tonne von Seiten. Und dann war das Buch fertig, ich geh zum Frick am ersten Tag, wo es vorgelegt worden ist. Eine ganze Palette toller Kochbücher. Ich denk mir: Das kleine Buch? Oje, das ist aber ganz schlimm! Und ich hab gedacht, ich bin unerkannt! Die Verkäuferin hinten bei der Kassa sagt: "Herr Plachutta, machen Sie sich keine Sorgen!" "Das wird ein Bestseller!" Wir haben in den ersten drei Monaten 120.000 Exemplare verkauft. Und das ist bis heute, bis zum heutigen Tag noch immer das fünftmeistverkaufte Kochbuch in Österreich. Also das goldene war jetzt wieder Nummer eins in der Bestsellerliste. Die Koch, äh ... "Die gute Küche, 2. Teil" war auch zehn Wochen in der Bestsellerliste. Also es waren alles Bestseller. Und wir haben insgesamt über eine Million Exemplare verkauft. Und die Leute sind unglaublich dankbar. Und das ist eigentlich das ... Es zählt nicht das Geld, sondern wenn mich wildfremde Menschen ansprechen und sagen: "Durch Sie hab ich Kochen gelernt". Oder eine Frau schreibt mir: "Ich bin 54, hatte nie Zeit, zu lesen." "Ich hab vier Kinder verköstigt, jetzt widme ich mich dem Kochen." "Das war für mich so eine Inspiration." Das ist keine Seltenheit. Selbst die Fachleute, wo ich's gar nicht annehme, der sagt: "Ich hab ein Drei- oder Vier-Hauben-Restaurant, da kommt der Gast rein, Schinkenfleckerl ..." "Ich hab das noch nie gemacht. Dann schau ich bei dir nach." Also es ist eben ein Almanach, ein Nachschlagewerk, und es ist mit Herzblut geschrieben. Meine große Liebe zu dieser einzigartigen Stadt geht zurück auf meine Kindheit. Die Architektur, die Kultur, die Menschen, das Leben in der Stadt - das alles hat mich immer fasziniert. Wien ist meine wahre Heimat. Wo immer ich auch gelebt habe: Wien ist der Mittelpunkt meines Lebens. Und zu der Zeit, wo ich noch bei den Drei Husaren tätig war, wenn ich von der Garage zu den Husaren ging, stand immer der mächtige Dom, der Stephansdom vor mir. Und da bin ich eigentlich fast immer zu Tränen gerührt. Das ist einzigartig. Und auch die Wiener Küche, das ist meine wahre Identität.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Ewald Plachutta (Gastronom)

Wir und Wien - Erinnerungen Ewald Plachutta wurde am 16.Juni 1940 in Wien geboren und zog 1945 mit seinen Eltern nach Mautern in der Steiermark, die Heimat seiner Mutter. Nach der Schule begann er eine Kochlehre im Grand Hotel Wiesler in Graz. Mit 21 Jahren wurde er Küchenchef des Hotel Astoria in Wien. Bei der Kocholympiade 1968 in Frankfurt am Main errang Plachutta als Mitglied und Equipechef der österreichischen Kochnationalmannschaft die Goldmedaille sowie einen Sonderpreis.

Länge: 58 Min. 37 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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