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Landtag, 46. Sitzung vom 25.06.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 71 von 79

 

sofort erfasst hat, was die Regeln dieser Institution sind: Dass es hier viele gibt und eine, die mehr reden darf, und wie diese Institution aufgebaut ist. Und sie hat sofort verstanden, hier geht es nicht demokratisch zu, zumindest nicht demokratisch in der Art und Weise, wie sie das noch in ihrer Kindergruppe kennen gelernt hat. Und das war nur aus ihrer Sicht, ihrer Wahrnehmung.

 

Warum erzähle ich das? Ich erzähle das nicht, weil ich finde, dass unsere Schulen so undemokratisch sind, nein. Sondern ich erzähle das, weil ich weiß oder das mir wieder gezeigt hat, dass Prozesse wie Demokratie und Mitbestimmung vermittelt werden sollen, dass das im Alltag gelernt werden muss und dass die Struktur, wie unsere Schulen aufgebaut sind, zum Teil diesem Lehrziel entgegenstehen. Das Problem wurde inzwischen erkannt. Es gibt viele Erlässe und viele Bekenntnisse zur politischen Bildung. Und es gibt viele Versuche, diese Bildungsziele, dass die Kinder demokratisch werden, auch im schulischen Umfeld umzusetzen und zu erreichen.

 

Ein Versuch dazu sind die in vielen Bezirken in Wien stattfindenden Kinder- und Jugendparlamente. Hier soll einerseits Stadtpolitik nähergebracht werden, aber auch politische Mitbestimmung erlebbar gemacht werden. Sie wissen das wahrscheinlich, alle Kinder, fast alle Kinder in der 3. Klasse Volksschule werden eingeladen, einmal das Bezirksparlament kennen zu lernen. Die Umsetzungen dieser Kinder- und Jugendparlamente sind sehr unterschiedlich, auch das wissen Sie. Es gibt paternalistische Inszenierungen, wo Kinder vor den Bezirksvorsteher treten dürfen und dann ihre Wünsche kundtun und dann wieder zurück in die Reihe kommen. Und es gibt andere Arten, das umzusetzen. Die sind viel partizipativer, die bieten Workshops an, sprechen mit den Kindern über Politik und Projektentwicklung. Und in manchen Bezirken gibt es sogar Budgetposten, wo die Kinder über ein bestimmtes Budget gemeinsam entscheiden können, welchen Projekten sie das zuordnen würden. All das sind verschiedene Arten und Weisen, wie man Demokratie lernen kann. Was wichtig ist, ist, dass die Kinder sich in so einem Prozess als politisch Handlungsfähige erleben und dass sie sich auch als GestalterInnen erleben. Dass sie nicht glauben, sie wären BittstellerInnen und müssten in die Politik gehen und sich unterwürfig einer Autorität beugen, sondern dass sie selbst Ideen entwickeln dürfen und Möglichkeiten finden, wie man die umsetzen kann. Es ist nicht immer einfach. Man muss sich manchmal mit Leuten einigen, die ganz was anderes wollen, und man muss versuchen, wie man gemeinsam Kompromisse finden kann. Das ist ja das Ziel, dass wir diese Auseinandersetzung lernen.

 

Demokratie, so steht es im Bildungsziel, braucht „selbstständig urteilende, kritikfähige Menschen, die Entscheidungen fällen können und handeln können“. Ich habe das Bildungsziel sogar mit. Ich kann Ihnen das vorlesen, weil es war für mich sehr beeindruckend, was da alles drinnensteht. Das ist schon ein älteres formuliertes Bildungsziel. Deshalb steht drinnen: „Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen, pflichttreuen, verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft und Bürger der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich als Mitglied der Europäischen Union herangebildet werden.“ Frauen kommen in diesem Text des Bildungszieles noch nicht vor. „Sie sollen zu selbstständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken. Humanität, Solidarität, Toleranz, Frieden, Gerechtigkeit und Umweltbewusstsein sind tragende, handlungsleitende Werte unserer Gesellschaft. Auf ihrer Grundlage soll jene Weltoffenheit entwickelt werden, die vom Verständnis für die existenziellen Probleme der Menschheit und von Mitverantwortung getragen werden. Dabei hat der Unterricht aktiv zu einer den Menschenrechten verpflichtenden Demokratie beizutragen sowie Urteils- und Kritikfähigkeit, Entscheidungs- und Handlungskompetenz zu fördern.“ Das bemühen wir uns in unseren Schulen.

 

Nicht zuletzt das Projekt „Werkstadt Junges Wien“ hat vorgeführt, wie groß das Interesse der Jugend ist, ihre Zukunft mitzugestalten, Ideen einzubringen. Wie sie ihre Stadt, das Zusammenleben in ihrer Stadt, ihre Zukunft organisieren wollen und welche Schwerpunkte da gesetzt werden sollen. 22.000 junge Menschen haben sich da beteiligt. Ich finde, das ist beeindruckend. Man kann es nicht oft genug sagen.

 

Auf der strukturellen Ebene gab es auch schon länger Versuche, die politische Beteiligung von Schülerinnen und Schülern weiterzuentwickeln. Da gibt es die Schülerdemokratie, den Schulgemeinschaftsausschuss, in dem die Eltern, die Lehrenden und die Schülervertreter gemeinsam über die Schulanliegen entscheiden. Das ist auch so eine Form der Beteiligung. Das Schülerparlament, das bis jetzt auch ein paar Mal im Jahr hier stattgefunden hat, ist eine andere Form der Beteiligung.

 

Ziel des SchülerInnenparlaments, das sehr spezifisch auf die Bildung ausgerichtet ist, ist es, dass sich die jungen Leute in Bildungsfragen austauschen und sich strukturiert in einen bildungspolitischen Prozess einbringen können. Was heißt das konkret? - Sie sollen im SchülerInnenparlament ihre Anliegen diskutieren und dann diese vergemeinschaften, etwa ihre Ideen als VertreterInnen vielleicht in einen Gesetzwerdungsprozess einbringen oder zumindest konkrete Maßnahmen vorschlagen.

 

Es gibt großes Interesse an dieser Beteiligung. Wenn Sie hier in diesen Raum kommen, wenn das SchülerInnenparlament stattfindet - ich weiß nicht, wer von Ihnen schon dabei war -, dann sehen Sie, dass die Ränge deutlich stärker gefüllt sind als bei unseren langen Gemeinderatssitzungen. Jeder Platz ist besetzt, selbst auf den Stiegen nehmen manchmal Leute Platz, und die Galerie ist auf jeden Fall voll. Das ist nicht immer im Sinne der Feuerpolizei, aber das zeigt das wahnsinnig starke Interesse der jungen Leute, sich einzubringen und auszutauschen. Die Kinder beziehungsweise die jungen Leute sind sehr interessiert daran. Sie wollen Politik

 

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