Landtag, 42. Sitzung vom 28.01.2020, Wörtliches Protokoll - Seite 58 von 72
Wir dürfen die Trennung Europas in zwei Blöcke nach 1945 nicht vergessen, wir dürfen nicht vergessen, dass wenige Kilometer von Wien entfernt hochtechnisierte Waffensysteme gestanden sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Spannungen in Europa gehabt haben, ich denke nur an die Zeiten des Kalten Kriegs, die vor allem in Berlin und in anderen Bereichen mitten in Europa ganz dramatisch zum Ausdruck gelangt sind. Und als dann 1950/51 die großen Schritte gesetzt wurden, gelernt aus der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, wo wir gesagt haben, so etwas darf nie mehr wieder passieren und wir stellen die Grundstoffindustrie und die Rohstoffe unter eine übergeordnete supranationale Behörde, und Länder wie die Beneluxländer, Italien, Deutschland und Frankreich - vor allem Deutschland und Frankreich, die zwischen 1870 und 1945 so heftige Auseinandersetzungen hatten - diesen neuen Weg in Richtung eines gemeinsamen Europas gegangen sind, waren hier mit allen Schritten, Römische Verträge, und so weiter, die gefolgt sind, die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen.
Als dann die Grenzen in Europa aufgelöst wurden und es zu einer Wiedervereinigung Deutschlands gekommen war, waren es auch der richtige Weg und das richtige Signal, zu sagen, gehen wir von den alten Vorurteilen und Reflexen weg und gehen wir in eine neue Vertiefung der Integration. Das war der Grund, warum der Vertrag von Maastricht damals diese Verdichtung der europäischen Integration gebracht hat, weg von den alten Strukturen, und allen, die hier Angst gehabt haben, zu sagen, aus diesem neuen wiedererstarkten oder vergrößerten Deutschland wird keine Gefahr mehr für Europa und die europäische Idee ausgehen. Es ist ein großartiges Werk von allen, die in der politischen Landschaft Frankreichs und Deutschlands damals mitgearbeitet haben, diesen ganz, ganz wichtigen Integrationsschritt gesetzt zu haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir könnten jetzt natürlich über viele Integrationsschritte reden, so war die Einführung des Euros für viele Länder am 1. Jänner 2002 ein wesentliches Datum. Es hat auch viele Akte gegeben, die zu einer Verdichtung der politischen Integration und zu einer Erweiterung der Aufgaben der Union geführt haben. Aber das Wichtigste, glaube ich, ist das Bekenntnis dazu, dass aus der politischen Union und der wirtschaftlichen Union auch eine Union wird, hinter der die Menschen in Europa stehen, dass hier eine Union wird, die sich auch dem sozialen Gedanken verpflichtet fühlt.
Wenn wir auf die 75 Jahre von 1945 bis heute zurückschauen - nicht nur aus österreichischer Sicht, aber vor allem aus österreichischer und ganz besonders auch aus Wiener Sicht -, dann sind das große Kennzeichen und der große Erfolg dieser Jahre gewesen, dass sich der Sozial- und Wohlfahrtsstaat entwickelt hat. Wenn Politiker immer wieder bei verschiedenen Reden sehr bedeutende Politiker wie Bruno Kreisky, wenn ich erinnern darf, immer wieder gesagt haben, dass die Entwicklung des Sozial- und Wohlfahrtsstaates die größte Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war, dann haben sie recht. Diesen Gedanken muss man heute auch auf die europäische Ebene tragen, denn wenn sich Demokratie und Freiheit entwickeln sollen, dann braucht es eine soziale, eine gesellschaftliche Grundlage. Und diese soziale und gesellschaftliche Grundlage, die Sicherheit vermittelt, ist der Sozial- und Wohlfahrtsstaat, ohne den es nicht gehen wird. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)
Als man 1994 und vor 1994 - 1989 wurden ja die Beitrittsanträge abgegeben - diese Diskussion in Österreich geführt hat, war ein ganz zentrales Thema auch im Rahmen meiner Fraktion die Frage, ob ein Beitritt zu den europäischen Gemeinschaften mit unserem völkerrechtlichen Status der Neutralität vereinbar ist. (Abg. Mag. Dietbert Kowarik: Auch das Anschlussverbot!) Sie kennen die Geschichte, Sie kennen die vielen Vorbehalte, die noch tief bis in die 80er Jahre hinein etwa die Sowjetunion gehabt hat, die ja sozusagen immer unter Hinweis des Staatsvertrages hier eine sehr restriktive Haltung eingenommen hat. Wir haben das in dieser Zeit sehr, sehr intensiv diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass eine aktive Neutralitätspolitik keinen Widerspruch ergibt.
Ich möchte heute an dieser Stelle auch daran erinnern, dass bei den drei Beitrittsanträgen, die im Jahr 1989 vom damaligen österreichischen Außenminister Mock dem damaligen Ratspräsidenten übergeben wurden, also EG, Euratom und EGKS, der ausdrückliche Neutralitätsvorbehalt enthalten ist. Das heißt, man hat uns in Europa auch mit der Gegebenheit der Neutralität eingebunden. Wir haben bis zum heutigen Tag gesehen, dass diese völkerrechtliche Verpflichtung in keinem Widerspruch zu unserer Tätigkeit in Europa steht, dass es sich vereinbaren lässt, dass das auch allgemein respektiert wird und dass es uns in diesen Jahren gelungen ist, diese Vereinbarung auch mit Leben zu erfüllen. Daher, glaube ich, sollte man an dieser Stelle ein wirkliches Plädoyer für eine aktive Außenpolitik, wie sie die österreichische Geschichte nach 1945 gekennzeichnet hat, auch treffen. Neutralität und Sicherheitspolitik und aktive Außenpolitik sind hier in einem Ganzen zu sehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte abschließend noch ein paar Themen ansprechen, von denen ich glaube, dass sie auch für die Identifikation der Menschen in einem gemeinsamen Europa von ganz besonderer Bedeutung sein werden, Themen, die die Städte betreffen, Themen, die die Länder betreffen, Themen, die natürlich jeden einzelnen Mitgliedstaat betreffen. Wir haben heute das Thema Klimaschutz an oberster Stelle, und das ist eine große Verantwortung, nicht nur für uns, sondern auch für die kommenden Generationen. Das ist in letzter Zeit viel diskutiert worden, und hier ist ein aktives Handeln notwendig. Ich glaube, da sind wir uns ja alle in diesem Saal einig.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir die großen gesellschaftlichen Herausforderungen annehmen müssen. Europa entwickelt sich zunehmend zu einer Wissensgesellschaft. Wir haben einen radikalen Wandel von der industrialisierten und Dienstleistungsgesellschaft hin zu einer digitalisierten Gesellschaft, wo wir nicht wissen, wohin die Reise geht, und wo wir auch nicht wissen, in
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