Landtag,
27. Sitzung vom 23.09.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 26 von 78
beansprucht und sich dafür rühmt, soziale Sicherheit für alle zu
garantieren, 137 Tage warten muss, bis das Verfahren abgewickelt ist und man
sein Pflegegeld bekommt, 137 Tage der Verunsicherung, der Unterversorgung, der
Unsicherheit!
Das zweite Ärgernis ist die komplexe, intransparente und fehlerhafte
Administration. Wir rühmen uns einerseits der guten Verwaltung, müssen aber
andererseits feststellen, dass wir offensichtlich nicht imstande sind, den
Menschen Klarheit zu geben, wie und wo sie ihren Anspruch geltend machen
können: Und dass es schlussendlich Fehler gibt, kann für Betroffene ganz
schlimm ausgehen. Wir müssen uns dabei immer dessen bewusst sein, dass wir von
einer Bevölkerungsgruppe sprechen, die schwach ist, sich oft von sich aus keine
Informationen holen kann und darauf angewiesen ist, dass andere es richtig
machen. Oft sind auch die Angehörigen von der Situation überrascht, in der sie
sich befinden.
Man muss sich die Situation, die ich hier schildere, nur vorstellen!
Würde das einer starken, gut organisierten Bevölkerungsgruppe widerfahren, gäbe
es zum Beispiel für leitende Bedienstete, Lehrer oder andere Berufsgruppen
intransparente, fehlerhafte Verfahren hinsichtlich der ihnen zukommenden
Geldleistungen, dann würden sich diese zu wehren wissen. Pflegebedürftige
Menschen sind jedoch sehr häufig in der Situation, dass sie gottergeben darauf
warten müssen, bis die Administration tut, was sie soll, oder auch nicht.
Der Rechnungshof und die Volksanwaltschaft haben auch festgestellt,
dass es hinsichtlich der Begutachtung sehr großen Handlungsbedarf gibt. Es gibt
Ärzte und Ärztinnen, die so viel zu begutachten haben, dass sie höchstens zehn
Minuten pro Bedürftigen aufwenden können, und andere machen zwei bis drei
Gutachten im Jahr. Beides ist ein Problem für die Qualitätssicherung und für
eine einheitliche und gerechte Begutachtung aller Menschen.
Die Auszahlung des Pflegegeldes pro Bezieher differiert in Österreich,
und auch diesbezüglich hat Wien die unrühmliche Schlusslichtposition. Mit
durchschnittlich 4 730 EUR pro Jahr pro Pflegegeldbezieher liegt hier die
Auszahlung am niedrigsten. Ich meine, man wird nicht alles damit argumentieren
können, dass halt in einem Bundesland mehr bedürftige Menschen als in einem
anderen leben. Es geht nicht an, dass die Menschen offensichtlich ungleich
behandelt werden!
Faktum ist, dass es keine umfassende Absicherung in Österreich gegen
das finanzielle Risiko gibt, das durch Pflegebedürftigkeit besteht. Das ist in
einem Sozialstaat, der sich als modern versteht, nicht zu akzeptieren! Es ist
seit Langem schon eine Forderung der Grünen,
dass es einen Rechtsanspruch auf eine bedarfs- und bedürfnisorientierte
Pflegeunterstützung und -betreuung im Alter geben muss, und dieser muss als
subjektives Grundrecht ausgestattet sein. Die Pflegebedürftigkeit muss als
kollektives soziales Risiko anerkannt sein und damit von der sozialen
Gemeinschaft abgefedert werden.
Bund und Länder sind diesbezüglich in die Pflicht zu nehmen, und Bund
und Länder haben auf diesem Gebiet beispielsweise durch bundeseinheitliche
Qualitätskriterien, durch Entlastungsmöglichkeiten auch für die pflegenden
Angehörigen und zur Sicherstellung ihrer sozialen Absicherung hinsichtlich der
Zeit, die sie für Pflege von Familienmitgliedern aufwenden, zusammenzuarbeiten.
Was wir im Zusammenhang mit dem Pflegegeld auch immer wieder
kritisieren, ist, dass die Schnittstellen zwischen medizinischer Versorgung und
Betreuung und Pflege immer noch schlecht funktionieren. Durch diese
Finanzierungslücke ergibt sich das Problem, dass Menschen, wenn sie aufs
Pflegegeld warten, in diesen Übergangssituationen in schwer traumatisierende
Situationen kommen. Meine Kollegin wird Ihnen beim nächsten Tagesordnungspunkt
sehr persönlich schildern, was es für Familien bedeutet, damit konfrontiert zu
sein, wenn man zwischen medizinischer Versorgung und Pflegeabsicherung in ein
Loch fällt.
Wir meinen auch, dass die Begutachtung beim Pflegegeldgesetz nicht nur
durch Ärzte und Ärztinnen zu erfolgen hat. Sie kennen sicherlich die Situation,
die uns auch oft von Angehörigen geschildert wird: Die Menschen reißen sich
dann zusammen, denn man zeigt begreiflicherweise als Person sehr ungern, wenn
man verwirrt oder pflegebedürftig ist, und möchte sich gut darstellen. Das
führt oft dazu, dass die Pflegegeldeinstufung zu niedrig getroffen wird.
Wir meinen, diese Aufgabe kommt nicht nur den Ärzten und Ärztinnen zu,
sondern man muss hier auch die Pflege einbinden. Ich meine, es ist ja sozusagen
schon durch den Auftrag abzuleiten, dass zur Pflegegeldeinstufung auch die
Pflegeberufe herangezogen werden und ihr eigenes Gutachten abgeben.
Für die Finanzierung der Pflege in Zukunft stellen wir uns einen
Pflegefonds vor, der aus vermögensbezogenen Steuern gespeist ist und der
sicherstellt, dass alle Risken abgesichert sind, damit man sich nicht in die
Situation eines Bittstellers oder einer Bittstellerin versetzt fühlen muss,
wenn man pflegebedürftig ist.
Außerdem braucht das Pflegegeld auch eine jährliche Valorisierung. Seit
1993, also seit seiner Einführung, hat das Pflegegeld einen Wertverlust von
20 Prozent erlitten. Stellen Sie sich das vor! Welche gesellschaftliche
Gruppe würde sich bieten lassen, in all den Jahren so viel zu Geld verlieren?
20 Prozent Wertverlust seit 1993! Offensichtlich ist die Stimme der
Pflegebedürftigen nicht laut genug!
Man kann mit einem Pflegegeld der Stufe 6 nur einen sehr
kümmerlichen Stundenlohn zusammenbringen. Dafür werden 6 EUR 50 gezahlt, und das
entspricht einem Deckungsgrad von 7 Prozent bis 58 Prozent, je nach
Pflegegeldstufe, ist also in keinerlei Hinsicht eine vollständige Deckung. Wir
meinen daher, dass man die Deckelung bei geförderten Betreuungs- und
Pflegestunden der ambulanten Dienste unbedingt aufheben muss. Es kann nicht
sein, das am Ende noch immer viel Bedarf besteht!
Dass die arbeitsrechtliche Situation der
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