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Landtag, 10. Sitzung vom 28.06.2007, Wörtliches Protokoll  -  Seite 86 von 98

 

Österreich eine Existenz aufzubauen und bleiben zu dürfen, auch wenn sie bereits alles erreicht haben, was diese Gesellschaft und dieser Staat von ihnen erwarten.

 

Ich möchte in dieser Diskussion jetzt nicht in die Breite gehen, weil die Zeit doch schon fortgeschritten ist und wir an und für sich eine sehr intensive Sitzung hinter uns gebracht haben. – Ich gehe davon aus, dass Sie alle in den vergangenen Jahren und vor allem auch in den vergangenen Monaten Gelegenheit hatten, sich mit den Schicksalen etlicher Familien in ganz Österreich auseinanderzusetzen. Darunter sind übrigens auch viele Kinder und Jugendliche, die in diesem Land aufgewachsen sind und hier die Schule besuchen, auch VorzugsschülerInnen. Und gerade viele von den jüngeren Menschen kennen keine andere Heimat und kein anderes Zuhause als Österreich.

 

Diese Menschen haben sich hervorragend integriert und bringen sich in die örtliche Gemeinschaft ein. In diesen Gemeinden setzen sich der Bürgermeister und alle Mitbürger dafür ein, dass eine betroffene Familie in Österreich bleiben darf. Dennoch droht die Abschiebung, weil irgendwann und irgendwo in der Geschichte der Familie irgendein Antrag falsch oder zu spät gestellt beziehungsweise vielleicht nicht aus dem Ausland, sondern im Inland gestellt wurde. Es gibt hundert gute Gründe – wobei das „gute" jetzt ironisch zu verstehen ist – weshalb aus schlussendlich bürokratischen Gründen eine integrierte Familie die Existenzberechtigung de facto über Nacht verlieren kann.

 

Das ist meiner Meinung nach der falsche Weg, und das möchten wir gerne ändern. Deshalb gibt es eine Initiative, die inzwischen mehrere Landtage passiert hat und in mehreren Landtagen eine Mehrheit gefunden hat, was mich sehr freut. Dabei geht es im Wesentlichen darum, dass sich die Landtage an die Bundesregierung wenden und an die Bundesregierung appellieren, entsprechende legistische Anpassungen vorzunehmen und ein Bleiberecht für gut integrierte Familien nicht österreichischer Staatsbürgerschaft zu schaffen, wenn diese über einen bestimmten Zeitraum in Österreich aufhältig sind, sich hier vorbildlich integriert haben und, wie gesagt, auf Grund bürokratischer Details im Gesetz unter Umständen mit der Abschiebung rechnen müssen.

 

Ich muss sagen, dass es mich sehr freut, dass die SPÖ sich dieser Initiative im Wiener Landtag anschließt! Das heißt, ich bin stolz darauf, dass wir heute in diesem Haus mit Mehrheit beschließen werden, die Bundesregierung aufzufordern, dieses Bleiberecht zu schaffen. Das bestätigt für mich, dass es eine Mehrheit in diesem Haus gibt, die eine solche humanitäre Werthaltung nicht nur als Sonntagsrede beziehungsweise Kirtagsrede von sich gibt oder als Lippenbekenntnis sozusagen vor sich her trägt, sondern bereit ist, diese auch in die Tat umzusetzen, wenn es darauf ankommt.

 

Und ich muss mit großem Bedauern feststellen, dass die ÖVP diese Petition überraschenderweise nicht unterstützt. Das überrascht mich, weil die Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP in anderen Landtagen, nämlich in der Steiermark, in Niederösterreich, in Oberösterreich und in Salzburg, de facto eine wortidente Petition unterstützt haben. Wir haben sogar den Text so verfasst, dass wir jene Änderungen, welche die Salzburger ÖVP in den Antrag hinein moniert hat, um ihm die Zustimmung geben zu können, sozusagen vorauseilend übernommen haben, um den Abgeordneten von der ÖVP die Chance zu geben, auch in Wien die Zustimmung zu erteilen. Dem ist aber nicht so!

 

Das wundert mich ganz besonders deshalb, weil etliche von Ihnen diesbezüglich durchaus aktiv sind und für sich selbst in Anspruch nehmen, eine humanitäre Haltung an den Tag zu legen. Nichtsdestotrotz verweigern Sie diesem Antrag die Zustimmung. Somit kann ich Ihnen die Frage nicht ersparen: Wollen Sie wirklich, dass Familien abgeschoben werden, die gut integriert sind? Wollen Sie wirklich beharrlich denselben Kurs fahren wie Herr Missethon oder Herr Platter? Wollen Sie das, wofür Ihre eigenen Bürgermeister in kleinen Gemeinden in den letzten Monaten plädieren, wirklich ignorieren? Sind Ihnen diese Familien egal? Ich verstehe das nicht!

 

Und noch weniger verstehe ich es, da sich gerade die Wiener ÖVP in den letzten zwei Jahren intensiv bemüht, sich selbst einen liberalen, weltoffenen, sozusagen urbanen Anstrich zu verpassen, dann aber, wenn es darauf ankommt, ein Bleiberecht für Kinder, Jugendliche und gut integrierte Familien zu schaffen, plötzlich nicht dabei ist. Das bedaure ich, wie gesagt, aber es freut mich sehr, dass eine Mehrheit in diesem Landtag unserem Antrag, den ich hiemit einbringe, die Zustimmung geben wird, und ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei den GRÜNEN und von Abgeordneten der SPÖ.)

 

Präsident Heinz Hufnagl: Danke schön. - Während der ersten Wortmeldung des Kollegen Blind ist auch der zweite Vertreter der Volksanwaltschaft, Herr Volksanwalt Peter Kostelka, bei uns eingetroffen. Herzlich willkommen im Wiener Landtag! (Allgemeiner Beifall.)

 

Als nächster Redner ist Herr Abg Dr Ulm zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm. – Bitte, Herr Kollege.

 

Abg Dr Wolfgang Ulm (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Volksanwälte!

 

Ich darf gleich vorausschicken, dass sich meine Kollegin Karin Praniess-Kastner ausführlich mit dem Bericht der Volksanwaltschaft beschäftigen wird.

 

Ich möchte auf meine Vorrednerin eingehen und zur Debatte zum Bleiberecht Stellung nehmen. – Wir von der ÖVP lassen uns sicherlich nicht unsere humanitäre Werthaltung und unsere weltoffene und christliche Gesinnung absprechen, einfach weil Sie das meinen!

 

Ihnen geht es um ein Bleiberecht mit Rechtsanspruch. Das ist in Ihrem Antrag nicht explizit enthalten, ich weiß jedoch, dass Sie das so wünschen, und würden wir diesem Antrag jetzt so zustimmen, dann würde uns später vorgehalten werden, dass wir uns doch für ein solches Bleiberecht mit Rechtsanspruch ausgesprochen haben.

 

Wir treten für einen humanitären Aufenthaltstitel im Einzelfall ein. Es wird immer ganz spezifische Einzelfälle geben, in denen eine humanitäre Lösung erforderlich ist.

 

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