Landtag,
19. Sitzung vom 29.01.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 12 von 48
entsprechend neu zu definieren und
einzugrenzen?
Ich bitte um Beantwortung.
Lhptm Dr Michael Häupl:
Ich sehe Sie und freue mich darüber, Herr Abgeordneter. Sehr geehrter Herr
Landtagsabgeordneter!
Wie Sie sicherlich sehr
viel besser noch wissen als ich, kommt es durchaus vor, dass sich Bauherren aus
naheliegenden Gründen für Bauvorhaben eine extensive Auslegung des § 69
der Wiener Bauordnung wünschen und dabei in ihrer Argumentation und Begründung
durchaus einfallsreich sind. Der § 69 der Wiener Bauordnung sieht vor,
dass die Behörde für einzelne Bauvorhaben unter bestimmten Voraussetzungen mit
Bescheid die Bewilligung für unwesentliche Abweichungen von der
Bebauungsvorschrift erteilen kann. Unwesentlich ist eine Abweichung nur dann,
wenn sie der Zielrichtung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans nicht
widerspricht. So prüft der Verwaltungsgerichtshof die Unwesentlichkeit danach,
“... ob der Abweichung eine dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes
unterlaufende Tendenz innewohnt.“ Das war ein Zitat.
Eine allgemein gültige
Definition, wie zum Beispiel eine bestimmte prozentmäßige Festlegung der
Unwesentlichkeit ist aber nicht denkbar. Sie würde jedenfalls zu
verfassungswidrigen Ergebnissen führen, da diese Bestimmung eben nur auf
Einzelfälle abzielt und in jedem Einzelfall eine Abwägung aller Gründe, die für
und gegen die Ausnahme sprechen, zu erfolgen hat. Insbesondere ist dabei auch
auf den konsensgemäßen Baubestand und das im Flächenwidmungs- und Bebauungsplan
beabsichtigte örtliche Stadtbild Bedacht zu nehmen. Ins Kalkül ist ebenso zu
ziehen, ob die Abweichung einer zeitgemäßen Ausstattung des konsensmäßigen
Baubestandes oder des geplanten Baus ähnlich ist. Nach der Judikatur des
Verwaltungsgerichtshofs wurden beispielsweise Abweichungen bezüglich der
Trakttiefe um 37 Prozent sowie eine Überschreitung der bebaubaren Fläche
um 28 Prozent als wesentlich angesehen. Man wird daher davon auszugehen
haben - sofern eine prozentmäßige Sichtweise nach der Art der Abweichung
überhaupt in Betracht kommt -, dass das Ausmaß jedenfalls in einem weit
geringeren Verhältnis zum Umfang der zulässigen Bebaubarkeit stehen muss und
dass hingegen Abweichungen im einstelligen Prozentbereich tendenziell eher als
unwesentlich erscheinen werden. Als Ausnahmebestimmungen sind die Vorschriften
des § 69 der Wiener Bauordnung jedenfalls stets restriktiv zu
interpretieren. Im Allgemeinen wird in der gegenwärtigen Praxis von der
Baubehörde mit den zulässigen Ausnahmemöglichkeiten und Ermessensspielräumen
sehr sensibel und umsichtig umgegangen und es werden Stellungnahmen anderer
Dienststellen des Magistrats, zum Beispiel der Magistratsabteilung 19, bei
stadtbildrelevanten Ausnahmen, im Ermittlungsverfahren berücksichtigt. Die
Entscheidung über Anträge auf Bewilligung unwesentlicher Abweichungen von
Bebauungsvorschriften gemäß § 69 der Wiener Bauordnung obliegt aber dem
Bauausschuss der örtlich zuständigen Bezirksvertretung, welche bei der Abwägung
der Gründe, die für oder gegen die Abweichung sprechen, nicht der Rechtsmeinung
der Baubehörde folgen muss. Die Berufungsmöglichkeit der Anrainer an die
Bauoberbehörde für Wien ist aber ein gewisser Garant dafür, dass der Begriff
der unwesentlichen Abweichung nicht unzulässig weit ausgelegt wird, weil die
Bauoberbehörde bei ihrer Entscheidung nicht an die erstinstanzliche
Rechtsauffassung gebunden ist. Auf Grund der derzeit gegebenen Regelung und der
dazu bereits ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist jedenfalls
klargestellt, dass nur jene Abweichungen von den Bebauungsvorschriften
unwesentlich und damit gemäß § 69 der Wiener Bauordnung genehmigungsfähig
sind, die der Zielrichtung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans nicht
widersprechen beziehungsweise diesen nicht unterlaufen. Ob diese
Voraussetzungen gegeben sind, ist je nach der Art des einzelnen Bauvorhabens zu
prüfen. Eine Änderung, beziehungsweise Neudefinition des § 69 der Wiener
Bauordnung in Form einer prozentmäßigen Beschränkung ist hingegen nicht nur
nicht erforderlich, sondern aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus gar
nicht möglich, da jede Prozentzahl zwingend zu unsachlichen und damit
verfassungswidrigen Ergebnissen führen würde.
Zusammenfassend kann ich Ihnen daher sagen: Ich sehe
keinen Änderungsbedarf und keine Änderungshandlungsnotwendigkeiten, weder aus
sachlichen Gründen noch auch aus Gründen der praktizierten Dezentralisierung.
Präsidentin Erika Stubenvoll: Danke
schön. – Wir kommen zur ersten Zusatzfrage. Herr Mag Neuhuber.
Abg Mag Alexander Neuhuber (ÖVP-Klub
der Bundeshauptstadt Wien): Herr Landeshauptmann!
In weiten Teilen war Ihre Anfragebeantwortung
durchaus erwartungsgemäß. Wir reden ja heute nicht das erste Mal darüber, und
es gibt sowohl von uns als auch von anderen Oppositionsparteien zahlreiche
Anfragen an diverse Stadträte zu diesem Thema. Im Großen und Ganzen wird immer
ähnlich argumentiert, wobei mir in Ihrer heutigen Beantwortung zwei Wörter
aufgefallen sind. Nämlich "restriktiv" zum einen – bisher war immer
nur von "sensibel" die Rede, davon, dass das sensibel gehandhabt
wird, das ist jetzt um "restriktiv" zu ergänzen – und dass
Abweichungen im einstelligen Bereich im Allgemeinen durchaus zulässig wären
oder als geringfügig anzusehen sind. Was darüber liegt, wäre offensichtlich
diskussionswürdig.
Wir haben schon verschiedenste Arten des 69er
gesehen. Wir haben Turmbau-69er gesehen, wir haben Hoteldachausbauten-69er
gesehen, wir haben vorauseilende 69er gesehen im 5. und im 9. Bezirk, und
jetzt haben wir einen ganz neuen Fall, und auf den zielt meine Frage ab, wir
haben jetzt im 3. Bezirk einen völligen Neubau-69er. Sie wissen, dort soll
in einem durchaus sensiblen historischen Ensemble ein kompletter Neubau über
den § 69 errichtet werden. Es ist von 2 000 bis
6 000 Quadratmetern die Rede; da gibt es verschiedene Versionen.
Meine Frage also, Herr Bürgermeister: Würden Sie
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