Landtag,
14. Sitzung vom 24.04.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 32 von 83
16. April 2003 war nicht der Schlusspunkt in einer
langen Reihe von Verhandlungen, von jahrelangen schwierigen Verhandlungen,
sondern ist für Wien eigentlich der Anfang, der Anfang dafür, sich jetzt
bewusst zu werden, dass eine schwierige harte Phase realpolitischer Integration
bevorsteht, in der eine politische und auch soziale Demarkationslinie überwunden
werden muss, in der ein Wohlstandsgefälle zu unseren Beitrittsnachbarn und
-nachbarinnen überwunden werden muss. Und dies wird nicht gehen ohne forcierte
Bemühungen, ohne verstärkte Bemühungen, hier Netzwerke zu bilden, Kooperationen
zu bilden, vor allem im Arbeitsmarktbereich, vor allem im Sozialbereich, vor
allem auch im Frauenbereich, damit Frauen und Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen nicht wieder die Ersten sind, die unter die so genannten
Räder kommen.
Denn manchmal kommt mir schon vor, wir diskutieren
jetzt im Vorfeld der Erweiterung in einer Art Goldgräberstimmung, in der wir
nur die Aktienkurse und die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer heimischen
Betriebe im Auge haben – es ist sicher auch wichtig, hier auf den
Wirtschaftsstandort Österreich, auf den Wirtschaftsstandort Wien zu achten,
keine Frage –, aber das Soziale und das Arbeitsmarktpolitische verlieren wir
dabei total aus den Augen. Es hat auch in den jahrelangen
Beitrittsverhandlungen überhaupt keine Rolle gespielt, weil eben das Gemeinschaftsrecht
hier leider zu wenig Grundalge bildet. Wenn Wien sich als soziale Stadt jedoch
ernst nimmt, wenn wir den positiven politischen Dialog und die Sozialunion, wie
es Bgm Häupl angesprochen hat, ernst nehmen, müssen wir auch in diesem Bereich
die Kooperationen verstärken.
Ich finde es deshalb sehr schade, dass gerade die
sozialdemokratische Fraktion den damaligen grünen Vorschlag eines
grenzüberschreitenden territorialen Beschäftigungspaktes abgelehnt hat. Ich
denke, das wäre sehr wichtig gewesen, insbesondere deshalb, weil wir zur
Vorbereitung der Beitritte, zur Vorbereitung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen dringend in Arbeitsmarkt und Bildung, insbesondere in den
Grenzregionen – und Wien ist eine Grenzregion – investieren müssen. Ich freue
mich, dass ansatzweise diese Idee in der Deklaration jetzt vorkommt, finde es
aber trotzdem schade, dass die Sozialdemokratie hier anscheinend auch dem Druck
der Gewerkschaften – sagen wir, der eigenen Gewerkschaft – nachgibt und die
Arbeitskräfte, die im Zuge der Erweiterung zu uns kommen werden, eher als
Eindringlinge sieht und nicht auch als Chance für die Wienerinnen und Wiener.
Die GRÜNEN haben ja bekanntlich in der Frage der
Übergangsfristen am Arbeitsmarkt einen abweichenden Standpunkt zu allen anderen
Parteien hier im Haus. Wir sind gegen die sieben Jahre Übergangsfrist, wir
halten diese für zu lang.
Wir halten es auch für schade, dass die Chance vertan
wird, ein Grundrecht, das die Menschen in der Europäischen Union eigentlich seit
1957, seit den Römer-Verträgen, genießen sollten, nämlich die Freizügigkeit in
diesem so genannten vereinten Europa, durchzusetzen, und dass man zwar Waren
aller Art, Autos, LKWs und alle diese Dinge mit der EU-Erweiterung hereinlässt
und hereinbittet – das ist auch gut so –, aber die Menschen und vor allem die
Arbeitskräfte eigentlich draußen lässt. Das finden wir schade, das finden wir
nicht richtig. Wir würden uns wünschen, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
aus verschiedenen Ländern nicht gegeneinander ausgespielt würden, sondern dass
mehr in Arbeitsmarkt und Bildung investiert würde, um diese Übergangsfristen
verkürzen zu können. Wir Grünen
denken, es ist möglich, wir Grünen
denken, es würde keine – wie sagte Arbeiterkammerpräsident Tumpel – Überrollung
– von Völkerwanderung hat er auch unlängst gesprochen – über uns hereinbrechen,
wenn wir die Grenzen auch für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schon mit
Inkrafttreten der Beitritte öffnen würden.
Es muss eben nur mehr getan werden, und zwar gerade
für jene Menschen, die – zu Recht oder zu Unrecht – glauben oder befürchten,
Verlierer oder Verliererinnen des Beitritts zu sein, nämlich vor allem
natürlich für ArbeitnehmerInnen in bestimmten Branchen in den Grenzregionen wie
Bau, Handel, Gastronomie. Da müssen wir uns gar nichts vormachen. Aber glauben
Sie, dass Sie das Problem lösen, indem Sie die Grenzen abschotten und bis 2011
warten und hoffen, dass dann alles vorbei ist oder dass Sie es politisch nicht
mehr verantworten müssen, weil Sie dann ja nicht mehr im Amt sind?
Wir Grüne
halten das für die falsche Strategie und werden alles dazu tun, dass der Wiener
Arbeitsmarkt so weit gerüstet ist, dass wir die Übergangsfristen von sieben
Jahren gegebenenfalls verkürzen können, wie es ja das Europarecht
dankenswerterweise vorsieht. (Beifall bei den Grünen.)
Letzter
Punkt, von dem uns sehr freut, dass er in dieser Deklaration, die wir heute
verabschieden, so prominent und so ausführlich vorkommt, ist das Bekenntnis zur
öffentlichen Daseinsvorsorge, die Kritik an den GATS-Verhandlungen und auch die
Kritik an den europäischen Wettbewerbsregeln. Wir sagen hier heute sehr klar –
und der Satz gefällt mir sehr gut –, dass europäische Wettbewerbsregeln und
auch GATS die Möglichkeit der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht in Frage
stellen dürfen und dass Wien alles dazu tut, auch im Rahmen seiner
Stadtaußenpolitik alles dazu tun wird, um diese Verhandlungen zu stoppen und
die öffentliche Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand auch zu sichern.
Wir halten die Frage von GATS nicht nur für eine wesentliche
wirtschafts- und sozialpolitische Frage, sondern überhaupt für eine der
wesentlichen demokratiepolitischen Fragen, vor denen wir stehen – und das gilt
auch für die Zukunft –, denn wenn wir dieses "Match um die Welt" – so
haben es die Grünen einmal
genannt und dazu auch eine Kampagne gemacht – verlieren, dann brauchen wir uns
um eine Demokratisierung der Europäischen Union nur mehr sehr wenige Gedanken
zu machen, denn dann läuft die Politik einfach ganz woanders, und zwar nicht
gerade unter demokratischen Vorzeichen, sondern in der WTO, in der
Welthandelsorganisation, wo eigentlich jetzt schon die wesentlichen politischen
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