Gemeinderat, 58. Sitzung vom 25.09.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 124 von 135
Gesundheitsbereich und im Wohnbereich. Wissen Sie, meine Damen und Herren, das sage nicht ich allein. Das sagt nicht nur die Opposition. Ich zitiere hier jetzt zum ersten Mal Herrn StR Wiederkehr. Herr StR Wiederkehr, erinnern Sie sich noch? Im Dezember 2023 haben Sie Ihrem Koalitionspartner öffentlich ausgerichtet: „Wien stemmt das nicht mehr.“ Ich stimme Ihnen vollkommen zu, aber Sie haben seither nichts getan. (Beifall bei der ÖVP.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben StR Hacker vor genau einem Monat ein Ultimatum mit der Forderung gesetzt, bis zum 18. September konkrete Maßnahmen gegen die Wirkung Wiens als Sozialmagnet zu ergreifen und unsere Vorschläge aufzugreifen. Sie wissen es alle. Was waren unsere Vorschläge ganz konkret? Die Vorschläge waren keine Revolution. Die Vorschläge waren, erstens unverzüglich und vollständig das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz in Wien umzusetzen, zweitens die Sozialleistungen für subsidiär Schutzberechtigte den Sozialleistungen der Grundversorgung anzugleichen, die auch in den Bundesländern rund um Wien gelten - das heißt, nicht 1.156 EUR Mindestsicherung, sondern 400 EUR Grundversorgung zu bezahlen, das war unsere klare Forderung -, und letztlich eine Anpassung der Mindestsicherungsrichtsätze für Kinder in Mehrkindfamilien, aber auch bei Erwachsenenwohngemeinschaften, wenn es eine gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftsführung gibt. Diese Forderungen haben wir StR Hacker vorgelegt.
Ich habe, Herr StR Hacker, mehrere Gespräche mit Ihnen geführt. Wir haben mehrere Gespräche geführt. Ich weiß auch, dass Sie im persönlichen Kontakt durchaus bereit sind, sachliche Argumente auszutragen. Nur in größeren Runden wird es manchmal ein bisschen flapsig, wenn ich mir das so erlauben darf. Eines kann ich Ihnen sagen, Herr Stadtrat: Wir sind nicht zusammengekommen. Sie haben mir einen Brief geschrieben und mir mitgeteilt, dass Sie all das, was wir fordern und vorschlagen, ablehnen. Sie haben sich vor allem auf rechtliche und insbesondere auf Europa-rechtliche Bedenken bezogen.
Herr StR Hacker, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle zu Ihren rechtlichen Bedenken Folgendes fest: Erstens stelle ich fest, dass der Verfassungsgerichtshof 2017 und 2019 in zwei Erkenntnissen klargestellt hat, dass die Beschränkung der Sozialleistungen auf die Grundversorgung für subsidiär Schutzberechtigte sachgerecht und verfassungskonform ist. Das ist bitte nicht wegzuleugnen. Das sind zwei Erkenntnisse. Herr StR Hacker, wir haben uns aber auch die Mühe gemacht, diese rechtliche Situation auch aktuell abfragen zu lassen, und eine Expertise in Auftrag gegeben. Ich glaube, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal, einer der führenden Arbeits- und Sozialrechtsexperten unseres Landes, ist unbestritten. Er hat uns seine Expertise zur Verfügung gestellt. Ich darf Ihnen nur in einem Satz seine Conclusio zu unseren Forderungen hinsichtlich einer Wiener Mindestsicherungsreform wörtlich vorlesen. „Zusammenfassend“, sagt Prof. Mazal, „zeigt sich, dass die mir vorgelegten Überlegungen zur Novellierung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes auf dem Boden der bisherigen Judikatur klar vertretbar als verfassungs- und europarechtlich zulässig qualifiziert werden können.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unter Begründung und unter Bezugnahme auf diese Erkenntnisse des Verfassungsgerichthofes und die aktuelle Stellungnahme von Prof. Mazal sage ich Ihnen: Wir liegen mit unseren Vorschlägen rechtlich völlig richtig. (Beifall bei der ÖVP.)
Wissen Sie, es ist ja noch etwas zu sagen: Es kann doch einem Bundesland nicht zustehen, einfach ein Grundsatzgesetz des Landes auf landesgesetzlicher Ebene nicht umzusetzen, weil Sie, Herr Stadtrat, eine persönliche Meinung haben. Der Ruf nach einer bundesweiten Lösung, die von Ihnen und anderen gekommen ist, ist nur ein Ablenkungsmanöver.
Sie können das ganze Gutachten haben, Herr Stadtrat. Also bitte, Sie können das alles haben. Ich werde es hier nicht verlesen. Sie können alles haben, Herr Stadtrat. (Zwischenruf.) - Herr Stadtrat, ich lasse mir von Ihnen nicht sagen, was ich jetzt hier in meiner Rede sage. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis. (Beifall bei der ÖVP.) Ich sage Ihnen aber eines - und darauf läuft es ja letztlich hinaus: Sie kennen mich lang genug. Ich bin ein Mensch, der durchaus reflektiert und sehr zurückhaltend in seiner Argumentation ist - das wird mir ja öfter vorgeworfen - und der sehr seriös alles genau abwiegt und anschaut. Ich habe aber den Eindruck, dass StR Hacker beim Beharren auf dem derzeit bestehenden Sozialsystem in Wien ganz offensichtlich gar nicht rechtlich argumentiert, sondern dass das eine ideologiegetriebene Justament-Haltung ist. (Beifall bei der ÖVP.)
Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich spreche natürlich vor allem SPÖ und NEOS als Regierungsfraktionen an, aber doch auch ein Satz zur FPÖ: Wir sind uns in einem einig: Dass StR Hacker das Misstrauen ausgesprochen werden muss. Ich glaube, ich habe es jetzt mit großer Inbrunst deutlich gemacht und auch argumentiert. Der Unterschied ist aber, meine Damen und Herren von der FPÖ: Sie haben, aus der Hüfte geschossen, im Sommer gesagt, ein Misstrauensantrag, und Sie haben uns öffentlich aufgefordert, den zu stellen. Wir als Volkspartei sind anders. Wir schauen uns die Geschichte sehr genau an. Wir haben uns die Expertisen beschafft. Wir haben uns Zahlen, Daten und Fakten beschafft, und wir haben jetzt eine Argumentation, nach der es notwendig und richtig ist, einen Misstrauensantrag zu stellen. Wir haben Ihnen auch den Text dazu geschickt. Danke dafür, dass Sie hier mitwirken. Eines ist aber klar, und das hat man an der Diskussion gesehen, meine Damen und Herren: Die Volkspartei und die FPÖ zeichnet ein Unterschied aus. Volkspartei und FPÖ sind zwei unterschiedliche Parteien. Die FPÖ lebt vom Problem, wir wollen die Lösung. (Beifall bei der ÖVP.)
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Mir ist eines klar: Ich habe keine Illusionen, auch nicht um diese Uhrzeit. Die SPÖ wird ihren StR Hacker natürlich halten - das ist ganz klar -, ihn verteidigen und ihm die Mauer machen. Die SPÖ trägt vor den Wählerinnen und Wählern und vor ihren eigenen Parteimitgliedern aber auch die Verantwortung für alle Folgen dieser Entscheidung. Wenn wir das Sozialsystem in Wien nicht ändern,
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