Gemeinderat, 56. Sitzung vom 26.06.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 55 von 104
Tag der staatlichen Umverteilung sei. Nun kann man darüber streiten, ob das der richtige Titel ist oder ob man einen anderen Titel will, aber de facto haben sie wissenschaftlich erhoben, dass die schrumpfende Zahl der Nettozahlerinnen und Nettozahler in dieser Republik - also jener Haushalte, die in einem bestimmten Jahr mehr in den Wohlfahrtsstaat einzahlen, als sie dann zum Schluss herausbekommen - mittlerweile bis zum 28. Juni des laufenden Jahres ausschließlich für den Staat arbeiten und erst ab dem 29. Juni beginnen, in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Nun können wir reiflich über Abgabenquoten debattieren und darüber, ob 43 Prozent nicht viel zu viel sind, wir können auch darüber debattieren, ob nicht mittlerweile knapp 240 Milliarden EUR an öffentlichen Ausgaben in dieser Republik alle Prioritäten abdecken sollten, aber diese Studie hat auch noch einen anderen Fakt hervorgehoben, der mich eigentlich ziemlich bewegt hat - und der uns, wie ich meine, über Parteigrenzen hinweg ziemlich bewegen könnte -, nämlich dass mittlerweile die Haushalte, die Nettozahler sind, in der Minderheit sind. Das heißt also, jene Haushalte, die eigentlich mehr in das System einzahlen, als sie dann an Transferleistungen herausbekommen, sind mittlerweile ihrer Anzahl nach bundesweit die Minderheit.
Das sollte uns bewegen und das kann uns nicht wurscht sein, wenn wir zwei Dinge ernst nehmen, und zwar zum Ersten den Begriff der Freiheit beziehungsweise, als Synonym dafür, den Begriff der Eigenständigkeit. Da muss es uns doch als Politik daran gelegen sein, dass die Menschen von ihrem Erwerbseinkommen leben können und nicht auf Transferleistungen angewiesen sind! (Beifall bei der ÖVP.)
Und es sollte uns auch zu denken geben, wenn wir den Begriff Solidargesellschaft ernst nehmen, denn in einer echten Solidargesellschaft sollte doch der Normalzustand sein, dass die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in das Sozialsystem einzahlt, in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit einzahlt, um dann in der Not, wenn es notwendig ist, egal, wie lange diese Not dauert, auch etwas zu empfangen. Eine Solidargesellschaft, in der eigentlich die wachsende Mehrheit Transferempfänger ist und eine schrumpfende Minderheit das System am Laufen hält, riskiert nicht nur eine Polarisierung unserer Gesellschaft, sondern über kurz oder lang auch die Entsolidarisierung - und auch das sollte uns, über Parteigrenzen hinweg, nicht egal sein. (Beifall bei der ÖVP.)
Um konstruktiv anzuschließen bei einer weiteren Sache, die Sie gesagt haben, Herr Stadtrat, nämlich im Bereich der Innovationsförderung und im Bereich der Forschung, dass es für Wiens wirtschaftliches Gedeihen wichtig sein wird, dass wir junge, innovative Unternehmen, kleine Unternehmen, mittlere Unternehmen hier ansiedeln, dass wir sie unterstützen: Da stehen wir ganz dahinter - da stehen wir, glaube ich, auch über Parteigrenzen dazu -, und dazu haben wir heute auch einen Antrag eingebracht und haben eine konkrete Forderung, nämlich dass die Stadt Wien und dass die Stadtregierung der Stadt Wien eine Standortstrategie erarbeiten soll und vorlegen soll.
Was meinen wir damit? Wien hat exzellente Ausgangspositionen: Erstens starke Infrastruktur, zweitens großartige Lebensqualität, drittens einen hervorragenden Talente-Pool. Wir haben auch eine beachtliche Leistung, international gesehen, in der Grundlagenforschung. Ich glaube beziehungsweise wir glauben aber, dass es für einen Standort auch wichtig ist, für bestimmte Schwerpunkte zu stehen, für diese auch das Wort zu ergreifen und für diese international bekannt zu sein. Das ist nicht eine binäre Sache, dass man da nur noch für ein, zwei Sachen steht und nur noch für ein, zwei Sachen bekannt ist und für den Rest nicht mehr. Boston hat es als Stadt sehr, sehr gut geschafft, ein internationaler Hub für Life Sciences zu sein, aber natürlich gibt es auf Grund der Universitäten auch viele andere Unternehmen, die sich dort ansiedeln. Lissabon hat es in den letzten Jahren geschafft, bekannt dafür zu sein, dass sich sogenannte Digital Nomads dort ansiedeln, aber trotzdem gibt es natürlich viele andere Unternehmen genauso. Und so könnte Wien auch ein, zwei Schwerpunkte setzen, sich ambitioniert das Ziel setzen, dafür in Europa an der Spitze zu sein und auch wirklich einen positiven Pull-Faktor zu geben. Das könnte im Bereich des Gesundheitswesens oder der Life Sciences sein - da haben wir gute Voraussetzungen -, das könnte im Bereich der Quantenforschung und der daraus resultierenden Spin-offs sein - da haben wir auch neben Innsbruck einen wirklich internationalen Stand -, es können auch ganz andere Bereiche sein. Ich glaube aber, es braucht diesen Mut, und der muss einhergehen mit einem Fokus nicht nur auf Grundlagenforschung - die selbstverständlich die Grundlage, wie der Name schon suggeriert, von allem ist -, sondern auch auf die angewandte Forschung und die Umsetzung in Patente und University-Spin-offs, genauso wie auch die Abholung aller verfügbaren Mittel von europäischer Ebene und von Bundesebene, worüber es aktuell nicht wirklich eine transparente Datenlage gibt, die zeigen würde, ob das auch gelebt wird.
Daher unser Vorschlag, diesen Prozess anzustoßen - Wahlkampf hin oder her -, das jetzt zu beginnen. Wir hoffen auf Ihre Zustimmung und wir freuen uns jedenfalls auf die weitergehende Debatte. - Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Bevor ich GR Florianschütz das Wort erteile, gebe ich bekannt, dass sich GR Stadler für die Zeit von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr entschuldigt hat. - Als Nächster zum Wort gemeldet ist, wie gesagt, GR Florianschütz. Selbstgewählte Redezeit neun Minuten, die ich Ihnen jetzt einstelle. Sie sind am Wort.
GR Peter Florianschütz, MA, MLS (SPÖ): Frau Vorsitzende! Herr Stadtrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist jetzt schon vieles zum Thema Europa und die Stellung der Stadt in Europa gesagt worden, und - ich habe Ihnen das hier bereits mehrfach berichtet - Wien ist natürlich, als eine der zentralen Metropolen im Zentrum Europas gelegen, ein Dreh- und Angelpunkt für viele, viele verschiedene Projekte, die wir aktiv mitgestalten. Frau GRin Wieninger hat Ihnen über die Donauraumstrategie
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