Gemeinderat, 40. Sitzung vom 27.06.2023, Wörtliches Protokoll - Seite 55 von 115
dürfen nicht mit diesem - ich sage einmal - Trittbrettfahrertum so einfach weiterwurschteln. Wir müssen hier ganz klar sagen, in welche Richtung geht das.
Aber zurück nach Wien. Wien ist international durch die MA 27 vertreten, die heuer ihren 20. Geburtstag feiert. Und Wien ist sehr gut durch die MA 27 vertreten. (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Wien ist mitten im Zentrum Europas, und es ist für unseren Standort wichtig, dass Europa in Wien und Wien in Europa gut vertreten sind. Das gilt für viele Bereiche, so auch zum Beispiel im Bereich der Forschung und der Wissenschaft. Und so ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist dieses neue Wasserlabor der BOKU, das mit EU-Fördergeldern eröffnet wurde. Auch das wertet den Forschungsstandort auf.
Es ist auch wichtig, dass Wien bei der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Neben der akuten und aktuellen Unterstützung für die Ukraine leistet Wien zum Beispiel auch in Albanien essenzielle Arbeit im Bereich der Berufsausbildung, gerade für junge Menschen und vor allem für Mädchen und junge Frauen. Mit 400.000 EUR im Jahr leistet Wien für die 3 Jahre auch einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Arbeitsmarktes in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft.
Die ÖVP hat heute einen Antrag zum Bekenntnis zur EU gebracht, und natürlich ist das wichtig. Aber das sollte schon vollständig und nicht halbherzig sein, denn letztendlich, es gibt keine EU-Mitgliedstaaten zweiter Klasse. Und da spreche ich sehr klar das an, wogegen sich die ÖVP ja ausgesprochen hat, nämlich den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Es gibt eben keine zwei Klassen. (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Und das betonen auch sehr viele Unternehmen, ich habe das heute auch schon gesagt. Es gibt vollkommenes Unverständnis bei sehr vielen Unternehmen, auch wenn ich mir hier ein Zitat vom Generaldirektor der „Ersten“ anhöre, der sagt, der europäische Gedanke sei für die „Erste“ keine Floskel, sondern tiefste Überzeugung. Ich glaube, das ist das, was Sie sich auch vorwerfen lassen müssen, dass Sie hier mit zwei Klassen agieren. Das ist für uns unverständlich, und deswegen bringen wir heute auch einen Resolutionsantrag ein, der Sie auffordert, mit der Blockadehaltung beim Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien Schluss zu machen, denn hier geht es ja auch um sehr, sehr wichtige Fachkräfte, die wir zum Beispiel im Pflegebereich, und so weiter brauchen.
Auch das ist eine ganz wichtige Situation, der wir uns stellen müssen, und da kann man nicht einfach so sagen, das ist erste Klasse EU, das ist zweite Klasse EU, ganz nach dem, wie man es will. Und der Einzige, dem ich hier wirklich Ihren europäischen Glauben und das Pro-Europa zugestehe, ist (GR Mag. Manfred Juraczka: Sag‘s!) der Othmar Karas. Bin gespannt, wie Sie damit umgehen. (Beifall bei NEOS und SPÖ. - Heiterkeit bei der ÖVP.) - Ich finde es ja eh lustig, dass Sie darüber lachen, dass Ihr EU-Fraktionsführer hier einfach so belächelt wird. Aber es spielt ja keine Rolle, das ist halt Ihr Verständnis von Europa, es ist nicht unseres, und ich bin stolz, dass wir hier eine ganz klare pro-europäische Haltung einnehmen und alles tun werden, um Europa noch stärker zu machen. - Vielen Dank. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächster ist GR Kunrath zu Wort gemeldet. Selbstgewählte Redezeit sind neun Minuten.
GR Nikolaus Kunrath (GRÜNE): Werte Frau Vorsitzende! Herr Stadtrat! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer via Livestream!
Die letzten Jahre, insbesondere seit dem 24. Februar 22, haben eindrucksvoll gezeigt, dass europäische Politik uns alle etwas angeht, auch wenn einige dies nicht wahrhaben wollen, wie wir auch heute wieder feststellen mussten. Während die Mehrzahl der Britinnen und Briten gerade die Zeche für die Brexit-Entscheidung bezahlen und sich bereits rund 60 Prozent wieder für einen Eintritt in die EU aussprechen, erleben wir in den letzten Tagen wieder einen Egoismus und eine NettozahlerInnendebatte. Leider nicht nur von der FPÖ, von der ich nichts anderes erwartet habe und was heute auch von Krauss wieder bestätigt wurde, sondern auch von ExponentInnen der ÖVP (GR Mag. Dietbert Kowarik: Gott sei Dank!), deren stellvertretender Parlamentspräsident dann korrigierend und scharf gegen diese Position eingreifen und die Tatsachen feststellen musste. - Peinlich, wenn das der eigene Delegationsleiter macht. - Doch es wird, so fürchte ich, nicht lange dauern und bei der nächsten Krisenverschärfung rufen dieselben nach Hilfe, die jetzt kräftig schimpfen.
Ja, ab und an kritisiere selbstverständlich auch ich die EU, was trotzdem auch angebracht sein kann. Aber die EU verändert sich meines Zeichens, und nicht nur so, wie Herr Krauss heute zitiert hat, über die Korruptionsvorwürfe, die im Europäischen Parlament gemacht werden, sondern die Europäische Union verändert sich von einem neoliberalen Projekt, wie es in den letzten zehn Jahren zu Recht angesehen wurde, zumindest optimistisch betrachtet in Richtung mehr Solidarität und mehr Nachhaltigkeit. Dies zeigt sich in der stärkeren Betonung der sozialen Rechte bei der Richtlinie für angemessene Mindestlöhne, aber auch zum Beispiel beim Corona-Aufbaufonds. Die Bürger und Bürgerinnen werden so vor staatlicher Willkür, wie sie bei Rechtsstaatlichkeitsprinzip zum Beispiel auch wieder vorkommen, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen geschützt, Rechtsstaatlichkeit wird ein Prinzip, das in Ungarn schon Anwendung findet und wo in Polen gerade eine Anwendung getroffen wird. Es ist also nicht so, dass, wie von ÖVP und FPÖ immer wieder behauptet, alles Böse aus Brüssel kommt, sondern es sind fast immer einzelne Nationalstaaten, die im Rat wichtige Entscheidungen blockieren oder verwässern, wirtschaftliche Sanktionen gegen die russischen KriegsverbrecherInnen als Beispiel, das Aus für Verbrennungsmotoren als Beispiel oder die Schaffung legaler Wege für Geflüchtete, oder, wie auch gerade vorher von Kollegen Gara erwähnt, die Blockade der Schengen-Erweiterung.
Leider muss ich aber auch feststellen, dass die Stadt Wien ihre Möglichkeiten nicht immer nutzt. Ich erwähne hier ein besonders drastisches Beispiel aus dem Gemeinderatsausschuss für europäische und internationale Angelegenheiten vom 1. Februar dieses Jahres. Da ging es um den Entwurf einer EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur. Doch anstatt sich zu freuen, dass endlich auch Europa-weit konkrete Maßnahmen für die
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