Gemeinderat, 26. Sitzung vom 21.09.2022, Wörtliches Protokoll - Seite 85 von 133
Vielleicht zum Poststück, das uns eigentlich vorliegt: Wir werden wie jedes Jahr den Entwicklungszusammenarbeitsförderungen zustimmen. Man kann natürlich trefflich darüber diskutieren, wie viel Entwicklungszusammenarbeit überhaupt helfen kann, ob es Sinn ergibt, Projekte mit 30.000 EUR zu fördern oder ob das nicht zu wenig ist und es vielleicht besser wäre, weniger Projekte mit mehr zu fördern. Wie dem auch sei, wir unterstützen diese Vorgehensweise wie jedes Jahr und werden dem Poststück auch zustimmen.
Was ich aber heute mitgebracht habe, ist ein aktueller Konflikt am Rand Europas in der europäischen Nachbarschaft, über den aber gar nicht gesprochen wird. Man möge spekulieren, ob bewusst nicht gesprochen wird oder ob er einfach im Trubel der Ereignisse untergeht. Es ist vor wenigen Tagen zu erneuten Kriegshandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan gekommen, und zwar nicht nur in der Region Bergkarabach, die ja teilweise von den Russen demilitarisiert wurde, teilweise wieder bereits armenisches Territorium ist, wobei die Grenzen noch nicht feststehen, sondern es auch nachweislich zu Einschlägen auf armenischem Territorium, armenischem Kernland gekommen ist. Es wurden drei Orte auf armenischem Gebiet beschossen, Goris, Sotk und Dschermuk. Zirka 50 km² armenischen Territoriums dürften laut Angaben der armenischen Regierung inzwischen unter dem Einfluss von Aserbaidschan stehen.
Es haben die EU und Österreich beide Konfliktparteien dazu aufgerufen, wieder zum Verhandlungstisch zurückzukehren. Eindeutiger haben sich die USA und Frankreich geäußert. Beide Staaten haben Beweise vorgelegt, dass es tatsächlich zu einseitigen Angriffen auf armenisches Territorium durch Aserbaidschan gekommen ist und haben diese Aggression Aserbaidschans auch verurteilt.
Warum ist die Lage derartig prekär? Ich habe Ihnen in dem Antrag auch eine Karte beigelegt, ich zeige Ihnen das auch. Aserbaidschan hat ein exterritoriales Gebiet, das exterritoriale Gebiet ist eine Provinz, die an die Türkei angrenzt. Wenn es jetzt Aserbaidschan gelingt, wie einige Experten vermuten, dass das der Plan ist, den Südteil Armeniens unter seine Herrschaft zu bringen, dann hat Aserbaidschan an der iranischen Grenze eine Landbrücke zur Türkei, zum Verbündeten Türkei. Wir alle wissen, dass die Türkei ja sehr aktiv dabei ist, Aserbaidschan in diesem Krieg gegen Armenien zu unterstützen.
Es hat der Iran gesagt, sie würden es nicht akzeptieren, dass sich seine Grenze zu Armenien ändert, und das bedeutet, wir haben eine absolut gefährliche Lage zwischen dem nicht so kleinen Player Iran, zwischen Armenien, Aserbaidschan und seinem Verbündeten Türkei. Türkische Politiker haben in diesem Zusammenhang sehr deutliche Worte gefunden. Der Vorsitzende der türkischen großen Einheitspartei hat Richtung Armenien gesagt, die Türkei hat das Vermögen, Armenien von der Landkarte und von der Geschichte verschwinden zu lassen. Es ist also kein Hirngespinst, das ist eine reale Gefahr, dass ein Land in der europäischen Nachbarschaft Teile seines Territoriums verlieren könnte oder früher oder später ganz von der Landkarte verschwindet.
Ich darf Sie auch darauf aufmerksam machen, dass mit dem Angriffskrieg Russlands die Spielregeln der europäischen Nachkriegsordnung eigentlich grundlegend geändert wurden, von Regeln des Verhandlungstisches, des Grünen Tisches, zu Regeln der Macht des Faktischen. Was ist die Macht des Faktischen in internationalen Beziehungen? - Das ist militärische Stärke, die Aserbaidschan hat, das sind starke Verbündete, die Aserbaidschan mit der Türkei hat, und das sind gegebenenfalls auch Ressourcen, die vielleicht die Artikulationsfähigkeit anderer Staaten in den Hintergrund treten lassen.
Jedenfalls bin ich froh, dass wir als Menschenrechtsstadt, dass wir als Wiener Gemeinderat einen Allparteienantrag zusammengebracht haben, diese aggressiven Handlungen sowie jede Art von kriegerischen Auseinandersetzungen zu verurteilen und dass wir auch die mutmaßlichen Angriffe auf armenisches Territorium mit dem mutmaßlichen Versuch, armenisches Territorium seitens Aserbaidschan unter Kontrolle zu bringen, verurteilen. Danke schön. (Beifall bei ÖVP und GRÜNEN sowie von GRin Mag. Dolores Bakos, BA.)
Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau GRin Weninger. Ich erteile es ihr. Bitte, Frau Gemeinderätin.
GRin Katharina Weninger, BA (SPÖ): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich möchte noch einmal kurz auf das eigentliche Poststück zu sprechen kommen, weil die Diskussion über die Mittel der Stadt Wien, über die Entwicklungszusammenarbeit ja eine Diskussion ist, die uns jedes Jahr begleitet. Dieses Jahr ist die Diskussion allerdings um eine Dimension erweitert, und zwar um den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, denn dieser Krieg hat natürlich auch massive Auswirkungen auf die Länder, die wir mit den freigegebenen Mitteln der EZA unterstützen. Die Ukraine ist einer der größten Exporteure von zum Beispiel Mais, Weizen oder Sonnenblumenöl. Dementsprechend hat der Krieg nicht nur zu explodierenden Preisen auf den Energiemärkten geführt, sondern auch zu sehr hohen Preisen und Knappheit bei essenziellen Nahrungsmitteln. Dadurch wurde die Situation in den Entwicklungsländern zusätzlich verschärft und unsere Hilfe dementsprechend umso notwendiger.
Als Stadt Wien helfen wir mit langjährigen Partnerorganisationen wie dem Samariter-Bund oder dem Roten Kreuz direkt vor Ort, dieses Jahr alles unter dem Motto „Armut vermeiden“. Was mich persönlich extrem freut, ist, dass so viele Projekte in diesem Jahr auch einen klaren Frauenschwerpunkt haben. Ich werde allerdings meine Rede an dieser Stelle abkürzen, weil Kollege Kunrath die Projekte auch wirklich schon sehr, sehr gut vorgestellt hat (GR Nikolaus Kunrath: Ohne Humboldt!), und ich mir denke, wir müssen die Sache jetzt nicht zwei Mal hören. All diese Projekte, die hier gefördert werden, sind nachhaltige Programme, die durch die Stadt Wien ermöglicht werden. Auch wenn das die FPÖ nicht hören mag, das ist gelebte Solidarität und das ist gut so. Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)
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