Gemeinderat, 72. Sitzung vom 02.07.2020, Wörtliches Protokoll - Seite 7 von 40
Das, was wir die letzten Tage in Favoriten gesehen haben, ist entsetzlich. Ich bin entsetzt über die Bilder, die produziert werden. Ich bin entsetzt darüber, dass es solche Ausschreitungen auf den Wiener Straßen gibt. Und ich bin entsetzt darüber, dass Konflikte, die in der Türkei schwelgen, jetzt bei uns in Wien auf den Straßen ausgetragen werden. Aber genauso entsetzt bin ich darüber, wie die politische Debatte darüber abläuft, was wir denn verändern können, weil wir müssen gemeinsam schauen, wie schaffen wir es, solche Eskalationen zu verhindern, indem wir durch gute Bildung auch eine Integrationspolitik ermöglichen, dass es nicht zu solchen Ausschreitungen kommt. Und was ist die politische Diskussion hier in diesem Haus? Es ist ein Hickhack, wo die ÖVP die Integrationspolitik der Stadt dafür verantwortlich macht, obwohl Sebastian Kurz selbst Integrationsstaatssekretär war. (Zwischenrufe.)
Wo aber auch auf der anderen Seite, Herr Taucher, liebe SPÖ, Rot-Grün die Verantwortung wegdelegiert auf die Bundesebene. Und natürlich hat man eine eigene Verantwortung. Man hat in Wien über Jahre, über Jahrzehnte auch weggesehen. Man hat Probleme verleugnet. Man ist Integrationsprobleme nicht konsequent angegangen.
Der Schlüssel für die jetzige Situation ist natürlich in einem ersten Schritt sicherheitspolitisch, das ist ganz klar. Wir brauchen die Polizei. Wir brauchen aber auch Behörden, die funktionieren. Wer ist denn zuständig, um Vereine auch zu durchleuchten, wenn sie verfassungswidrige Tätigkeiten leben? Das Innenministerium. Und es gibt ja ein BVT und das BVT wurde in der letzten Bundesregierung zerschossen! Das BVT ist nicht handlungsfähig, auch wieder wegen parteipolitischem Hickhack. Wegen Umfärbeaktionen ist hier die Institution, die uns eigentlich schützen soll, nicht intakt, und das ist ein Versagen der Politik, das wir hier sehen. Es muss hier in diesem Haus ein Konsens herrschen, dass das, was wir sehen, inakzeptabel ist. Dass wir den Feinden der liberalen Demokratie keinen Millimeter weichen dürfen, denn es gibt keine Toleranz gegenüber Intoleranten. Und es darf auch keine Toleranz gegenüber Extremisten geben, egal, auf welcher Seite die Extremisten sind. Wir dürfen so etwas in unserer Stadt nicht tolerieren!
Die Polizei muss die Sicherheit gewährleisten. Hier danke ich auch den Polizistinnen und Polizisten für ihren Einsatz. Es wurde deeskaliert, es war wichtig und richtig so. Es müssen solche Konflikte deeskaliert werden.
Aber hier ist es auch die Verantwortung der Politik, auch zu deeskalieren und nicht auch noch zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen. Wien ist eine weltoffene Stadt und Wien soll eine weltoffene Stadt bleiben. Es muss hier auch ein friedliches Zusammenleben geben, unabhängig von der Herkunft, von der sexuellen Orientierung, von der Religion. Ich möchte in einer Stadt leben, wo Toleranz herrscht, wo Weltoffenheit herrscht und wo nicht Extremisten auf der Straße Konflikte austragen, die auch unser friedliches Zusammenleben gefährden.
Kurzfristig ist es ein Sicherheitsthema. Aber viel wichtiger ist die Frage, wie wir es schaffen, dass es gar nicht so weit kommt, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die bei uns zur Schule gegangen sind, sich durch türkische Propaganda mehr angesprochen fühlen als durch das gemeinsame Wertverständnis. (Zwischenruf: Ja, das gibt’s eben nicht! Das ist das Problem!) Ja, und hier sieht man das Versagen in der Bildungspolitik, in der Integrationspolitik, weil so weit darf es gar nicht kommen, dass Jugendliche, die bei uns zur Schule gegangen sind, nicht gelernt haben, was offene Werte sind, was Toleranz heißt, was Verständnis heißt. Aber ich verstehe schon, von Seiten der FPÖ will man das ja auch gar nicht, sondern man will Angst schüren und man möchte ja auch die Spaltung, weil die Spaltung ist Ihr politisches Geschäft! Die Spaltung ist das, wo die FPÖ, aber leider auch die ÖVP davon profitieren. Darum ist man nicht an Integrationspolitik interessiert. Weil wo kommen dann die hunderten Jugendlichen her, die hier auf der Straße randalieren? Die waren in unseren Schulen und dort haben wir sie nicht erreicht. Die SPÖ sagt zwar, kein Kind zurücklassen, aber hier sieht man, es wurden Hunderte von Kindern zurückgelassen und wir haben es nicht geschafft, diesen jungen Menschen eine Perspektive zu geben und vor allem eine Weltanschauung zu geben, dass man Konflikte friedlich austrägt und diskutiert, aber nicht mit Gewalt austrägt. Was kann man dagegen machen? Der führende Experte Kenan Güngör hat hier auch einen guten Vorschlag gebracht, nämlich Demokratieunterricht auch an die Schulen zu bringen. Demokratieunterricht an die Schulen zu bringen als Ort, wo Jugendliche zusammenkommen und auch lernen können, was Demokratie bedeutet, was ein demokratischer Umgang auch bedeutet. Ähnlich hat es London gemacht. In London gibt es an den Schulen auch einen verpflichtenden Ethikunterricht, der auch mit Werten verbunden ist, damit Kinder und Jugendliche, die auch aus anderen Kulturkreisen, aus Ländern zu uns kommen, sich über gemeinsame Werte verständigen können, über die liberale Demokratie, über Aufklärung, über Toleranz. Das ist die Aufgabe der Schule, hier diese Kinder auch zu unterrichten, und das über einen Ethikunterricht, über einen verpflichtenden Ethikunterricht, dass eine gemeinsame Verständigung über Werte auch an den Schulen möglich ist.
Und dass die Freiheitlichen das nicht wollen, ist traurig, aber auch nicht sehr überraschend. Ich hab‘ die feste Überzeugung, dass, wenn Jugendliche frühzeitig lernen, im Rahmen eines Ethikunterrichts auch andere Meinungen zu tolerieren und zu hinterfragen, dass dann solche Gewaltexzesse viel weniger stattfinden werden. Das ist neben der sicherheitspolitischen Aufgabe die Zukunftsfrage: Wie schaffen wir gelungene Integration durch gute Bildung?
Und was passiert? Leider das Gegenteil. Wir bräuchten mehr Ressourcen an den Schulen, damit sich auch Sozialarbeiter um Konflikte kümmern können, die dort schon gären. Aber wir haben zu wenig Unterstützung an den Schulen. Und vor allem das, was jetzt passiert, Stellen zu streichen an den Wiener Schulen, ist eine Katastrophe. Es führt dazu, dass es weniger individuelle Förderung gibt, und dazu, dass dann auch solche Fehlentwicklungen bei Jugendlichen ermöglicht werden, weil
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