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Gemeinderat, 46. Sitzung vom 20.12.2018, Wörtliches Protokoll  -  Seite 23 von 90

 

Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr GR Mag. Gremel. Ich erteile ihm das Wort.

 

10.51.18

GR Mag. Marcus Gremel (SPÖ)|: Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Stadtrat! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Zuseherinnen und Zuseher!

 

Ich fange vielleicht mit etwas Positivem an: Als ich den Titel für die heutige Aktuelle Stunde gelesen habe, habe ich mich eigentlich gefreut. Ich habe mich darüber gefreut, dass die FPÖ offensichtlich nicht mehr davon ausgeht, dass der Kindergarten nur eine Garderobe ist, wo berufstätige Rabenmütter ihre Kinder halt abgeben, sondern erkannt hat, dass es sinnvoll ist, ein Pädagogikkonzept auch im Kindergarten zu haben, und damit auch den Kindergarten als erste wichtige Bildungseinrichtung anerkannt hat. Also ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu Ihrem persönlichen Lernerfolg in dieser Sache! (Beifall von GR Mag. Josef Taucher.) - Klatscht nachher, ich habe nicht so viel Zeit.

 

Ich habe mir dann überlegt: Okay, worüber würde ich gerne mit Ihnen reden, wenn es um Pädagogikkonzepte vom Kindergarten bis zum Außerschulischen geht? Ich würde es spannend finden, einmal darüber zu reden, wie man im Kindergarten am besten mit Kindern arbeitet, damit sie ihre Potenziale auch möglichst gut entfalten können: Dass man ihnen zum Beispiel nicht alles vorgibt, sondern dass man sie selber forschen und entdecken lässt, dass man Fragen stellt, um das noch zu fördern. Das wäre einmal eine spannende Diskussion.

 

Ich würde es auch interessant finden, über Rahmenbedingungen zu reden. Gerne, reden wir über Betreuungsverhältnisse, Frau Kollegin Schwarz! Ich bin da sehr dafür, dass wir alles Mögliche tun, um diese noch zu verbessern. Nur sage ich Ihnen halt auch: Wenn der Bund überall, wo es geht, Mittel kürzt und auch beim Ausbau der Kindergärten sozusagen gerade einmal nicht einspart, dann ist das in einer wachsenden Stadt halt echt schwierig. Also auch wir müssen uns da leider nach der Decke strecken.

 

Ja, aber was kam da jetzt vorher wieder von der FPÖ? - Nun, im Wesentlichen scheint das Pädagogikkonzept der FPÖ zu sein: Keine Ausländer in den Bildungseinrichtungen und auf gar keinen Fall ein Kopftuch im Kindergarten, obwohl das ohnedies nicht einmal ein Kind im Jahr in Wien hat. Also wenn das Ihr Pädagogikkonzept ist, dann fehlen mir, ehrlich gesagt, ein bisschen die Worte.

 

Ich wollte Ihnen aber ohnedies nicht den Gefallen tun und wieder auf Sie reinfallen und diese ganze Migrationsdebatte mit Ihnen führen. Ich würde vielmehr ganz gerne die Gelegenheit nutzen, um ein bisschen auf das Pädagogikkonzept des Bundes einzugehen. Das ist nämlich, glaube ich, jenes Gesetzespaket der letzten Jahre, das am meisten einhellig von allen Expertinnen und Experten, die mir aufgefallen sind, kritisiert wurde. Minister Faßmann weiß das ja auch ganz genau, wenn er sagt - ich zitiere -: „Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung.“ Ich übersetze Ihnen einmal, was das heißt. Das heißt übersetzt: Ja, ich weiß eh, dass das nicht gescheit ist, aber der Sebastian und die FPÖ haben mir das halt angeschafft, also mache ich das jetzt. - Man kann ja unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche politische Problemlösungsansätze haben, aber ich erwarte mir halt schon von uns allen, dass wir einen Grundkonsens haben, nämlich den Grundkonsens, dass wir uns Problemstellungen auf der Basis von Evidenz und Fakten nähern. Diesen Grundkonsens haben Sie jedoch unter Sebastian Kurz verlassen, beziehungsweise Sie waren sowieso nie dort.

 

Inhaltlich geht es bei diesem Paket um die Einteilung von Kindern, das Stecken in Schubladen, und zwar in Gut und in Schlecht, in Schlau und in Dumm, in Chancenreich und in Chancenlos. Darum geht es bei diesem Paket, darum geht es bei den Noten, darum geht es beim Sitzenbleiben. Es ist doch ganz normal, dass Kinder in diesem Alter unterschiedliche Entwicklungen in unterschiedlichen Bereichen haben. (VBgm Dominik Nepp, MA: Also brauchen wir die Gesamtschule, weil jeder unterschiedlich ist!) Manche können früher gut rechnen, andere können früher gut schreiben. So, wenn jetzt eine Schwäche genau in der Schule festgestellt wird, dann heißt es: Pech gehabt! Dann gibt es eine schlechte Note oder es kommt gar zum Sitzenbleiben, jedenfalls war es das mit dem Gymnasium.

 

Der von Minister Faßmann angekündigte Talente-Check ist ja auch nichts anderes. Dadurch wird die ohnehin schon viel zu frühe Bildungswegentscheidung in Österreich noch um ein Jahr vorverlegt. Wir reden da bitte von achtjährigen Kindern! Was glauben Sie, was Sie damit den Eltern und auch den Kindern für einen Druck auferlegen! Diese Prüfungssituation in diesem Alter, die über den weiteren Bildungsweg maßgeblich entscheidet, das ist ein Wahnsinn!

 

Wenn es Schwächen gibt, dann muss man natürlich daran arbeiten, aber man wird diese Defizite nur auflösen können, wenn man Selbstvertrauen stärkt, wenn man Interesse weckt - aber nicht mit Fünfer, Sitzenbleiben und Ausgrenzen. Das bringt überhaupt nichts, das macht alles nur noch viel schlimmer.

 

Es ist absolut der falsche Weg, den der Bund da eingeschlagen hat. Anstatt die Kinder in Schubladen zu stecken, muss man viel mehr auf sie individuell eingehen, sie in ihren Stärken und Schwächen fördern, sie dazu befähigen, dass sie ihre Interessen und Bedürfnisse auch gescheit entfalten können. Was Sie da machen - weil Sie uns immer linke Experimente vorwerfen -, sind nichts anderes als Retroexperimente. (GR Armin Blind: Da hat die Schule noch funktioniert, Herr Kollege! Da hat man noch Ergebnisse gehabt, die …) Wobei „Experimente“ eh nur bedingt das richtige Wording ist, weil wir ja jetzt schon wissen, was dabei rauskommt - man braucht ja nur in die Geschichte zu schauen -: schlechtere Lernerfolge, mehr Ungleichheit und noch weitere Vererbung des Bildungsstatus.

 

Wir werden jedenfalls nicht zusehen, wie Sie unser Bildungssystem zurück zu pädagogischen Standards der 50er Jahre führen. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

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