Gemeinderat, 37. Sitzung vom 24.05.2018, Wörtliches Protokoll - Seite 46 von 70
Wir können in Ungarn nicht viel dazu beitragen, aber Wien kann als Menschenrechtsstadt und als Hauptstadt einer Demokratie vorzeigen, wie man es besser macht und nicht nachgibt, wenn es darum geht, dass soziale Sicherheit demontiert werden soll, wie das in anderen Staaten geschieht.
Europa baut heute wieder Zäune um sich. Damals hat Herr Außenminister Mock den Zaun durchgeschnitten. Heute ist Herr Kurz dabei, gleiche Zäune an anderen Orten wieder aufzustellen, und zwar nicht nur verbal, sondern tatsächlich. Heute sterben an den Außengrenzen der Europäischen Union mehr Menschen als damals am Eisernen Vorhang.
Welchen Beitrag kann man in Wien in diesem Zusammenhang leisten? Logisch ist, dass eine Institution wie die Europäischen Union, die heute mehrfach als großes Friedensprojekt angesprochen wurde, natürlich, um eine Legitimation zu haben, dafür sorgen muss, dass alle, die hier wohnen, sozial sicher und in Frieden leben können.
Wenn sehr viele Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder arbeitslos sind, nicht mehr von ihrem Einkommen leben können, dann darf man sich nicht wundern, dass die nicht alle meinen, dass in diesem Zusammenhang hier total tolle Projekte abgewickelt werden! Wenn ich selber am 20. nicht mehr weiß, wie ich meinen Kühlschrank halb voll bekomme, und wenn ich nicht weiß, wie ich meine Wohnung im Winter heize, dann fällt es sehr schwer, von einer ganz tollen Demokratie beziehungsweise einer tollen Institution zu sprechen. Im Hinblick darauf rentiert es sich aber, überall dafür zu kämpfen, dass alle - in Wien sind das über 1,8 Millionen Menschen - sicher, fair, gerecht und friedlich miteinander leben können.
Ich würde allerdings jetzt einmal fest behaupten, dass das gar nicht alle wollen. Wenn ich mir die Reden hier anhöre, habe ich nicht den Eindruck, dass sich alle darum kümmern wollen, jemandem aufzuhelfen, wenn er oder sie vor ihnen stolpert! Ich habe eher den Eindruck, für manche schaut es ungefähr so aus: Wenn fünf Kinder in den Teich fallen, dann helfen sie zwar diesen fünf Kindern, wenn aber das sechste hineinfällt, ist das Kontingent für sie erschöpft, weil sie schon fünf Kindern geholfen haben, und das sechste hat eben Pech gehabt.
So ähnlich wird über Mindestsicherung, über Löhne und über Leute, die Vollzeit arbeiten müssen, geredet. Und ich begrüße zwar, dass Michael Ludwig gesagt hat, dass er die Sozialpartner auch ins Rathaus holt, weil diese - unter anderem - die Löhne ausverhandeln oder dies zumindest tun sollten. Aber es ist schon seit Jahrzehnten das Gleiche, und das muss man zwischendurch auch deutlich ansprechen, weil das Oben und Unten sehr viel deutlicher geworden ist. Es geht um die Frage, wer die oberen 10 Prozent vertritt und wer anders handelt. Das muss irgendwann geklärt werden. Jeder hat das schon gehört, jedem wurde das schon erklärt, und mit jedem wurde darüber schon eine Auseinandersetzung geführt. Jetzt, da ÖVP und FPÖ gemeinsam regieren, bekommen wir das halt so offen dargelegt, wie schon lange nicht mehr: Wem nehme ich etwas weg? Wem gebe ich etwas? Wer bekommt weniger?
Ein treffendes und trauriges Beispiel ist für mich die Behandlung der Lehrlinge: Bei diesen wird von über 700 EUR auf 300 EUR hinuntergekürzt, und dann heißt es auch noch: Das ist genug! Wenn beispielsweise jemand mit 20 bis dahin ohne Ausbildung war und sich dann noch einmal aufrafft und endlich eine Lehre beginnt und deswegen ein bisschen mehr bekommt, dann heißt es: Nein! Der soll weniger haben! ÖVP und FPÖ sagen, dass man in einer überbetrieblichen Lehrlingsausbildung als 20-Jähriger nicht 700 EUR braucht, sondern dass da 330 EUR reichen. - Das ist ein Beispiel von dem, was sie gemacht haben.
Heute wurde das Wohnen sehr oft angesprochen: Wien ist das Bundesland, in dem die meisten Leute zur Miete wohnen, 62 Prozent im geförderten Wohnbau. Das führt dazu, dass sich 500.000 Wiener und Wienerinnen die Mieten in einer Gemeindewohnung oder Wohnung leisten können, wenn sie ein normales Einkommen erzielen.
Ich meine, es sollten zumindest diejenigen, die zwischendurch einen anderen Text gesagt haben, einmal selber überprüfen, was da alles auf uns zukommt! Es schwirren auf Bundesebene schon wieder gewisse Forderungen herum. Da gibt es beispielsweise die Forderung von den NEOS, man möge Befristungen bei Wohnungen in Zukunft nicht auf drei Jahre machen, sondern auf sechs Monate. Jeder, der einen Mietvertrag erhält, bekommt eine Befristung auf sechs Monate, und nach sechs Monaten kann gekündigt werden.
Das heizt den Wohnungsmarkt an und in Wien sagt man, glaube ich: Drei Mal umgezogen ist ein Mal abgebrannt. Wer alle sechs Monate umziehen muss, wird am Ende nicht nur mehr Maklergebühren, sondern natürlich auch mehr Miete zahlen, und man muss sich jedes Mal neu einrichten. - Solche Vorschläge kursieren auf Bundesebene, und diese würden, wenn das kommt, den privaten Wohnungsmarkt weiter anheizen. Dagegen wird es in Wien Widerstand geben von den GRÜNEN und von der SPÖ!
Ich meine, wenn wir in den nächsten Jahren soziale Sicherheit brauchen, dann müssen die Leute zuerst einmal irgendwo wohnen dürfen. Deswegen wird in Wien auch sehr viel Geld für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit ausgegeben, mehr als in allen anderen acht Bundesländern zusammen. Deswegen haben wir hier, obwohl wir eine Millionenstadt sind, nicht das Bild, das sich etwa in jeder englischen mittelgroßen Stadt zeigt, nämlich dass wirklich in jedem zweiten Geschäftslokal ein Obdachloser schlafen muss, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Das haben wir in Wien nicht! In Wien sind auch im letzten Winter wieder nur null Personen auf der Straße erfroren. Das können sich die in anderen Großstädten aufzeichnen! Leider gibt es nämlich ansonsten in jeder Millionenstadt im Winter mehrere Tote auf der Straße.
All das ist Politik. Das ist es, wenn Maria Vassilakou sagt: Was ist Politik? Was ist der Unterschied? Was macht den Unterschied zwischen Wien und anderen
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