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Gemeinderat, 31. Sitzung vom 15.12.2017, Wörtliches Protokoll  -  Seite 34 von 138

 

vollziehen können, warum Sie empfehlen, dass man darauf verzichtet, auch wenn ich sagen muss, es gibt sicher bessere Systeme, dass es hier gerechter funktioniert. Das ist das eine.

 

Das andere ist auch ein sehr spannender Punkt. Sie haben die Messbarkeit der Ziele der Armutsbekämpfung angesprochen. Das finde ich spannend. Hier haben Sie angeregt, dass man vielleicht darauf schauen soll, wie man qualitativ, quantitativ die Armutsbekämpfung messen kann, dass es nachvollziehbar wird, weil die Mindestsicherung mehrere Ziele hat. Das eine ist, in Notsituationen zu unterstützen, und zwar dann als Subsidiaritätsprinzip, das letzte soziale Netz, aber auch das Ziel, dass der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt funktioniert. Das halte ich für elementar wichtig. Insofern ist diese Messbarkeit der Ziele der Armutsbekämpfung gar nicht so einfach, weil - vielleicht haben Sie die eine oder andere Anregung - nirgendwo wird ganz klar festgelegt, was denn die Folgekosten sind, wenn man kürzt. In dem Bericht zum Beispiel sieht man es gut an einem Beispiel, wo es eine Kommunikation zwischen Ihnen vom Rechnungshof und der MA 40 gibt. Soll man wie sanktionieren oder kürzen bei Familien? Wie weit sollen diverse Familienmitglieder davon betroffen sein? Soll man auch Wohngeld, den Wohnanteil mitnehmen? Hat es da nicht gravierende Auswirkungen oder für die gesamte Familie, Stichwort Delogierung? Und heißt es nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch, dass da viel größere Folgekosten zu tragen sind? Das sind natürlich sehr grundsätzliche Fragen, auch wenn man kürzt oder wenn man Armutsbetroffene noch mehr in ihrem Handlungsspielraum einengt. Was heißt das dann? Gibt es verstärkte gesundheitliche Auswirkungen? Wir wissen, Armut macht krank. Wie wird das dann bemessen, auch darin, wenn man über Steuergelder spricht? Eine spannende Frage. Vielleicht haben Sie die Möglichkeit, auf die eine oder andere Frage später zu antworten.

 

Sie haben natürlich sehr viel in dem Rechnungshofbericht angeführt. Sehr spannend habe ich Ihr Beispiel vom September 2016 gefunden. Hier haben Sie klar festgestellt, dass 90 Prozent der BezieherInnen in der Mindestsicherung unter 1.000 EUR erhalten und dass weitere 8 Prozent zwischen 1.000 und 1.500 EUR erhalten und nur, glaube ich, 390 Bedarfsgemeinschaften mehr beziehungsweise eine Familie mit 10 Kindern dann den Höchstbetrag erhalten. Es war natürlich schade, dass vor allem medial die Familie mit den zehn Kindern kommuniziert und dadurch alles ein Stück weit relativiert oder unverhältnismäßig diskutiert worden ist. Es ist ganz klar, die meisten der MindestsicherungsbezieherInnen sind AufstockerInnen. Das drückt einfach aus, viele können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, Arbeitslosigkeit. Das ist das Elementare. Aber dafür kann ich Sie nicht verantwortlich machen, dass es medial so berichtet wird. Es ist aber wichtig, das im Zuge dieser Diskussion noch einmal festzuhalten.

 

Sie haben auch gesagt, dass es vereinheitlicht, transparent, Fremdenrecht, sehr komplexe Systeme gibt. Dann gibt es noch einen Punkt, der natürlich auch politisch diskutiert werden muss. Das ist Ihre Anregung, Wohngemeinschaft versus Lebensgemeinschaft, dass man es halt vereinheitlicht. Das ist natürlich eine politische Frage, sage ich ganz offen. In dem Augenblick, wo wir wissen, wir haben einen angespannten Wohnungsmarkt, wo wir wissen, dass sich die Wohnsituationen verändern und sich immer mehr Menschen auch in Wohngemeinschaften zusammenschließen, andere Wohn- und Lebensformen entstehen, ist es, glaube ich, politisch außerordentlich schwierig, diese alle als eine Familie zu bezeichnen. Wir sehen auch, ich glaube, das Beispiel war in Niederösterreich, wo dann in einem Frauenhaus Frauen, die gemeinsam wohnen, plötzlich als Familie gelten sollten. Spannend als Anregung muss man das dann halt politisch diskutieren.

 

Ein Punkt, das erlauben Sie mir noch, bei aller Wertschätzung, und das tue ich, in aller Deutlichkeit für Ihre Arbeit, ist natürlich Ihre Anregung, das Notstandshilfesystem mit dem Mindestsicherungssystem zu vereinheitlichen, zu harmonisieren. Eine heikle Frage! Wir haben das hier schon öfters diskutiert. Es war auch schon im letzten Rechnungshofbericht Thema. Vor allem hier in Richtung Hartz IV zu gehen, wo man genau merkt, in Deutschland hat es fast zu einer Verdoppelung der Kinderarmut geführt. Sie überlegen sich gerade wieder, von dem System wegzugehen. Wir - das muss man einfach wissen - haben vom Arbeitslosengeld her eine der niedrigsten Nettoersatzraten europaweit, 60 Prozent.

 

Das heißt, wenn ein neues System, muss man, glaube ich, sehr grundlegend überlegen, wie man das in Zeiten der Arbeitslosigkeit macht. Was macht es wirklich vom System her sicher genug für die arbeitende Bevölkerung - Menschen, die eingezahlt haben, Versicherungszeiten erworben haben -, dass sie sich darauf verlassen kann, wenn sie arbeitslos wird, nicht alles zu verlieren beziehungsweise für Menschen, die kein Netz haben, zumindest eine würdevoll Existenz und dann das Sprungbrett heraus zu haben?

 

Was bleibt über? Wir sind jetzt natürlich in einer Zeit, wo wir bei dem, was die mögliche neue Regierung angekündigt hat, vom 12-Stunden-Arbeitstag, von Mindestsicherungskürzungen, vom Angriff auf Sozialsystem, Arbeiterkammer & Co, besonders darauf schauen müssen, ein sozial stabiles System in Wien zu haben. Das sehen wir als unsere Aufgabe. Ich möchte, und deswegen dieses Beispiel der Mindestsicherung, noch einmal untermauern und aufzeigen, dass wir Ihre Anregungen sehr ernst nehmen, vieles davon umgesetzt haben und vieles davon umsetzen werden. All Ihre Anregungen, alles zu tun, dass Menschen aus der Mindestsicherung herauskommen, sind unsere Herzensprojekte in der neuen Mindestsicherung. Das heißt, dann gibt es halt politische Fragen, die wir diskutieren. Aber ich wollte diese Gelegenheit nützen, da Sie hier sind, dies ein Stück weit zu versachlichen.

 

Ich möchte Ihnen von Herzen für Ihre Arbeit danken und weiterhin alles Gute wünschen! - Vielen Dank. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)

 

Vorsitzender GR Mag. Dietbert Kowarik: Als nächster Redner zum Wort gemeldet ist Herr GR Dr. Koderhold. Ich erteile ihm das Wort.

 

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