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Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.06.2016, Wörtliches Protokoll  -  Seite 52 von 121

 

Teilen als auch altersstrukturmäßig ganz unterschiedlich gewählt hat. Und gesund und gut ist das nicht, insbesondere wenn man bedenkt, wie die Entscheidung zustande gekommen ist. Meine Damen und Herren, das muss uns eine Warnung sein.

 

Und da bin ich bei Ihnen, Kollege Jung: Wir sollten und müssen über die Frage der Europäischen Union seriös, kritisch und realistisch diskutieren. Das ist auch die einzige Chance, wie wir eine Begeisterung für Europa bei den Menschen erreichen können. Und das ist möglich! Jacques Delors hat einmal gesagt: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt.“ - Das ist richtig. Aber man verliebt sich in die Reisefreiheit, den kulturellen Austausch, das Neue, das Weltoffene. In das kann man sich verlieben, und für das muss man Werbung betreiben. Und das werden wir tun, und dazu lade ich alle ein - mit Skepsis, aber ich lade alle ein. (GR Mag. Wolfgang Jung: Haben Sie nachgefragt, was der Hauptgrund war bei den Leuten?)

 

Und dann muss man halt auch eines dazusagen: Die Argumentation, die auch heute immer wieder gekommen ist und die auch in der ganzen vorhergehenden Diskussion überwiegend gewesen ist, war eine wirtschaftspolitische. Es war immer eine wirtschaftspolitische Diskussion: Wie wirtschaftspolitisch wichtig ist der Binnenmarkt? - Aber Europa ist ja wesentlich mehr: Europa ist ein kulturelles und ein historisches Friedensprojekt. Und darum gilt es, das zu verteidigen. - Und jetzt war es kein Zwischenruf, sondern ein Zwischennicker, Kollege Jung, aber gesehen habe ich ihn schon.

 

Das Projekt der europäischen Einigung ist das Projekt eines Europas nach 1945. Und es ist - ja, ich weiß, das geht immer allen auf die Nerven, aber das ist schon wahr - ein Projekt, das erfunden wurde, um in Zukunft Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen auf diesem Kontinent zu verhindern. Und es ist, so gesehen, ein geglücktes Projekt. Ob es in jeder Detailphase immer genauso glücklich gewesen ist und ob es gut kommuniziert worden ist, bliebe eine andere Frage, aber unter dem Strich ist es ein erfolgreiches Projekt gewesen. Und es hängt mit anderen Projekten zusammen.

 

Und jetzt unterstelle ich etwas: Das wesentliche Ziel, die Agenda der mehr oder minder vereinigten Konservativen und Reaktionären dieses Kontinents ist es, diesen Human Rights Body, dieses geschlossene System vom Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte über die Grundrechtscharta, vom europäischen Parlamentarismus bis zu einer Weltoffenheit (GR Mag. Dietbert Kowarik: Parlamentarismus? Was haben die für Kompetenzen? - Keine!), von einem Rechtsstaat, von der Ära der Freiheit und des Rechts … (GR Armin Blind: Rechtsstaat in Europa? Da werden permanent Gesetze gebrochen! Wovon reden wir eigentlich?) - Wer bricht in Europa permanent Gesetze? Wer? Erzählen Sie mir das! (GR Armin Blind: … ausgehebelt! Schengen! Dublin!) - Faktum ist: Es ist ein geschlossenes Projekt, und dieses Projekt bekämpfen Sie mit allen Mitteln.

 

Und wenn ich mir die Zwischenrufe jetzt anhöre, dann zeigt sich schon: Wer ist es denn, der die tiefergehende Einigung Europas verhindert? Wer war denn das, der gesagt hat, wir dürfen uns nicht stärker zusammenschließen? Das waren doch wohl die Konservativen und nicht wir. (GR Mag. Wolfgang Jung: Das ist die Bevölkerung, wie Sie gerade bemerkt haben!) Nein, nein, das war nicht die Bevölkerung, das waren Sie! (GR Mag. Wolfgang Jung: Wer hat abgestimmt? Wir oder die Bevölkerung?) Das haben Sie gemacht! Sie haben das verhindert. Und das ist jetzt die „Haltet den Dieb!“-Logik: Zuerst geht man her und destabilisiert, indem man zum Beispiel den Egoismus zum Maßstab der Politik macht - siehe etwa Ungarn -, und dann behauptet man, Europa scheitert daran, dass es nicht solidarisch ist - was man ja verhindert hat. - Meine Damen und Herren, das ist unehrlich.

 

Was man vorwerfen kann - und das tue ich auch -, ist, dass Teile der sogenannten Eliten Europas dies nicht bemerkt haben oder nicht bemerkt haben wollen und auch nichts dagegen unternommen haben. Aber das muss man natürlich jetzt beenden.

 

Wien ist eine europäische Metropole. Wien lebt davon, im europäischen Kontext zu sein. Wien ist übrigens auch eine UN-Stadt, was gar nicht so wenig damit zusammenhängt. Und in diesem Bereich werden wir in Wien - und das wird auch eine zukünftige Schwerpunktsetzung des Ausschusses sein, das kann ich Ihnen versichern - offensiv für Europa, seine Errungenschaften und seine Vorteile werben, die Nachteile und die Probleme kritisch angehen und mit konkreten Verbesserungsvorschlägen kommen.

 

Nur: Was die Idee betrifft, das Europa der Nationen zu machen, so hat gestern, glaube ich, mein Klubobmann im Parlament etwas Richtiges gesagt, nämlich: Wer das Europa der Nationen zurückhaben will, wie es war, soll auf die Heldenfriedhöfe des Ersten und Zweiten Weltkriegs gehen. (GR Mag. Dietbert Kowarik: Billige Polemik ist das!) Das war das Europa der Nationalisten und der Eigenbrötler! (GR Mag. Dietbert Kowarik: Polemik ist das, Herr Kollege!) - Nein, das ist nicht polemisch. Das ist nicht polemischer als alles, was Sie den ganzen Tag hier herinnen praktizieren. Das möchte ich schon sagen. (GR Mag. Dietbert Kowarik: Das ist doch lächerlich! - Billigste Polemik!)

 

Und richtig ist: Seit dem Jahr 1945, seit dem Projekt Schumann, seit dem Projekt Winston Churchill, muss man ja sagen - das ist ja kein Sozialdemokrat, nicht wahr? -, ist es über den Prozess eines vereinigten und vertieften Europas gelungen, auf diesem Kontinent große Fortschritte zu erzielen und große Probleme zu lösen. Natürlich nicht alle - wir sind ja auch noch lange nicht fertig. Aber ich darf Ihnen sagen, dass ich mit gutem Mut und viel Optimismus in die Gegend sehe.

 

Und wissen Sie, was mich bei allem Schmerz über den Ausgang der Brexit-Abstimmung mutig macht oder ermuntert? - 70 Prozent der jungen Bevölkerung des Vereinigten Königreichs waren gegen den Austritt. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Und denen gehört die Zukunft! - Danke, meine Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr GR Dipl.-Ing. Margulies. Selbst

 

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