Gemeinderat, 43. Sitzung vom 26.09.2013, Wörtliches Protokoll - Seite 54 von 68
der einfache deutsche Bürger nichts wissen und konnte er vielleicht auch nichts wissen. Aber wovon er etwas wissen musste und konnte, das war die systematische Diskriminierung und Diffamierung ab 1933!
Da wurden auf einen Schlag Juden aus den öffentlichen Ämtern entfernt, aus den Richterposten. Es wurden schrittweise Berufsverbote aller Art auferlegt, Ausbildungsverbote, Schritt für Schritt alles in Gesetzen und Verordnungen des Deutschen Reiches. Das war ja alles bekannt, das waren öffentlich zugängliche Dokumente!
Jeder Bürgermeister, der sich an die Gesetze des Deutschen Reiches halten wollte oder musste, musste das selbstverständlich wissen. Bis hin zu den Vorschriften, dass etwa Juden nur zu bestimmten Zeiten einkaufen dürfen, nur in bestimmten Geschäften einkaufen dürfen, dass sie Parkbänke in öffentlichen Parks überhaupt nicht benützen dürfen und dass sie etwa - und das sage ich als Hundefreund - keine Haustiere halten dürfen, nicht einmal Kanarienvögel.
Diese Art von grundlegenden Verletzungen der Freiheits-, Menschen- und schlichten Bürgerrechte hat lange und öffentlich stattgefunden, bevor die letztendliche Katastrophe eingetreten ist. Ich finde, daran sollten wir uns heute auch erinnern anlässlich der unglücklichen Geschichte der jüdischen Friedhöfe in Österreich, dass wir achtsam und aufmerksam sein sollten, wann immer diese grundlegenden Grund- und Freiheitsrechte gefährdet sind, ob es jetzt die Freiheit der Wissenschaft ist - das ist vielleicht, möchte man meinen, das Unwichtigste, aber die Verletzungen beginnen häufig damit -, ob das die Verletzung der Religionsfreiheit ist, ob jemand Christ, Muslim, Jude oder sonst irgendetwas ist, geschweige denn lieber ohne Religionsbekenntnis lebt.
Alle diese Dinge, darauf müssen wir auch heute genauso achten wie damals! 1933 und in den Folgejahren war das in den Köpfen als Problem offenbar gar nicht präsent. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist erst nach dem Krieg beschlossen - erfunden, wenn Sie so wollen - worden und gilt heute als etwas Selbstverständliches, jedenfalls für die meisten von uns. - Danke schön. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Vorsitzende GRin Dr Monika Vana: Zum Wort gemeldet ist Herr GR Florianschütz. Ich erteile es ihm.
GR Peter Florianschütz (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Herr Berichterstatter! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich bin Herrn Prof Van der Bellen außerordentlich dankbar, dass er einen breiteren Bogen gespannt hat. Denn es geht ja hier nicht nur um Gräber und Steine, sosehr das auch den Akt betrifft.
In einem bin ich skeptisch: Ich glaube, dass Kurt Gödel ein bisschen gefremdelt hat im Schlick-Kreis, von seiner Überlegung her, und später durch den Unvollständigkeitssatz auch die Grundlage dieses Kreises, sagen wir einmal, deutlich hinterfragt hat.
Aber zum Akt: Es ist gesagt worden, dass es lang gedauert hat; das stimmt. Aber ich zitiere den Dichter: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Und so ist es! Ich teile die Freude meiner Kollegin Jennifer Kickert sehr, dass dieses Vorhaben jetzt auf dem Tisch liegt.
Und die Angst, dass es nicht unterschrieben wird, teile ich nicht. Es ist nicht unterschrieben, weil es ja rechtlich nicht möglich wäre, aber ich weiß mich mit der Frau Vizebürgermeister und dem Herrn Bürgermeister eines Geistes: Wenn es hier beschlossen wird - und darauf hoffe ich doch sehr -, dann wird es auch schnell unterschrieben werden und schnell umgesetzt werden. Also, keine Angst!
Es geht um sechs Friedhöfe, von denen hier fünf im Akt als solche genannt sind. Für fünf gilt die Vereinbarung, für den sechsten nicht. Da ist die Friedhofsverwaltung der Meinung, sie kann das stemmen, ohne die Förderung in Anspruch zu nehmen. Es ist auch gut so, und das wäre auch der Normalfall, wie man sich mit der Problematik auseinandersetzen müsste.
Die Herangehensweise, die hier gewählt wird, spezifisch in Wien auch gewählt wird, zeigt, dass es um mehr geht als um Gelände, um Gräber und um Vergangenheit. Es geht um den Umgang mit und es geht um die Übernahme von Verantwortung! Das ist in Wien eine gute und lange Tradition, nicht erst seit Herrn Bgm Dr Zilk. Herr Bgm Dr Häupl hat sich oft in diese Richtung geäußert, dafür gebühren ihm Dank und Anerkennung. Genauso wie Frau VBgmin Renate Brauner, bei der ich mich bedanken möchte, dass diese Lösung hier zustande gekommen ist.
Es geht auch um eine lebendige Erinnerungskultur, um eine Kultur des Nicht-Vergessens und das Übernehmen von Verantwortung. Und in dem Zusammenhang auch einen herzlichen Dank an Herrn Amtsf StR Dr Mailath-Pokorny, der dafür sorgt, dass das in der Frage der Kulturpolitik und der Kulturagenda unserer Stadt eine wesentliche Rolle spielt. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)
Meine Damen und Herren! Ich war unlängst in Vertretung der Frau Vizebürgermeister beim 15-jährigen Jubiläum des Jüdischen Berufsbildungszentrums, das eine höchst erfolgreiche Institution ist und gemeinsam mit vielen anderen Einrichtungen ein neues jüdisches Leben in Wien darstellt und repräsentiert, vom Makkabi-Sportzentrum angefangen über die schöne Schule, über die sonstigen Einrichtungen, die wir haben, und diese gehören integral zu Wien dazu. Die Förderung und Unterstützung dieser Einrichtungen ist ein Zeichen der Solidarität.
Es ist ein Zeichen der Solidarität und der Übernahme von Verantwortung, und diese Solidarität schließt - das muss man ganz wichtigerweise sagen - auch die Solidarität mit dem Staat der Überlebenden ein! Die sichere Existenz, die unhinterfragte Existenz des Staates Israel ist unter anderem auch eine Staatsräson der Stadt Wien und des Bundeslandes Wien. Dazu müssen wir uns auch in aller Öffentlichkeit und deutlich bekennen.
Die Art und Weise, wie wir damit umgehen, ist in letzter Konsequenz die Einlösung des Kategorischen Imperativs von Theodor Adorno, der nach Auschwitz gesagt hat, politisches Handeln habe sich danach zu orientieren, dass Auschwitz nicht mehr möglich werden kann. Da schließe ich den Bogen wieder zu den Ausführungen meines Vorredners: Ja, das stimmt! Die Betonung der
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