Gemeinderat, 38. Sitzung vom 22.05.2013, Wörtliches Protokoll - Seite 30 von 94
anderem wollen wir diesen Grundsatzbeschluss heute auch fassen.
Ich will aber nicht nur einen sozialdemokratischen, sondern natürlich auch einen konservativen Bürgermeister zitieren. Sie wissen, wer jetzt kommen wird, es ist auch nicht irgendein kleines Provinznest, sondern wir reden über London und Boris Johnson. Boris Johnson, ein überzeugter Radfahrer, der Folgendes gemacht hat: Er hat vor ungefähr einem Jahr „The Mayor‘s Vision for Cycling“ herausgegeben, also das wirklich in den Vordergrund gestellt, und will jetzt ganz London zum Fahrradparadies machen. Er wird 1 Milliarde EUR in den Radverkehr stecken – da sind ja die der Frau Vizebürgermeisterin unterstellten Millionen geradezu ein Trinkgeld – und will das Rad, wenn ich zitieren darf, „zum selbstverständlichen Fortbewegungsmittel machen“, auch – Herr Ulm! – für Geschäftsleute in Anzügen. Es ist also durchaus auch so, dass gewisse Leute – und das werden auch immer mehr – in allen möglichen Kleidungen Rad fahren wollen. Wenn Sie heute durch Wien fahren – und das hat sich wirklich in der Tat geändert –, sehen Sie immer mehr, wenn ich das so despektierlich sagen darf, Männer in Krawatten und Damen in Stöckelschuhen. Ich weiß nicht, ob man das vergleichen darf, aber jedenfalls verbreitert sich sozusagen der Radverkehr auch, was das Outfit betrifft.
Nur noch eine Maßnahme, die sich irgendwie anlehnt an das, was wir in Wien die Radfahrstraßen, die fahrradfreundlichen Straßen nennen: Boris Johnson möchte Hauptschlagadern eines neuen Londoner Fahrradorganismus schaffen, einen 24 km langen Cycle Superhighway, der in weitem Abstand zu den Hauptstraßen die westlichen Vororte mit der Innenstadt und so weiter verbindet.
Ich könnte jetzt weitaus mehr als 20 Minuten dafür verwenden, um andere Weltstädte zu nennen, die aus sozialen Gründen, aus ökologischen Gründen und aus Gründen der Lebensqualität dem Fahrrad eine hohe Priorität einräumen. Um eines ganz klar zu sagen: Das Rückgrat Wiens ist sein öffentlicher Verkehr. Wenn man aber rasch den Modal-Split zu Gunsten des Umweltverbundes verbessern und mit relativ wenig öffentlichen Mitteln auskommen will, dann bietet sich das Radfahren in hohem Maße an. Denn da geht es weniger um finanzielle Mittel, sondern um Prioritätsmaßnahmen und darum, ein Gefühl in der Stadt – ich sage ja gar nicht – zu schaffen, das müssen wir ja gar nicht schaffen! Herr Ulm hat nämlich in seiner – im Übrigen sehr sachlichen – Rede, für die ich mich bedanken möchte, wiewohl wir nicht in allem übereinstimmen, völlig richtig gesagt: Für einen, der nicht fahren will und sagt, dass er nie in seinem Leben auf ein Rad steigen wird, wollen und können wir nichts tun. Wir wollen aber jene unterstützen, die gelegentlich mit dem Rad fahren beziehungsweise es einmal ausprobiert haben.
Lassen Sie mich jetzt etwas vielleicht für eine Gemeinderatsitzung nicht ganz Passendes, aber Sinnliches bringen: Wer vor rund 14 Tagen durch Wien geradelt ist, dem ist aufgefallen, dass in Wien irrsinnig viel Flieder blüht. Das ist schön, und wenn man vorbeifährt und den Flieder schon riecht, bevor man ihn sieht, dann ist das eine Qualität von Stadterfahrung, die ich vielen Autofahrern gönnen würde!
Man kann es riechen! Etwa auch im Herbst, wenn die Blätter fallen und es regnet, merkt man einen gewissen Herbstgeruch in der Stadt. Oder wenn es sehr heiß ist – und es ist nicht nur meine These, dass es in der Stadt immer heißer werden wird – und man fährt an einem Park vorbei, spürst du als Radfahrerin oder Radfahrer sofort, wie es plötzlich kurzfristig kühler wird, weil dort der Bäume wachsen, was jene Konsequenzen mit sich bringt, die wir alle so genießen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Eine solche Lebensqualitätsstadt richtet sich an frohe Menschen. – Es wird heute schon noch einiges kommen, aber das werden wir auch aushalten, und das wird viele Menschen nicht davon abhalten, aufs Rad zu steigen, denn die Leute wollen mit dem Rad fahren.
Ich möchte jetzt noch ein urbanes Phänomen beleuchten, was das zu Fuß Gehen mit dem Radfahren verbindet: Man sieht irgendjemanden und denkt: Mit dem möchte ich jetzt geschwind plaudern. Im Auto kann man sich nur kurz irgendwie umdrehen und winken. Im Gegensatz dazu kann man mit dem Rad sofort stehen bleiben und interessante Gespräche führen. Ich füge hinzu: Wenn man nicht mit dieser Person reden will, kann man auch winken und einfach weiterfahren. Beide Varianten praktiziere ich gelegentlich und meine: Die Möglichkeiten, die das Fahrrad bietet, sind schlicht und einfach wunderbar!
Deswegen bin ich sehr froh und bedanke mich bei meinen Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichnern und MitverhandlerInnen, Gerhard Kubik, Susanne Bluma, Siegi Lindenmayr und allen Genossinnen und Genossen, die das heute unterstützen, und selbstverständlich auch bei meinen Klubkollegen Rüdiger Maresch, Jennifer Kickert und Martina Wurzer, die diesen Grundsatzbeschluss betreffend Radfahren natürlich auch unterstützen.
Ich werde diesen jetzt nicht in aller Breite elaborieren, ich möchte nur einige Punkte herausstreichen: Es geht einerseits um Infrastruktur, aber andererseits um die Präsenz des Radfahrens. Jeder, der das Werben – ich sage jetzt nicht, Werbung – um eine andere Kommunikationsform als nicht wirksam erachtet, der vergisst die Milliardenindustrie, die uns tagtäglich alle möglichen Dinge nahezubringen versucht. Wenn all das so unwirksam wäre, gäbe es die ganze PR-Industrie nicht! Ich glaube, alle Parteien haben das. – Herr Gudenus scharrt schon und wird dann sicherlich ein Plakat oder ein Bild vorzeigen.
Ich möchte das Radfahren den Menschen bildhaft näher bringen, und in diesem Zusammenhang möchte ich mich bei der Radagentur bedanken, die das jetzt in diesen Tagen und Stunden im Übrigen mit großem Erfolg tut: Es fährt ein mobiler Radcontainer durch die Stadt, der interessanterweise der erste Radcontainer ist, der zu 100 Prozent mit dem Rad transportiert werden kann: Es besteht die Möglichkeit, verschiedene Räder auszuprobieren.
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