«  1  »

 

Gemeinderat, 21. Sitzung vom 29.03.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 26 von 97

 

wo angesetzt werden soll. Allerdings haben wir außer Diskussionen hier bisher nicht viel erlebt!

 

Vielmehr erleben wir heute in Wien, dass jeder fünfte Schüler, der die Pflichtschule verlässt, ein Risikoschüler ist. Viele dieser Schüler können den Lehrstoff der Schule nicht mehr aufnehmen und finden aus diesem Grund auch keinen Ausbildungsplatz in der Wirtschaft. Für Unternehmen ist es schwierig, solche Schüler aufzunehmen, denn wie sollen beispielsweise eine Bürokraft oder eine Einzelhandelskauffrau ihre Arbeit zufriedenstellend erledigen, wenn sie nicht sinnerfassend lesen können? Oder wie soll ein Fliesenlegerlehrling Fliesen verlegen können, wenn er keine Fläche berechnen kann? Sie sehen, das geht nicht! Denn dazu braucht der Lehrling Kenntnisse der Grundrechnungsarten und diese müssen vermittelt werden. Nur dazu ist unser Schulsystem bedauerlicherweise nicht mehr in der Lage!

 

Mehr als ein Viertel aller Wiener Schüler kann heute nicht mehr sinnerfassend lesen, eine Problematik, die aus mehreren PISA-Studien bekannt ist. Das ist wirklich ein Problem, aber es geschieht nichts! Sie setzen keinerlei strukturelle Maßnahmen in diesem so wichtigen Bereich! Unser Schulsystem versagt und es werden hier keine Maßnahmen gesetzt. In der Lehrlingsausbildung agiert die öffentliche Hand ebenfalls nicht erfolgreich. Es muss zu den Privaten übergegangen werden. Und wie können wir das tun? – Indem Sie Unternehmen fördern und nicht zusätzlich belasten! (Beifall bei der FPÖ.)

 

Wir erleben aber das Gegenteil. Wir haben schon im Rahmen der Sitzung vom Montag darauf hingewiesen, dass die Wiener Unternehmen und die Wiener Bürger im vergangenen halben Jahr mit 150 Millionen EUR an zusätzlichen Belastungen konfrontiert waren und auf Bundesebene mit 800 Millionen EUR im Bereich der Lohnnebenkosten. Das sind Maßnahmen, die nicht förderlich sind für die Aufnahme neuer Lehrlinge oder für zusätzliche Ausbildungsmaßnahmen, sondern das Gegenteil ist der Fall: Sie schädigen die Unternehmen, denn Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und nicht die öffentliche Hand! (Beifall bei der FPÖ.)

 

Es gibt in Wien 4 500 Lehrbetriebe, die über 19 000 Lehrlinge ausbilden. Im öffentlichen Bereich, das heißt, in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten, werden knapp 6 Prozent dieser Lehrlinge ausgebildet. Das heißt, wir reden nicht über das Gros, sondern wir reden über Minderheiten, wenngleich auch diese 6 Prozent wichtig sind.

 

Jede Maßnahme zur Förderung von Bildung und Ausbildung ist wichtig. Es muss aber auch die Frage nach Effizienz und Sinnhaftigkeit gestellt werden. Deshalb sagen wir, es sind notwendige Maßnahmen zu setzen und strukturelle Reformen im Bereich des Schulsystems einzuleiten. Es sind Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Pflichtschulbereich zu setzen. Fächer wie Mathematik, Informatik, Technik und Innovation sind - von der Pflichtschule an - verpflichtend einzuführen, und das duale System ist an den tertiären Sektor anzupassen. Nur so können ein gedeihliches, effizientes und erfolgreiches Miteinander und eine erfolgreiche Beschäftigung für Jugendliche möglich sein, nicht aber mit Ihrem System der Finanzierung durch die öffentliche Hand, die nicht mehr in der Lage ist, zusätzliche Planstellen zu schaffen, und die dazu auch nicht in der Lage sein soll.

 

Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Als letzter Redner der Aktuellen Stunde hat sich Herr GR Peschek zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

 

11.27.35

GR Christoph Peschek (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Frau GRin Kappel hat von einer Minderheit gesprochen, nämlich von der Minderheit der Auszubildenden in den überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen im Rahmen der Ausbildungsgarantie. – Ich möchte den Freundinnen und Freunden von der BFI-Jugendwerkstatt, die im Rahmen der Ausbildungsgarantie eine entsprechende Unterstützung erhalten, zunächst einmal sagen: Herzlich willkommen! Es freut uns, dass ihr da seid! Für uns – ich darf das wohl im Namen der GRÜNEN und meiner Fraktion, der Sozialdemokraten, sagen. Ihr seid keine Minderheit, sondern ein ganz wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Umso schöner ist es, dass ihr hier seid! Willkommen! (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Nun aber zum eigentlichen Thema, sehr geehrte Damen und Herren, zum Wiener Qualifikationsplan: Ich denke, wir sollten noch mal in Erinnerung rufen, wieso dieser Qualifikationsplan für uns so wichtig ist und wir diesen mit verschiedenen Maßnahmen umsetzen. Ich höre immer, wenn es um Ausbildung und Qualifikation geht, von der FPÖ und der ÖVP ausschließlich: Es braucht mehr Gelder an die Firmenchefs, es braucht mehr Steuergeschenke an die Reichen und viele mehr, und dann fallen auf einmal die Lehrstellen wie die Schneeflocken vom Himmel, alle sind glücklich und die Glückseeligkeit ist vorhanden.

 

Ich sage Ihnen sehr offen, uns geht es nicht darum, irgendjemanden noch reicher zu machen, sondern uns geht es in diesem Qualifikationsplan vor allem darum, dass alle Menschen bestmöglichste Chancen auf Bildung haben, und zwar aus einem sehr einfachen Grund: Wir wollen nämlich, dass möglichst jeder Mensch die Möglichkeit bekommt, seinen Wunschberuf auszuüben und somit auch Zufriedenheit in seinem Leben zu erlangen. Es geht dabei nicht darum, dass ein paar wenige immer reicher werden, wie Sie das ständig fordern, sondern dass wirklich jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft, die bestmöglichsten Chancen erhält. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Mehr Qualifikation bedeutet natürlich auch eine Senkung der Arbeitslosigkeit. Und selbstverständlich bedeutet mehr Qualifikation auch für die Wirtschaft sehr viele Vorteile. Auch dafür ist sie von Wichtigkeit. Aber ich meine, man sollte vor allem an die Menschen und ihre Bedürfnisse denken.

 

An dieser Stelle sei einmal mehr in Erinnerung gerufen, dass gerade die Hauptstadt Wien im Bereich der Arbeitsmarktpolitik große Kraftanstrengungen vollzieht. So ist beispielweise der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds, der WAFF, in seiner Struktur einzigartig.

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular