Gemeinderat, 61. Sitzung vom 29.06.2010, Wörtliches Protokoll - Seite 75 von 110
sem Sinne bringe ich meinen letzten Antrag ein. - Danke. (Beifall bei der ÖVP.)
Vorsitzende GRin Inge Zankl: Als Nächste am Wort ist Frau GRin Dr Laschan. Ich erteile es ihr.
GRin Dr Claudia Laschan (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn vor Wahlen zum Beispiel in der Ärzte- und Ärztinnenzeitung in Wien gefragt wird, welche Programme die einzelnen Parteien zum Thema Gesundheit vertreten, dann wird man meistens von allen das Gleiche lesen, nämlich: keine Zwei-Klassen-Medizin, die Patientinnen und Patienten müssen im Mittelpunkt stehen und so weiter und so fort. Bei Umfragen über die Wichtigkeit von Dingen im persönlichen Leben steht die Gesundheit ganz oben. Mit anderen Worten, die Gesundheit betrifft und berührt alle Menschen essenziell.
Auf der anderen Seite ist das Gesundheitswesen aber in den Themenfeldern so vielschichtig, sehr kompliziert in den Finanzierungsströmen und von Partikularinteressen durchwachsen wie kaum ein anderer Politikbereich. Politische Aussagen in der Gesundheitspolitik sind daher meist sehr allgemein gehalten und meistens auch verzichtbar. Ich halte es aber für sehr wichtig, die unterschiedlichen politischen Zugänge zum Gesundheitswesen darzustellen. Die Sozialdemokratie steht jedenfalls zur öffentlichen Verantwortung im Gesundheitswesen. Wir haben heute auch einen diesbezüglichen Antrag eingebracht.
Mit diesem Thema kommen wir wieder einmal zur Individualismusdebatte. Der Gesundheitszustand eines Menschen hängt nämlich nur zu einem ganz kleinen Teil von seinem individuellen Lebensstil ab. Den größten Einfluss haben der sozioökonomische Status und das Gesundheitswesen, in dem dieser Mensch lebt. Das heißt, der eher konservative Ansatz, aus der Eigenverantwortung eine individuelle Schuld am Kranksein abzuleiten und daher auch die Kosten zu individualisieren, ist nicht nur inhuman, sondern schlichtweg falsch. Das Gesundheitswesen ist eine öffentliche Aufgabe. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich habe mich dafür entschieden, in meinem heutigen Debattenbeitrag zum Rechnungsabschluss die gesamte Zeit der Frauengesundheit zu widmen. Es ist oft so, dass die Frauenthemen bei den anderen Themen einfließen. Heute mache ich es einfach umgekehrt. Wir haben ein Frauenthema als Hauptthema und die anderen Themen fließen ein. Ein Grund dafür ist, dass das Wiener Programm für Frauengesundheit 2009 sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert hat. Vor zehn Jahren war das Wort Gender-Medizin in den medizinischen Fachzeitschriften nicht vorhanden, schon gar nicht im medizinischen Alltag.
Das Frauengesundheitsprogramm hat zum Inhalt und Ziel seiner Arbeit die Unterschiede und die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit zu identifizieren und Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Gesundheitswesen einzuleiten. Ein konkretes Beispiel aus der Kardiologie: Bezüglich der Risikofaktoren, der Symptomatik, der Diagnostik und der Therapie von Herzerkrankungen weiß man heute, dass es zahlreiche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Aus der Unkenntnis dieser Unterschiede wird die koronare Herzkrankheit, also die chronische Verengung der Herzkrankgefäße, die schlussendlich zum Herzinfarkt führt, bei Frauen oft viel später als bei Männern erkannt. Nur durch das Bewusstmachen dieser Unterschiede kann eine suffiziente Behandlung von Frauen bezüglich Herzerkrankungen erreicht werden. Dazu gibt es viele Beispiele aus allen Feldern und Fachgebieten der Medizin.
Die Wiener Gesundheitsbeauftragte, Frau Dr Beate Wimmer-Puchinger, ist von Beginn an mit dem Frauengesundheitsprogramm untrennbar verbunden, weil sie es nämlich betreibt, weil sie es vorbereitet hat, weil sie es gegründet hat und weil sie es mit Inhalt gefüllt hat. Sie hat die Schlüsseleigenschaften, die für eine solche Funktion notwendig sind, die fachliche Kompetenz, die ihr große internationale wissenschaftliche Anerkennung verschafft, die Erfahrung, gepaart mit Freude am Neuen und ein Durchsetzungsvermögen, das zur Realisierung hunderter Projekte geführt hat. Ich gratuliere ganz herzlich zur hohen Auszeichnung, die du in den vergangenen Tagen für deine Tätigkeit für die Stadt Wien überreicht bekommen hast! (Beifall bei der SPÖ.)
Das ursprünglich rot-grüne Projekt zur Vorsorgeuntersuchung für türkische Frauen in der Gesundheitsuntersuchungsstelle der MA 15 in der Sorbeitgasse im 15. Bezirk ist mittlerweile in den Regelbetrieb übergegangen. Die Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen korreliert nämlich mit dem sozioökonomischen Status. In Haushalten mit niedrigen Einkommen und mit niedriger Bildung wird Gesundheitsvorsorge am wenigsten in Anspruch genommen. Bei migrantischen Haushalten kommt noch die Sprachbarriere dazu. Das führt dazu, dass Gesundheitsleistungen nicht dort ankommen, wo sie sollten, dass Krankheiten zu spät oder gar nicht erkannt werden. Der überwiegende Teil der am Projekt beteiligten Frauen hat noch nie an einer Vorsorgeuntersuchung teilgenommen, was uns recht gibt, dass wir das Projekt durchgeführt haben. Es wurde die Zielgruppe, die wir erreichen wollten, auch erreicht. Durch muttersprachliche, medizinisch qualifizierte Beratung, ergänzt durch zusätzliche psychosoziale Beratung, hat das Projekt eine hohe Akzeptanz erlangt und das Gesundheitsbewusstsein wurde verbessert.
Ziel eines Gesundheitswesens kann nämlich nicht sein, Leistungen im Internet anzubieten und zu warten, ob sie jemand in Anspruch nimmt und wenn nicht, dann ist er selbst schuld. Ziel eines sozialen Gesundheitswesens muss sein, die Leistungen an jene Menschen heranzubringen, die sie am nötigsten brauchen, an diejenigen, denen das Wissen, die Bildung, das Gesundheitsbewusstsein und das Geld fehlt, besonders an die Frauen.
Die besondere Herausforderung diesbezüglich ist die Niederschwelligkeit. Niederschwelligkeit heißt nicht, dass man Einladungen vor U-Bahn-Stationen austeilt, sondern
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