Gemeinderat,
60. Sitzung vom 31.05.2010, Wörtliches Protokoll -
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zuschauen müssen, wie die anderen das dürfen und können und sie selbst
nicht dabei sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was heute nicht fehlen darf - und
da sage ich jetzt dazu, daran ist nicht ausschließlich die Sozialdemokratie
schuld, sondern das liegt am Schulsystem insgesamt -: Das Schulsystem, so wie
es jetzt ist, ist Teil eines Systems, das Armut quasi vererbt. Denn es ist nach
wie vor so, dass die Kinder von gutsituierten Eltern eine höhere Schulbildung
erwerben und Kinder von Eltern, die sozioökonomisch benachteiligt sind, eine
geringere Schulbildung erhalten.
Daran hat bis jetzt niemand etwas geändert, obwohl es natürlich auch
schon sozialdemokratische Unterrichtsminister gegeben hat. Es hat ja bis zur
Frau Schmied auch in der Sozialdemokratie im Wesentlichen niemanden gestört.
Ich erinnere an einen Ausspruch von Präsidentin Brandsteidl,
der mir seit ewig ins Gehirn eingebrannt ist. Es war ihre
Antritts-Pressekonferenz oder ihr Antrittsgespräch mit der Tageszeitung „Die
Presse", wo sie gesagt hat: Die Gesamtschule, um die geht's doch überhaupt
nicht mehr, das ist ein Ding von früher, altes Zeug, um die geht es längst
nicht mehr.
Dabei geht es genau um das: Es ginge um die Einführung einer gemeinsamen
Schule! Da sind wir einer Meinung. Aber solange es sie nicht gibt, hat die
Sozialdemokratie in Wien diese Aufgabe gegenüber den achtjährigen Kindern, den
neunjährigen Kindern, die aus armen Familien kommen, wo die Eltern weder das
Geld für Nachhilfe haben noch selbst den Kindern helfen können, weil sie auch
die Bildung nicht haben. Denen müssten Sie helfen, und zwar sofort und so
lange, bis es die Gesamtschule gibt. Auch diese Kinder haben ein Recht darauf,
gefördert zu werden, um den Anschluss an die höhere Schule nicht zu verlieren.
Das tun Sie nicht! Sie weigern sich, das zu tun; ich muss ehrlich sagen, ich
verstehe das nicht. Sie haben auch diesbezüglich einen großen Erklärungsbedarf.
Ganz am Rande gesagt: Es gibt mittlerweile, weil man in Wien ja weiß,
dass es diese Kinderarmut gibt, auch private Sponsoren, die eingreifen, um
Schulkindern dazu zu verhelfen, dass sie auch eine Schultasche oder Bleistifte haben,
mit Schulmaterial ausgestattet sind, oder dass Kinder warme Schuhe haben, wenn
sie im Herbst in die Schule kommen, oder einen Wintermantel haben. Alles das
gibt es auch von privater Seite, und ich möchte es festhalten: Ja, danke, das
ist wunderbar! Philips hilft mit, der „Kurier" und Jolly
und One, da gibt es Fonds, die sich um diese Kinder bemühen, das ist gut.
Aber wo bleibt die Stadt? Wieso wird das nicht aus den Mitteln der
Sozialhilfe gezahlt? Warum nicht? Das Sozialhilfegesetz würde es ermöglichen,
so, wie es dasteht, könnte das selbstverständlich für diese Kinder bezahlt
werden. Sie tun es nicht, weil Sie es nicht wollen und weil der politische
Wille dazu einfach fehlt. Ich kann Ihnen sagen, ich finanziere - aus
Steuermitteln, nicht aus meinen privaten Mitteln - auch für viele Kinder
Ausflüge oder da einmal einen Bus oder dort einmal einen Schulskikurs. Sie
wahrscheinlich auch, nur, darum geht es ja nicht! Es soll im Endeffekt kein
Gnadenakt sein, sondern so, dass man Kindern tatsächlich von Gesetzes wegen
hilft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt bringe ich - im Stakkato,
ich habe nicht mehr viel Zeit - vier Anträge ein.
Ein Antrag betrifft die Erstellung eines jährlichen Monitoringberichtes
über die soziale Lage von Kindern und Jugendlichen in Wien. Der Antrag soll
sofort abgestimmt werden. Sie kennen ihn, er liegt Ihnen ja vor.
Mein zweiter Antrag - David Ellensohn hat darüber gesprochen - betrifft
die Erstellung eines Stadtaktionsplans zur Halbierung der Kinderarmut bis 2015.
Ich denke, dem können Sie zustimmen; ich erwarte, dass Sie zustimmen. Auch
dieser Antrag wird in formeller Hinsicht zur sofortigen Abstimmung gebeten.
Der dritte Antrag: Da geht es um geförderte Kinderbetreuungsstunden für AlleinerzieherInnen, damit auch AlleinerzieherInnen
einmal am Abend weggehen können oder aber ein Bildungsangebot wahrnehmen
können. Auch dieser Antrag soll sofort abgestimmt werden.
Unser vierter und letzter Antrag betrifft einmal mehr - einmal mehr! -
die Wiener Grundsicherung. Hier geht es ebenfalls um einen Antrag, der Ihnen
bereits vorliegt. In formeller Hinsicht beantrage ich auch diesbezüglich die
sofortige Abstimmung dieses Antrages.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir diese
heutige Dringliche behandelt haben und über dieses sehr, sehr wichtige Thema
gesprochen haben, und möchte es zum Abschluss noch einmal sagen: Kinderarmut
ist in einer reichen Stadt wie Wien ganz sicher ein Skandal! - Danke schön. (Beifall
bei den GRÜNEN.)
Vorsitzende GRin Inge Zankl: Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Kollegin Ringler hat mich gebeten, sie
ab jetzt zu entschuldigen. Sie ist dienstlich verhindert. - Ich sage es nur
fürs Protokoll.
Als Nächster am Wort ist Herr GR Dr Stürzenbecher. Ich erteile es ihm.
GR Dr Kurt Stürzenbecher (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener
Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen!
Es gäbe auch sehr viel zu sagen zu dem, was meine Vorrednerinnen jetzt
gebracht haben. Das war aber nicht der Zweck meiner Wortmeldung, sondern die
ist dahin gehend zu einem Thema, das die Einbringerin der Dringlichen Anfrage,
Klubobfrau Vassilakou, in zwei Sätzen schon
angedeutet hat, als sie nämlich den Bogen gespannt hat von der Kinderarmut hin
zur Not der Kinder im Gazastreifen, speziell zur Not der dortigen
Zivilbevölkerung und zu der Tatsache, dass eine friedliche internationale
Hilfsflotte eine Hoffnung verkörpert hat, wie die Not dort gelindert werden
könnte.
Wir haben ja alle mit Schock und Entsetzen die
Nachrichten darüber erhalten, dass das Vorgehen der
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