Gemeinderat,
52. Sitzung vom 30.10.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 65 von 95
die Position des Präsidenten des Weißen Rings, Prof Jesionek,
lesen musste, der unter anderem sagt, bei der Betreuung, beim Opferschutz für
ältere Menschen, die einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind, bestehe großer
Nachholbedarf. Es fehle vor allem noch sehr stark an Hilfe für Pensionistinnen
und Pensionisten, die Opfer von Einbruchs- oder Handtaschendiebstählen, vor
allem aber auch von Trickdiebstählen werden. Für sie gäbe es derzeit weder eine
Prozessbegleitung noch die Möglichkeit einer abgesonderten Vernehmung. Dabei
erlebe er oft, wie solche Opfer zittern, wenn sie zum Verfahren müssen. Für sie
gäbe es auch keine Ersatzansprüche, etwa nach dem Verbrechensopfergesetz. Für
sie gäbe es weiters - Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren - auch
keine speziell zugeschnittene Betreuung.
Jawohl, nach so einem Verbrechensfall bedarf es derartiger Maßnahmen,
und die Zahl der Delikte ist ja nicht im Sinken, sondern im Ansteigen. Wir
haben etwa in Wien, wenn wir dem Vergleichszeitraum Jänner bis September 2008
den Zeitraum Jänner bis September 2009 gegenüberstellen, wieder ein Plus von
15 471 Fällen oder 9,8 Prozent. Und davon betroffen sind auch viele
ältere Menschen.
Ältere Menschen zittern, sie sind psychisch und oft auch physisch sehr
eingeschränkt. Sie sind oft nicht in der Lage, das Erlebte, das negative
Erlebnis noch einmal zu durchleben. Sie wollen das nicht mehr wiedergeben. Sie
sind oft nicht bereit, eine Anzeige zu erstatten, was sich natürlich auch
negativ in der Statistik auswirkt und damit auch die Verbrechensbekämpfung
hemmt - weil ja, auch wenn ein Mensch bedroht oder beraubt wurde, er trotzdem
Aussagen zu diesem Fall oder zum Täter machen kann. Und die Aufklärung wird
natürlich erheblich eingeschränkt, je weniger Anzeigen erstattet werden, und
damit geraten natürlich auch weitere Opfer in die Falle der Täter.
Ältere Menschen werden in zunehmendem Maße Opfer von
Wohnungseinbrüchen, von Betrug an der Haustür, von Trickdiebstahl, von
Diebstahl oder Raub im Anschluss an eine Bankbehebung. Da geht es oft um sehr,
sehr kleine Beträge. Wegen 150 EUR wird einem Menschen die Handtasche
weggerissen oder er wird zusammengeschlagen. Und die Schäden, die diese
Menschen davontragen, sind nicht nur körperlich - was natürlich für einen
gebrechlichen Menschen besonders schlimm ist -, sondern auch psychisch. Und
diese psychische Komponente spielt eine große Rolle, weil viele in eine
Angstspirale geraten, die ihnen ein normales Leben danach, also nach diesem
Übergriff, nicht mehr möglich macht. Die Menschen trauen sich nicht mehr aus
ihrem gewohnten Umfeld. Und wir wissen ja, dass gerade die Abwicklung der
kleinen täglichen Erledigungen für alte Menschen besonders wichtig ist, um sie
sozusagen auch in ihrem eigenen Wohnumfeld zu halten und noch nicht oder nicht
in eine Pflegeeinrichtung zu drängen. Im Großen und Ganzen haben die Leute ja
auch das Bedürfnis, in ihren eigenen vier Wänden zu bleiben. Und ich meine, da
ist es wichtig, dass sie das auch möglichst sicher und angenehm können.
Es ist derzeit in Wien so, dass es zwar Standard ist, nach größeren
Unfällen und Katastrophen durch akutpsychologische Teams Hilfe zu leisten. Das
ist auch gut und richtig so, und das begrüßen wir. Aber manchmal muss man sich
schon fragen, ob da nicht auch ein bisschen eine Schieflage besteht, wenn ich
etwa daran denke - und das ist in den Medien so dargestellt worden -, dass nach
dem so genannten Buttersäureattentat in einer Schule im 11. Bezirk die
Eltern der betroffenen Schüler psychologische Hilfe angeboten bekommen haben.
Jetzt weiß man, dass die Eltern von Schülern in der Regel in einem Alter sind,
wo man ganz gut mit Schwierigkeiten zurecht kommt, und abgesehen davon hat sich
ja keine unmittelbare Bedrohung für die Kinder außer dieser - wir kennen das
alle - Stinkerei ergeben.
Es wird weiters etwa im Integrationsprogramm psychologische Hilfe
gewährt. Ich greife da jetzt auch nur ein Beispiel heraus - es gibt eine Reihe
ähnlicher Beispiele -, wo eine Zuwandererfamilie betreut wird, weil die Frau
gläubig ist und in die Moschee gehen will, der Mann aber lieber Fußball schaut,
und das wird als transkultureller Konflikt bezeichnet, nämlich in der
Gestaltung der gemeinsamen Freizeit, und psychologische Betreuung angeboten.
Ich würde einmal meinen, es gibt mehrere hunderttausend Familien, in denen
ähnliche Konflikte vorherrschen, wo eine Interessenabwägung der gemeinsamen
Freizeitgestaltung nicht ganz reibungslos abläuft. Wenn man die alle betreuen
würde, ich glaube, da hätten wir viel zu tun! Vor allem darf so etwas nicht zu
Lasten derer gehen, die eben eine Betreuung, eine Hilfe, eine Begleitung ganz
besonders dringend notwendig brauchen. Und das sind nun einmal die älteren und
die alten Menschen in dieser Stadt.
Es ist ja auch so, dass Menschen dieser Generation - abgesehen davon,
dass viele natürlich nicht mehr so rüstig sind, um dem körperlich zu begegnen -
auch dazu neigen, Verantwortung zu übernehmen und sich selbst dafür
verantwortlich zu fühlen, dass sie sozusagen Opfer geworden sind, dass sie sich
nicht wehren konnten, dass sie vielleicht etwas falsch gemacht haben. Nicht
zuletzt schämen sie sich auch dafür, was passiert ist. Und diese Angst und
diese Scham und diese Isolation macht die Menschen krank. Wir wollen das nicht
und wir sind der festen Überzeugung, dass man dem wirklich dringend
entgegenwirken muss.
Wenn ich mir anschaue, was derzeit oder was in den letzten Jahren in
Wien geschehen ist, dann finde ich erstens einmal - weil es auch meinen Ausschuss
betrifft - in der Stadt Wien zwei Mal eine Subvention von 50 000 EUR
an die Verbrechenshilfeorganisation oder Opferschutzorganisation des Weißen
Rings. Da ist aber nicht alles in die Betreuung oder in die Begleitung älterer
Opfer geflossen, sondern es ging großteils um den Schutz oder um die
Nachbetreuung von Gewaltopfern, und zwar im familiären Bereich.
Es gab ein Pilotprojekt in Wien-Favoriten, das hat
sich von November 2007 bis Dezember 2008 erstreckt, war also auf ein Jahr
begrenzt, und es hat sich
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