Gemeinderat,
41. Sitzung vom 02.12.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 11 von 26
Margulies:
Das ist ja unglaublich!)
Meine Damen und Herren! So lange Sie sich das nicht
eingestehen – und es ist das berechnet vom WIFO, vom IHS, in Deutschland vom
ifo-Institut –, so lang die Zuwanderung aus egoistischen Interessen eines
Teiles der Gesellschaft zunimmt – der Industrie nützt es natürlich, und Sie
machen hier die Arbeit der Industrie; der Industrie nützt das natürlich, aber
den arbeitenden Menschen in diesem Land nützt es nichts (GR Dipl-Ing Martin Margulies: Wer sind denn die Leute von der
Industrie?) –, und so lange wir uns das nicht eingestehen, meine Damen und
Herren, werden wir die Armut in diesem Land auch nicht bekämpfen können.
Das ist auch der Grund, warum wir in der Wahlbewegung
so einen starken Zulauf hatten, gerade auch von Zuwanderern, von Menschen mit
Migrationshintergrund, wie das heute so schön heißt, weil die die Ersten sind,
die vom Arbeitsmarkt verdrängt werden, weil Zuwanderer die Ersten sind, die
durch noch mehr Zuwanderung heute verdrängt werden. Die Zuwanderer, die bereits
integriert sind, die hier arbeiten, spüren es daher, dass es falsch ist, noch
mehr Menschen in dieses Land zu holen.
Meine Damen und Herren von der SPÖ, aber auch von der
ÖVP und von den Grünen! Wenn Sie
das nicht wahrhaben wollen, wenn Sie sich das nicht eingestehen, wenn Sie
weiterhin nur am Gutmenschensyndrom leiden, nämlich am liebsten nichts hören,
nichts sehen, nichts wahrhaben wollen, dann werden Sie die Armut nicht
bekämpfen können. Meine Damen und Herren von Rot, aber auch von Schwarz und
Grün, mit Gutmenschengeschwafel werden Sie das Problem in diesem Land ganz sicherlich
nicht lösen können. Nehmen Sie ihre Scheuklappen ab und bekämpfen Sie wirklich
die Armut in Wien, meine Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ.)
Vorsitzender GR Godwin Schuster: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr GR
Dr Aigner. Ich erteile es ihm.
GR Dr Wolfgang Aigner
(ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien):
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!
Armut, Armutsbekämpfung, eine mehr als komplexe
Angelegenheit, die uns ja letztens schon in einer Aktuellen Stunde beschäftigt
hat. Blickt man in der Geschichte zurück, so sieht man, dass jede Gesellschaft,
jede Wirtschaftsordnung vor dem Problem der Armutsbekämpfung gestanden ist,
ganz unterschiedliche Antworten gegeben und gefunden hat und das Phänomen als
solches nie zur Gänze ausrotten konnte. Es geht also darum, wie man hier ein
Maximum an Armutsbekämpfung leisten kann, aber das Patentrezept gibt es
offenkundig nicht.
Wenn man dem Kollegen Ellensohn vorhin zugehört hat,
dann hat man schon eigentlich den Eindruck gewinnen müssen, dass er, wenn man
die Augen zumacht und nicht weiß, wo man sitzt, hier ein Entwicklungsland
schildert, und ich glaube, dem muss man schon entgegentreten. Wir sind eine
sehr wohlhabende Gesellschaft. (StR David
Ellensohn: Genau!) Es geht den Menschen, und zwar allen, im Durchschnitt
nicht schlecht oder sehr gut (StR David
Ellensohn: Aber es ist schlecht verteilt!), und allein die Tatsache, dass
sehr viele Menschen aus wirklich armen Ländern freiwillig zu uns kommen, zeigt
doch, dass es bei uns so schlecht nicht sein kann, meine Damen und Herren. (Beifall
bei der ÖVP. – StR David Ellensohn:
Es geht um die Umverteilung!)
Es geht schon auch darum, die Verantwortlichkeiten
richtig zu verteilen, und ein Ansatz, der auf Basis der christlichen
Soziallehre beruht, meint immer, dass es darum geht, Hilfe zur Selbsthilfe zu
geben. Es kann nicht den Vollkaskostaat geben, der in jeder Lebenslage da ist,
weder mit einem Anspruchsystem noch sozusagen wie der Weihnachtsmann, der kommt
und jedem, der kurzfristig Geld braucht, auch ein solches gibt.
Meine Damen und Herren! Diese Illusion soll man gar
nicht pflegen. Es gilt, dort ein Netz zu spannen, wo es notwendig ist. Ein
Sozialstaat kann Hilfe zur Selbsthilfe geben, aber nicht mehr. Eine
Vollkaskoabsicherung ist nicht möglich, ist auch nicht finanzierbar. (StR David Ellensohn: Wer spricht von
Vollkasko?)
Wenn man sich unser jetziges System anschaut, so
sieht man, wir haben eine sehr ausgeprägte Sozialordnung. Wir haben einen
Sozialstaat, der sehr viele existentielle Risiken abdeckt, der natürlich auch
teuer ist und der auch finanziert werden muss. (StR David Ellensohn: Die Caritas sagt etwas anderes!) Ich komme
schon noch zur Caritas, da brauchen Sie keine Angst zu haben.
Es geht darum, das System in einen wirtschaftlichen Kontext
einzubetten, und deswegen halten wir nichts davon, in einen gegenseitigen
Lizitationswettbewerb einzutreten nach dem Motto: Darf's ein bisschen mehr
sein? 900 000 EUR? Wenn man auf der anderen Seite sieht, dass wir
Gott sei Dank jetzt in allen Bereichen kollektivvertragliche Mindestlöhne von
1 000 EUR erreicht haben, dann muss die Sozialhilfe irgendwo darunter
sein, denn sonst zahlt sich das Arbeiten nicht aus. (Beifall bei der ÖVP.)
Hier geht es auch um mehr Realismus. Subsidiarität heißt,
denen zu helfen, die sich nicht helfen können, aber nicht, die Anreize, um sich
aktiv einzubringen, zu beseitigen. (StR
David Ellensohn: Schauen Sie sich die Kollektivverträge an! 50
Kollektivverträge sind unter 1 000 EUR!)
Wenn man heute unser Sozialsystem anschaut, so haben
wir einen auf kollektiver Absicherung basierenden Sozialstaat, der Beiträge
einhebt, Pflichtbeiträge, der über Steuern finanziert wird, und es ist
natürlich schon auch eine Frage, ob da nicht die persönliche Betroffenheit des
Einzelnen, der eben durch seine Steuern und seine Abgaben beiträgt zur
Finanzierung dieses Sozialstaates, dazu führt, dass hier einerseits ein
Anspruchsdenken besteht, das teilweise auch dazu führt, den Staat entsprechend
in Anspruch zu nehmen, weil man ja dafür zahlt, und eine großzügige
Geisteshaltung dadurch irgendwo abhanden zu kommen droht.
Ich lade Sie daher ein, jetzt mit
mir einen kurzen Ausflug – wir bleiben beim Thema Armut – zu machen. Das
Problem der Armut war ja auch schon im Altertum und in der Antike ein großes
Problem, und ich möchte Ihnen jetzt eine historische Gestalt vorstellen, die
seinerzeit
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