Gemeinderat,
20. Sitzung vom 27.04.2007, Wörtliches Protokoll - Seite 67 von 108
verstanden haben, worum es geht und warum dieser
Schritt wichtig ist, möchte ich das mit einem simplen Berechnungsbeispiel
erläutern: Derzeit sind es in Wien über 80 000 Menschen, die während eines
Jahres auf Leistungen aus der Sozialhilfe angewiesen sind. Wenn wir all das
abziehen, was er oder sie für Wohnung, Heizkosten und die Bestreitung der
diversen Fixkosten braucht, bleiben nach zuverlässigen Berechnungen nur mehr
7 EUR am Tag zur freien Verfügung übrig. Ich bitte jetzt jede Einzelne und
jeden Einzelnen von Ihnen, sich vorzustellen, was es heißt, als Erwachsener mit
7 EUR am Tag auszukommen! Und von diesen 7 EUR ist alles zu
bestreiten, auch der Erwerb von Fahrscheinen für die Wiener Linien. Das heißt,
wenn jemand arbeitslos ist, Sozialhilfe bezieht und zum Beispiel zu
Bewerbungsgesprächen hin und zurück fahren möchte, braucht er oder sie ab 1.
Juni, ab dem die Teuerung der Fahrscheine ins Haus steht, die Hälfte der
7 EUR, die ihm oder ihr für einen Tag zur Verfügung stehen! (GR Kurth-Bodo Blind: Darum kann er sich
nicht bewerben!)
Wenn man zwei Bewerbungsgespräche an einem Tag
besuchen möchte oder sonst irgendeinen anderen Weg zu bewältigen hat, dann wäre
das gesamte freie Budget für diesen Tag ausgeschöpft! Allein dieses Beispiel
verdeutlicht für mich und für jeden, der verstehen will, wie wichtig die
Freifahrt für diese Personen ist. Wer blind sein möchte, bleibt natürlich für
immer blind! Wer aber sehen und verstehen möchte, der sieht vollkommen klar,
dass die Freifahrt etwas Wichtiges ist. Mobilität ist etwas Wichtiges, und
daher dürfen wir nicht immer nur von Armutsprävention sprechen, sondern müssen
dafür sorgen, dass Menschen, die in einer schwierigen Situation sind, auch die
Chance bekommen, wieder einmal rauszukommen! An sich ist Freifahrt eine
Selbstverständlichkeit, und man muss sich fragen, warum es genau für diese
Gruppe von Menschen nicht schon längst ermäßigte Tarife gegeben hat, noch dazu
in einer der reichsten Städte der Welt!
Wien ist die fünftreichste Stadt der Welt. Und wenn
an dieser Stelle seitens der Sozialdemokratie jetzt das Argument kommt, dass es
das schon gegeben hat, dann sage ich: Ja, eine ganz kleine Gruppe von
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern hat bis jetzt ermäßigte Tarife
gehabt. Das, worüber wir sprechen, nämlich die Freifahrt für obdachlose
Menschen und SozialhilfeempfängerInnen, hat es bisher nicht gegeben, wir sind
aber jetzt auf dem richtigen Weg dort hin. – So viel zu diesem Thema. Es
ist also große Freude angesagt!
Das Demokratieverständnis der Sozialdemokratie ist
ein anderes Kapitel. So kann ich etwa nicht verstehen und beim besten Willen
nicht nachvollziehen, wie es denn geschehen kann, dass die SPÖ bei ihrem
Parteitag einen Antrag annimmt, dass aber dann exakt dieselben Personen, die
sie dort saßen und die auch heute hier sitzen, denselben Antrag mit dem
gleichlautenden Text ablehnen, weil er von den GRÜNEN kommt.
Meine Damen und Herren! Das zeigt, wo Sie in der
Zwischenzeit mit Ihrem Demokratieverständnis gelandet sind! Ich kann diese Vorgangsweise
nur mit einem Wort bezeichnen: Das ist kindisch! (Beifall bei den GRÜNEN.)
Das ist unmöglich! Es gehört inzwischen zur guten
Sitte in diesem Haus, dass man, wenn man etwas möchte und inhaltlich mit einem
Antrag einverstanden ist, diesem zustimmt; wenn nicht, dann lehnt man ihn ab.
Wenn man dasselbe mit einer anderen Fraktion erreichen möchte, dann verständigt
man sich darauf, dass man einen gemeinsamen Antrag stellt; wenn nicht, dann
macht man eigene Anträge.
Nein, in diesem Fall hat man zehn Jahre
lang ein und denselben Antrag abgelehnt. Jetzt ist man so weit, dass man es tun
möchte. Ich meine, ich verstehe schon, die Sozialistische Jugend ist
aufgebracht. Es gibt große Unzufriedenheit mit der neuen Regierung. Es gibt
große Unzufriedenheit mit dem Kanzler. Es gibt große Unzufriedenheit mit dem
großen Parteivorsitzenden, der bekanntlich diese Regierungsbildung unterstützt
und an diesen Vereinbarungen aktiv mitgewirkt hat. Jetzt muss man natürlich der
Sozialistischen Jugend etwas geben. Jetzt muss man etwas tun, um sie zu
besänftigen und zu beschwichtigen. Jetzt braucht man dringend innerparteilich
einen Erfolg. Ich verstehe das alles, ist auch okay.
Es spricht
aber nichts dagegen, dass man dann dem Antrag der GRÜNEN zustimmt oder dass man
sagt: „Wenn wir dasselbe wollen, lasst uns einen gemeinsamen Antrag
machen!" Oder aber auch man bringt einen eigenen Antrag ein und stimmt dem
zu, dann stimmt man noch dem Antrag der GRÜNEN zu und wenn die ÖVP auch noch so
einen Antrag macht, stimmt man dem Antrag der ÖVP auch noch zu. Und alle freuen
sich, weil wir das endlich alle wollen.
Nein, hier geht es darum zu sagen: „Wir, und nur wir,
haben das gemacht!" Deswegen lehnen Sie allen Ernstes die Anträge der
anderen Parteien ab, in diesem Fall unseren Antrag, der genau Ihrer Intention
entspricht, der genau dem Text entspricht, dem Sie vor einer Woche zugestimmt
und den Sie angenommen haben. Den lehnen Sie jetzt ab! Das möchte mir bitte
einer erklären, was das für ein Demokratieverständnis ist!
Ich werde deshalb natürlich versuchen, es Ihnen
möglichst schwer zu machen. Ich bin sehr neugierig und will sehen, wie weit
sozusagen die Verweigerung geht, einem Antrag bloß nicht zuzustimmen, weil er
von einer anderen Fraktion und nicht von einem selbst kommt. Deshalb möchte ich
an dieser Stelle zwei Anträge einbringen.
Der eine betreffend Freifahrt für Obdachlose und
SozialhilfeempfängerInnen. Dieser dürfte Ihnen bekannt sein. Hier geht es
darum:
„Der Wiener Gemeinderat beauftragt die zuständige Stadträtin
für Finanzen und Wirtschaftspolitik ..." - et cetera –
„... Vorkehrungen zu treffen, damit folgende Forderungen noch bis Ende des
Jahres 2007 umgesetzt werden können:
1. Freifahrt für Obdachlose und
SozialhilfeempfängerInnen auf allen öffentlichen Verkehrsmitteln in Wien,
2. Aufnahme von Verhandlungen mit
den Wiener Linien mit dem Ziel des Erlasses aller noch offenen Forderungen
gegenüber Obdachlosen und
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