Gemeinderat,
13. Sitzung vom 25.10.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 47 von 80
es um politisches Kleingeld. Ihnen geht es nicht um
die Menschen, Ihnen geht es nicht um die Morde, Ihnen geht es um politisches
Kleingeld. Und dafür sollten Sie sich schämen und das zurückziehen. Das ist ein
Skandal, und den kann ich so nicht stehen lassen! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und den Grünen.
– GR Heinz-Christian Strache:
1,5 Millionen Opfer sind Ihnen egal!)
Herr Kollege Strache! Ich bin der Ansicht, dass das
die Unwahrheit ist. (GR Heinz-Christian Strache: Das ist nicht zur
Geschäftsordnung! Was ist da zur Geschäftsordnung, Herr Vorsitzender?) Sie haben viele Unwahrheiten gesagt,
aber das, was die Präsidiale betrifft, ist so unglaublich (GR Heinz-Christian Strache: Wieso?), dass ich da einen Appell an
Sie richte: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde Ihnen empfehlen:
Denken Sie nach, bevor Sie Zwischenrufe tätigen! Sie sollten wirklich
nachdenken, ob sie sehr sinnvoll sind, ob sie nicht pietätlos sind gerade
gegenüber den Opfern, die es da gibt. Aber zu behaupten, dass in der Präsidiale
den anderen Klubobleuten die Ermordung von 1,5 Millionen Menschen
gleichgültig gewesen ist, ist eine Unwahrheit. (GR Heinz-Christian Strache:
Das habe ich nicht gesagt!) Das ist zurückzuziehen (GR Heinz-Christian
Strache: Das habe ich nicht gesagt!), und ich ersuche Sie, sich davon zu
distanzieren! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)
Vorsitzender GR Dr
Wolfgang Ulm: Zu Wort gemeldet ist Frau Mag Korun.
GRin Mag Alev Korun
(Grüner Klub im Rathaus): Sehr
geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!
Es
ist eigentlich nicht verwunderlich, dass nach dem Ausländer-Bashing, nach dem
Moslem-Bashing nun das Türkei-Bashing drankommt seitens der FPÖ. Eigentlich ist
es nicht verwunderlich. Verwunderlich ist es aber, dass gerade eine extrem
nationalistische und nicht gerade minderheitenfreundliche Partei sich dieses
Themas angeblich annimmt und angeblich den Nationalismus und die
Minderheitenfeindlichkeit anderswo kritisiert – mit Betonung auf
"anderswo" –, denn bei der Debatte gerade vor zirka einer Stunde zum
Tagesordnungspunkt "Steine der Erinnerung" haben Sie uns allen
eigentlich sehr gut und sehr beispielhaft wieder einmal bewiesen, wie schwer
Sie sich tun, wenn es um die eigene Vergangenheit geht, wenn es um die eigenen
Gräuel geht, wenn es um die Vertreibung und Ermordung der eigenen – unter
Anführungszeichen – Minderheiten geht, wie man mit diesem Unrecht umgeht, wie
sehr man daran erinnert werden möchte und wie sehr man auch zulassen möchte,
dass diese Erinnerung im öffentlichen Raum Platz greift.
Sie
selbst haben sozusagen mit Ihren Redebeiträgen in der Debatte "Steine der
Erinnerung" dieses Anliegen, falls es
jemals ein echtes Anliegen von Ihnen gewesen sein sollte, desavouiert und
gezeigt, dass es Ihnen eigentlich nicht um Menschenrechte geht, nicht um
Minderheitenschutz geht, nicht um die verfolgten und ermordeten Armenier im
Osmanischen Reich geht, sondern dass es Ihnen schlicht und ergreifend um
billigen Populismus geht und um den Versuch, eine weitere Hürde beim
potenziellen EU-Beitritt der Türkei zu schaffen.
Ihre Absicht ist dermaßen durchsichtig, dass sich
weitere Worte eigentlich erübrigen würden. (GR Mag Wolfgang Jung: Aufhören!
–
Beifall von GR Mag Wolfgang Jung und anderer freiheitlicher Gemeinderäte.) Ihre Versuche, auf dem Rücken einer
Minderheit hier und heute Politik zu machen, erinnern mich an ein türkisches
Sprichwort – wenn wir schon beim Thema Türkei sind –, dort sagt man, wenn man
etwas vorgibt und eigentlich etwas ganz anderes möchte: Man geht nicht auf’s
Feld, um Früchte zu essen, sondern um den Bauern zu hauen. Darum geht es hier
auch. Sie wollen nicht ernsthaft Menschenrechte thematisieren, Sie wollen nicht
ernsthaft thematisieren, wie es den Nachfahren von verfolgten und ermordeten
Armeniern und Armenierinnen geht, sondern Sie wollen einzig und allein ein
Thema skandalisieren.
Natürlich muss sich jede demokratische Republik ihrer
Vergangenheit stellen, und die Türkei muss das auch. Die Türkei muss es als
demokratische Republik, die Türkei muss es letztendlich auch als potenzielles
EU-Mitglied beziehungsweise auch als EU-Beitrittskandidat. Das ist gar keine
Frage und das stellt auch niemand in Frage. Was mehr denn je notwendig ist,
auch in der Türkei, ist eine offene, ehrlich geführte und demokratische Debatte
über die Ereignisse zwischen 1915 und 1918. Und zu Ihrer Information, falls Sie
sich damit nicht auskennen: Diese Debatte hat auch schon begonnen. Diese
Debatte hat auch in der Türkei begonnen. Diese Debatte wird teilweise leider
vor Gerichten geführt. Gott sei Dank gibt es sehr viele demokratisch
orientierte Menschen, die diese Debatte führen möchten, seien sie türkische
Armenier, seien sie nichtarmenische Türken und Türkinnen, und diese Debatte
wird geführt.
Was Sie aber mit so einem Antrag und mit dieser
Debatte bewirken können, ist nicht die Unterstützung der Demokratisierungsbestrebungen
in der Türkei und eine Unterstützung der Menschen, denen es wirklich ein
Anliegen ist, dass geklärt wird, dass in Archiven geklärt wird, dass mit
wissenschaftlichen Studien geklärt wird, was in dieser Zeit wirklich passiert
ist, wie viele Menschen umgebracht wurden und was man heute machen kann. Das
alles, was Sie hier und heute inszenieren, führt eben nicht dazu, dass die
Bestrebungen von demokratisch orientierten Menschen in der Türkei oder woanders
unterstützt werden, damit sozusagen Licht in die Ereignisse gebracht wird,
sondern Sie wollen einzig und allein aktionistisch etwas beschlossen haben, was
letztendlich für den Fortschritt der Debatte in der Türkei in dieser Form
leider nichts bringen wird.
Es ist notwendig, dass unabhängige
Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus unterschiedlichen Ländern, aus
unterschiedlichen Nationen, selbstverständlich auch armenische Wissenschafter
und Wissenschafterinnen, Zugang zu den Archiven bekommen, dass sie dort
unabhängig forschen können, dass eine Kommission zustande gebracht wird, die
zusammengesetzt ist aus türkischen, armenischen und auch anderen
Wissenschaftern und Wissenschafterinnen und dass diese Kommission gemeinsam die
historischen Ereignisse
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