Gemeinderat,
13. Sitzung vom 25.10.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 44 von 80
600 000 und 1,5 Millionen Armenier um, das heißt, sie wurden umgebracht. Hunderttausende Armenier, die den Völkermord überlebten, haben emigrieren müssen. Nach dem Zusammenbruch der russischen Regierung in Folge der Oktoberrevolution sind türkische Truppen im Kaukasusgebiet einmarschiert, um die Armenier endgültig zu vernichten, ihnen den Vernichtungsstoß zu geben und die Schaffung eines armenischen Staates zu verhindern. Dabei sind abermals 175 000 Armenier umgebracht worden.
Das heißt, das ist also ein sehr, sehr klar auf dem
Tisch liegendes Völkerverbrechen, ein Massenmord, der stattgefunden hat, ein
Genozid, der stattgefunden hat. In der Folge haben das auch türkische
Verantwortliche so gesehen, so etwa der Großwesir Damat Ferid Pascha, der die
Verbrechen 1919 öffentlich eingestanden hat. 1920 hat auch der Vater der
Türkei, Kemal Atatürk, öffentlich vor dem Parlament den Völkermord an den
Armeniern als eine Schandtat der Vergangenheit bezeichnet, um dann in späterer
Folge zu erleben, dass türkische Regierungsverantwortliche im Grunde genommen
diesen Völkermord geleugnet haben und bis heute leugnen, die Ermordungen als
Folgen von Kriegshandlungen darstellen und ganz bewusst die Unwahrheit
vertreten und darstellen. Und bis heute leugnet der offizielle türkische Staat
dieses Verbrechen und spricht eben von einer "Völkermordlüge".
Das sind also die Situationen, die wir erleben, und
ich denke, dass man so etwas auch nicht unterstützen darf, dass man hier auch
einmal klar und deutlich Stellung zu beziehen hat und nicht sagen kann, dass
wir hier die Augen verschließen. 20 Länder und internationale
Organisationen haben seit 1965 die Vernichtung der Armenier durch das
Osmanische Reich in Resolutionen, Beschlüssen und Gesetzen als Völkermord
dementsprechend auch im Sinne der UN-Völkermordkonvention von 1948 bewertet. Im
Wesentlichen handelt es sich bei der Vernichtung eines Großteils der
armenischen Bevölkerung um ein Ereignis, bei dem, wie gesagt, bis zu eineinhalb
Millionen Menschen vorsätzlich zu Tode kamen, bei dem für viele bis heute die
Anerkennung als Völkermord ein Problem ist.
Doch es soll dieses Kapitel der Weltgeschichte einmal
geschlossen werden. Deshalb muss man es auch tabulos und vorurteilslos anpacken
und nach den aktuellen historischen Ereignissen, auch des Völkermordes, auch
eingestehen. Ich glaube, das sind wir diesen Opfern schuldig, dass wir das
eingestehen und nicht zulassen, dass man so einen Völkermord und Genozid
einfach in Abrede stellt. Ich glaube, das ist etwas, wo wir doch grundsätzlich
einer Meinung sein sollten.
Was waren die beiden Großereignisse, die jetzt dieses
Thema international sozusagen wieder aufs Tapet gebracht haben? Das war auf der
einen Seite natürlich der 12. Oktober 2006, an dem in Frankreich von der
französischen Nationalversammlung ein Gesetzesentwurf angenommen wurde, in dem
festgehalten wird, dass die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern analog
zur Holocaust-Leugnung in Frankreich mit einer Strafe belegt wird.
Zum Zweiten kann man sagen, dass dieses Thema
natürlich auch deshalb wieder in den Vordergrund getreten ist, weil ein Türke,
nämlich Orhan Pamuk, den Literaturnobelpreis erhalten hat. Er wurde ihm unter
anderem sicherlich durchaus auf Grund seiner fachlichen Tätigkeiten verliehen,
aber sicherlich auch, um ein Zeichen zu setzen, dass jemand als Literat den Mut
aufbringt, in der Türkei diesen Völkermord an den Armeniern anzusprechen,
obwohl er wusste und auch wissen musste, dass der türkische Staat dann gegen
ihn vorgehen wird. Denn bis heute müssen Menschen, die diesen Völkermord in der
Türkei ansprechen, damit rechnen, dass sie vor Gericht gestellt werden und dass
sie auch mit unbedingten Haftstrafen zu rechnen haben. Solche unglaublichen
Entwicklungen sind in der Türkei bis heute der Fall.
Die offiziellen Reaktionen Ankaras haben ja auch
unsere Meinung, die Meinung der Freiheitlichen Partei Österreichs, und weiter
Teile der österreichischen Bevölkerung nur bestärkt und bestätigt, nämlich dass
die Türkei bei ihren bis heute vorhandenen Verhaltensmustern keinen Platz in
der Europäischen Wertegemeinschaft hat. Das ist ja jetzt nur ein Detailbereich,
den wir hier herausgreifen. Es gibt ja viele andere Menschenrechtsverbrechen,
die an der Tagesordnung sind. Ich glaube, das zeigt auch, dass der Beitritt
dieses Staates ein Kardinalfehler für die Europäische Union wäre und dass die
Europäische Gemeinschaft im Grunde genommen da auch nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen kann. Wir wollen keine Lösung wie in Frankreich, aber es
muss anerkannt werden, dass dieses Völkerverbrechen, dieser Massenmord stattgefunden
hat. Das ist im Grunde genommen ja bitte eine Selbstverständlichkeit, dass man
das einmal festhält.
Jetzt gibt es hier natürlich auch durchaus
interessante Entwicklungen, die wir wahrnehmen mussten von Seiten der ÖVP, der
Kanzlerpartei, nachdem dieser Bundeskanzler am 1. Oktober ja eindeutig von
der österreichischen Bevölkerung abgewählt wurde. Nur Haider und Schüssel sind
gemeinsam abgewählt worden am 1. Oktober, es ist die
ÖVP/BZÖ-Bundesregierung abgewählt worden. Es hat ja bis dato keinen Bundeskanzler
gegeben, der zu einer Wahl angetreten ist und dann minus 8 Prozentpunkte
erhalten hat. Also eine deutlichere Abwahl eines Bundeskanzlers gab es noch
niemals in der Zweiten Republik. Jetzt gibt es ein "Herumschrödern"
des Bundeskanzlers, der nicht zur Kenntnis nehmen will, dass er offensichtlich
abgewählt wurde, und der bis heute der irrigen Meinung ist, dass die Wähler
sich geirrt haben am 1. Oktober. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir mussten aber erleben, dass im
Zuge dieses Wahlkampfes die Wiener ÖVP bei diesem Thema durchaus berechtigte
Anliegen und letztlich die Rechte der Armenier im Großen und Ganzen – ich sage
das jetzt wirklich so in der direkten Art – durch eine Kandidatur eines
Bezirksrates, von dem mit offiziellem ÖVP-Logo gewisse Äußerungen in einer
gewissen Diktion zum Besten gegeben wurden, mit Füßen getreten hat. (GR
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