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Gemeinderat, 55. Sitzung vom 28.04.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 74 von 85

 

zu Wort gemeldet ist Herr GR Mag Chorherr.

 

GR Mag Christoph Chorherr (Grüner Klub im Rathaus): Meine Damen und Herren!

 

Es fällt bei dieser Diskussion schwer, jetzt einen grundsätzlich anderen Standpunkt zu beziehen. Ich möchte nur insofern ein bisschen eine Gewichtsverlagerung vornehmen, bevor ich auch meine Kritik äußere: Es ist nicht primär die SPÖ, die herumzieht und Einkaufszentren plant – das ist keine Verteidigung der SPÖ –, sondern es gibt eine internationale Entwicklung – und die sollte man einmal beschreiben; in Deutschland diskutiert die der Herr Müntefering momentan durchaus positiv –, die sich so äußert, dass Großinvestitionen dort hingehen, wo die größten Renditen zu erzielen sind. Die größten Renditen erzielen internationale Immobilienkonzerne, und jetzt fließt sehr viel Geld in Immobilienportfolios. Die werden – leider ist das so – nicht mit Wohnungen, sondern mit Einkaufszentren erzielt.

 

Ich habe mit einigen Anlegerprofis gesprochen, die mir erklärt haben, warum das internationale Geld speziell nach Österreich fließt und hier speziell in Einkaufszentren. Es gibt in der Tat keine Großimmobilienprojekte, wo nicht als Flaggschiff Erlebnisgastronomie, Einkaufszentren aufscheinen. Das heißt immer ein bisserl anders, aber dahinter verbirgt sich immer das Gleiche. Die Errichtungskosten einer derartigen Immobilie sind geringer als bei Wohnungen und Büros, und die Mieten sind doppelt gestaffelt. Das heißt, die Renditemöglichkeiten sind höher. Man hat eine Fixrendite der Immobilienbetreiber und darüber hinaus gibt es Umsatzbeteiligungen, also die Chance, weit mehr zu kriegen als zum Beispiel bei Büros und Wohnung. Das führt dazu, dass es – noch einmal – kein Projekt gibt, bei dem man nicht sagt, da und nur da brauchen wir auch ein großes Einkaufszentrum.

 

Jetzt wiederhole ich noch einmal, was das wichtigste Wort wäre, das die Wiener Planung lernen müsste, das Wort "Nein" und sich dem entgegenzustellen. Das ist nicht leicht. Das würde einmal voraussetzen, dieses Problem als solches zu erkennen und zu benennen und nicht zu sagen – siehe Stadtentwicklungsplan –, es ist eh alles paletti in Wien, wir machen eh alles okay, und sich bei jedem Einkaufszentrum noch hinzustellen und zu erklären, warum das gerade da notwendig ist, sodass wir sogar die Illusion haben, dass hätte wirklich die SPÖ gewollt, dass dort ein Einkaufszentrum hinkommt, anstatt zu sagen, he, wir haben da ein Problem, und zwar nicht nur in Wien, sondern überall, das ist die Zerstörung der Nahversorgung.

 

Jetzt komme ich noch ganz kurz – ich möchte nicht so lange reden – zu einem Vergleich, und Österreich ist hier führend. Ich habe hier – mein Dank gilt durchaus auch den Publikationen der Wirtschaftskammer; ich habe jetzt kein Taferl gemacht, ich erzähle es nur, aber wer es will, kriegt auch das Taferl, ich war nur zu faul, die Dinge da herzuhalten – die Verkaufsflächenausstattung der EU im Vergleich, die Verkaufsflächen pro Kopf der Bevölkerung. Wo haben wir heute bereits die meisten Verkaufsflächen pro Kopf? In Österreich! In Österreich mehr als in Deutschland, mehr als in Belgien, mehr als in Italien. Das mit Großbritannien kann ich mir kaum vorstellen. Die hätten nämlich nur ein Drittel der österreichischen Verkaufsflächen. Bitte, das ist eine höchst offizielle im Internet abrufbare Studie.

 

Vor dem Hintergrund ist ja vollkommen klar, was passiert. Wenn man im Internet recherchiert – und ich liebe Google, denn da kann man sich hier bei nicht so spannenden Reden auf andere Sachen vorbereiten – und sich die Umsatzentwicklung im Handel grundsätzlich anschaut, so ist die seit vielen Jahren mehr oder weniger gleichbleibend, in manchen Bereichen leicht steigend, in einigen Bereichen leicht zurückgehend. Und wie ist die Entwicklung der Verkaufsflächen in Summe? Steil steigend!

 

Einen Schilling oder einen Euro kann man nur einmal ausgeben, und das ist das Bedrohliche. Es ist deswegen besonders bedrohlich und auch ärgerlich, weil Sie genau wissen, was das zum Beispiel für die Verkehrssituation heißt. Ich bin noch in der privilegierten Situation – darum wohne ich auch dort –, in der Gumpendorfer Straße zu leben. Ich kann alles zu Fuß einkaufen oder mit dem Fahrrad. Ich habe rundherum Geschäfte, Kleingeschäfte, deren Inhaber mir alle erzählen, wenn sie über 50 Jahre sind, wenn sie in Pension gehen, wird das zugesperrt. Sie finden keinen, der nachfolgt. Und sie erzählen mir, sie sind eigentlich dumm, denn nach wirtschaftlichen Kriterien hätten sie das Geschäft längst aufgeben müssen. In Papiergeschäfte und für alles das, was man halt so braucht, da gehe ich zu Fuß. Viele Menschen in weiten Teilen der Stadt haben das nicht. Die müssen sich ins Auto setzen, müssen ins Shoppingcenter und dort zur Erlebnisgastronomie – die ich im 6. Bezirk zu Genüge habe und wo ich zu Fuß hingehen kann – mit dem Auto hinfahren. Das kommt noch dazu.

 

Und wissen Sie, was das Verheerende ist? Das ist ein irreversibler Prozess. Wenn einmal Nahversorgung am Ende ist, ist sie am Ende. Wenn ich ein Shoppingcenter mit seiner gesamten Struktur habe, kriege ich das nicht mehr weg. Das wollen wir auch nicht.

 

Ein Argument noch, das ist der demographische Trend. Wien wird älter. Wir sehen das oft nicht, weil viele sich nicht mehr auf der Straße bewegen können und auch nicht wollen. Gerade vor dem Hintergrund finde ich das einen Wahnsinn, was passiert. Ich bin jetzt eigentlich weiter, denn nur "stopp" zu sagen, das ist es nicht. Man wird maßvoll – wie ich das bei Multiplexxen gesagt habe – sehr wohl Kleinzentren oder auch Großzentren zulassen. Gar nichts zu machen, einfach nur zu sagen, wir machen gar nichts mehr, ist irreal. Was ich verlange – und zwar jedes Mal, es ist ja nicht das erste Mal, dass ich zu diesem Thema hier rede –, ist, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen und, ja, auch einem Immobilienentwickler zu sagen: Hau dich mit deinem Einkaufszentrum über die Häuser, wo du herkommst! Wir wollen das nicht!

 

Das Superbeispiel, wo die sozialdemokratischen Gemeinderäte immer brav herauskommen, ist beim Prater. Dort gibt es hundert wunderbare Beispiele, was man auf

 

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