Gemeinderat,
3. Sitzung vom 13.12.2005, Wörtliches Protokoll - Seite 69 von 80
ist die starke Zunahme an
SozialhilfebezieherInnen in den letzten Jahren. Dieser Umstand ist zum
Teil darauf zurückzuführen, dass viele Langzeitarbeitslose, darunter auch viele
Alleinerzieherinnen, eben aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik und den laufenden
Programmen herausfallen und verstärkt die Sozialhilfe der Länder in Anspruch
nehmen müssen. Diesen und auch anderen Berichten entnehmen wir, dass immer
größere Teile der Wiener Bevölkerung armutsgefährdet sind oder bereits unter
der Armutsgrenze leben.
Zur gleichen Zeit wie diese Zahlen veröffentlicht
werden, stellt sich dieses Wien als immer wohlhabender und lebenswerter dar.
Wohin dieser Trend, dieses Auseinanderdriften steigender Armut und zunehmendem
Reichtum und vor allem die mangelnde Solidarität und der fehlende Wille zur
Umverteilung führt, können wir an den Spannungsfeldern anderer europäischer
Metropolen ablesen.
Vielleicht hatten Sie die Gelegenheit, vergangenen
Sonntag den Ausführungen von Caritas-Präsident Küberl in der Pressestunde zu
folgen, der zur zunehmenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten - wir
sprechen über eine Million Menschen in Österreich und ca 80 000
Personen in Wien -, ein paar wirklich bemerkenswerte Dinge gesagt hat. Nach
Herrn Küberl gilt es, im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verstärkte
Anstrengungen zu unternehmen wie eine Wiederauferstehung des sozialen Wohnbaus,
Maßnahmen gegen Bildungsbenachteiligung der Armen, Gesundheitsversicherung der
Sozialhilfeempfänger und eine bedarfsorientierte Existenzsicherung in Höhe der
Mindestpension.
Ja, es stimmt, manche dieser Forderungen sind
durchaus an die Adresse der Bundesregierung gerichtet und Herr Küberl hat die
Bundesregierung in einer Schärfe kritisiert, die Respekt abnötigt. Doch auch
Wien hat seine Hausaufgaben in diesen Bereichen nicht gemacht.
Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Maßnahmen sind in
diesem Bereich wichtig und Maria Vassilakou hat sie bereits angesprochen. Das
ist einerseits die Grundsicherung, die wesentlich zu Armutsbekämpfung und
Armutsvermeidung beitragen würde und andererseits wäre ein kleiner, aber
wichtiger Schritt mit nicht nur symbolischer Wirkung die Einführung eines
Aktivpasses, wie wir das als Antrag im letzten Jahr unter dem Titel
“Begünstigtenausweis“ hier im Gemeinderat eingebracht haben. Ein solcher
Aktivpass würde genau jene Probleme zu lösen versuchen, ich betone, versuchen,
die auch Aufgabe einer integrativen Sozialpolitik ist.
Armut kann und darf nicht nur am Erwerbseinkommen
festgemacht werden. Armut manifestiert sich auch in unterschiedlichen
Lebensbedingungen und der Möglichkeit der sozialen und kulturellen Teilhabe und
der Chance, Bildungsangebote wahrzunehmen. Auch die Möglichkeit, Freunde zum
Essen einladen zu können oder die Frequenz, mit der es sich eine Familie
leisten kann, Fleisch auf den Speiseplan zu setzen, werden in der modernen
Armutsforschung miteinbezogen.
Aus grüner Sicht ergeben sich drei wichtige Anliegen:
Aktive Arbeitsmarktpolitik und Weiterbildung, die Umsetzung einer
bedarfsorientierten Grundsicherung und ein Powerment, das die soziale und
kulturelle Teilhabe sichert. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, ein Vergünstigungssystem
für sozial benachteiligte Menschen in Wien zu konzipieren. Inspiriert vom
Linzer Modell des Aktivpasses, zielt die Konzeption einer solchen Karte darauf
ab, alle Menschen am reichhaltigen Angebot der Stadt teilhaben zu lassen. Auch
einkommensschwache Menschen sollen mobil sein und in den Genuss von kulturellen
Angeboten wie Museumsausstellungen, aber auch von öffentlichen Sportstätten,
Schwimmbädern oder Weiterbildungsangeboten kommen.
Eine wichtige Rolle für die Teilnahme spielt der
öffentliche Verkehr. Mobil sein heißt, dazu gehören und bedeutet, seine Wege
erledigen zu können. Die Preispolitik der Wiener Linien geht auf
unterschiedliche Einkommen nicht ein. Der Fahrpreis ist für alle, ausgenommen
PensionistInnen und einiger weniger Spezialgruppen, gleich hoch. Wer nichts
hat, zahlt genau so viel, wie die/der im Wohlstand Lebende.
Für eine Kommune, die seit immer und ewig fest in
roter Hand ist, eigentlich eine erstaunliche Sache. Dabei wäre eine soziale
Staffelung leicht machbar. Was fehlt, ist der politische Wille. So bleiben
finanzschwache Menschen entweder ausgeschlossen oder fahren schwarz, was böse
ins Auge gehen kann, wenn sie erwischt werden. Deshalb bildet die Nutzung
öffentlicher Verkehrsmittel einen zentralen Bestandteil dieser Karte.
Armut spielt sich nicht nur in Sphären ab, die sich
in Zahlen gießen lassen. Auch soziale Partizipation sowie kulturelle Teilhabe
spielen eine Rolle, vor allem, was Themen, die den sozialen Aufstieg oder
umgekehrt, die Zementierung des Status über Generationen hinweg anbelangt. Eine
Stadt, die für sich beansprucht, anders zu sein, muss dies erkennen und aktive
Maßnahmen in Richtung sozialer Integration und in Enpowerment setzen.
Wenn wir diese Teilnahme den Menschen ermöglichen,
ist das nicht nur eine solidarische Umverteilung von Reichtum, damit vielleicht
der eine oder andere ins Theater, Kino oder sonstwo hingehen kann. Nein, die
Bedeutung dieser Maßnahme ist unter den Bedingungen des modernen
Arbeitsmarktes, wo es um lebenslanges Lernen, Weiterbildung, Mobilität und so
weiter geht, ein eminent wichtiger Faktor, um den steigenden Anforderungen des
Arbeitsmarktes gewachsen zu sein. Das ist besonders in Wien so, wo der Anteil
der im Dienstleistungssektor arbeitenden Menschen besonders hoch ist. Ein
einfacher und vor allem leistbarer Zugang zur Aus- und Weiterbildung für alle
in Wien lebenden Menschen ist deshalb ebenfalls ein zentraler Bestandteil des
Aktivpass-Konzepts.
„In unserer heutigen Dienstleistungs-
und Informationsgesellschaft ist Wissen die zentrale Ressource sowohl für den
individuellen als auch den gesellschaftlich ökonomischen Erfolg eines Landes.“
Das sagte niemand Geringerer als SPÖ-Parteiobmann Gusenbauer vergangenen
Freitag anlässlich der Eröffnung einer Wissenschafterkonferenz hier in Wien.
Ich gebe ihm Recht und
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