Gemeinderat,
43. Sitzung vom 19.05.2004, Wörtliches Protokoll - Seite 69 von 78
Finger in die Wunden, die da sind.
Ich habe eingangs gesagt, dass ich glaube, dass die
SPÖ nicht sieht und nicht hört, was falsch läuft in der Pflege der alten
Menschen. Und Frau StRin Pittermann hat in einer offenen Diskussion – ich
glaube, es war im Kontrollausschuss oder im Gesundheitsausschuss – erstaunt
ausgerufen: Ich wusste gar nicht, dass man in Lainz auch wohnen kann. Und wer
meint, dass man in Lainz nicht wohnen kann, verleugnet, dass es in den letzten
15 Jahren 15 000 Menschen waren, die dort ihre letzten zwei
Lebensjahre verbracht haben. Als einziger Ort, wo sie wohnten, als einziger
Ort, wo sie noch hingehörten und ausgeliefert einer totalen Institution, in der
möglicherweise nicht einmal mehr die Angehörigen Zutritt haben.
Und, Herr Kollege Deutsch, nehmen Sie die
Untersuchungskommission, nehmen Sie das Ergebnis der Geriatriekommission als
Auftrag, hier was zu verändern. Und wenn Sie glauben, dass Sie durchkommen in
der gebetsmühlenartigen Aufzählung der Verbesserungen, die in der Vergangenheit
liegen, und wenn Sie glauben, dass Sie damit durchkommen, dass Sie die Strukturen
so lassen können, wie sie sind, dann werden Sie an der alten Bevölkerung in
Wien ein weiteres Mal fehlen und sich schuldig machen. Und glauben Sie nicht,
dass es nur der Krankenanstaltenverbund ist, der schuld ist. Der muss seinen
Teil machen. Aber tun Sie den Ihren auf der Ebene der Politik. – Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Vorsitzende GRin Renate Winklbauer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist die Frau GRin
Korosec.
GRin Ingrid Korosec (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien):
Frau Vorsitzende! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Frau StRin Landauer, Sie waren sehr freundlich, wie
Sie gesagt haben, Sie freuen sich, dass der Herr Bürgermeister irgendwie kurz
zu sehen war. Ich bin nicht so freundlich und ich bin auch nicht so bescheiden.
(GR Rudolf Hundstorfer: Er ist da!)
Ich sehe ihn schon; ja. Aber es wäre sehr schön, Herr Bürgermeister, wenn Sie
hier sitzen könnten, wenn wir diskutieren, und nicht, dass wir wissen, irgendwo
da hinten stehen Sie. (Bgm Dr Michael Häupl: Ich höre ja zu!) Ich halte es auch wirklich für
wichtig bei einem Antrag, der an den Herrn Bürgermeister gestellt ist, und wer,
wenn nicht er, der Herr Bürgermeister, soll das natürlich hören und soll seine
Schlüsse daraus ziehen. (Beifall bei der
ÖVP.)
Und ich würde es auch für angebracht halten, dass von
den Gemeinderäten der Mehrheitsfraktion bei solch einer Debatte nicht viele
durch Abwesenheit glänzen, sondern dass sie anwesend sind. Weil hier geht es um
ein Problem, bitte, das die Menschen in dieser Stadt ganz, ganz massiv betrifft,
wo Sie unglaublich viel versäumt haben. Und das sollten Sie jetzt bitte einmal
zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der
ÖVP. – GR Christian Oxonitsch: Wie viele fehlen denn bei Ihnen?) Herr
Klubobmann, Sie haben in Wien die Alleinverantwortung, Sie sind
die Alleinregierung und Sie haben umzusetzen. Wenn Sie auf unsere
Vorschläge hörten, würde manches anders aussehen. (Beifall bei der ÖVP. – GR Franz Ekkamp: Sie sind nicht der
Schiedsrichter! Sehen Sie auf Ihre eigene Partei!)
Meine Damen und Herren! Pflege und Betreuung in Wien
bedeutet in erster Linie: Es geht um hochbetagte Menschen, und es ist unsere
Aufgabe, für diese Generation der Hochaltrigen menschenwürdige Zustände zu
schaffen. Diese Generation hat Wien aufgebaut, hat Wien wieder zu einer lebens-
und liebenswerten Stadt gemacht. Und wir müssen dafür dankbar sein. Das, meine
Damen und Herren, ist Theorie und wird möglicherweise auch in Sonntagsreden
verwendet. Wie aber ist die Praxis? Pflegeskandal, Trostlosigkeit in den
Massenquartieren, ob in Lainz, ob in Liesing, ob in Baumgarten. Alle politisch
Verantwortlichen waren seit 15 Jahren informiert – gehandelt wurde sehr
wenig.
Seit 1989 haben Kommissionen getagt, es wurden
Vorschläge erarbeitet, Konzepte vorgelegt. Das war – ich nenne es so – die
Hierarchie der Verantwortungslosigkeit. Von unten beginnend sich nach oben
fortsetzende Schlampereien, Pflichtverletzungen sowie Verletzungen der
Menschenwürde. Vor allem aber das eklatante Versagen der politischen
Entscheidungsträger. Das ist das Sittenbild des Roten Wien. Und das alles liest
man in den zwei Kontrollamtsberichten, und das wurde auch durch die
Zeugenaussagen in der Untersuchungskommission sehr bestätigt.
Und ich finde es schon bedauerlich, wenn man so in die
Reihen schaut und wenn dann gelacht wird, weil das ist ja alles so lustig und
es ist alles so witzig. Frau Kollegin in der letzten Reihe, ich weiß nicht, was
es da zu lachen gibt. Sie sollten eigentlich weinen. (Beifall bei der ÖVP.)
Der Herr Bgm Häupl hat in der Untersuchungskommission
die politische Verantwortung übernommen. Und, Herr Bürgermeister, was heißt
das? Sie sind zehn Jahre Bürgermeister dieser Stadt. 1993 gab es den Bericht
"Hilfe im hohen Alter" mit all den Vorschlägen, die wir heute wieder
präsentieren. Dezentrale kleine Einheiten, so viel ambulant wie möglich, so
viel stationär als notwendig. Das Pflegeheimgesetz muss kommen. Es war damals
innerhalb von zwei Jahren zugesagt. Inzwischen haben wir das Jahr 2004, wir
haben noch immer kein Pflegeheimgesetz, wo mehr Rechtsschutz, mehr
Patientenrechte verankert werden sollten. Zerschlagung der Großheime zugunsten
von kleineren Einheiten. Weg mit den Großraumzimmern. Keine sechs bis acht
Betten, sondern ein bis zwei Betten. Veränderung der Struktur, der Einrichtung
in dem Kuratorium der Pensionistenhäuser, Umwandlung in Pflegeheime und so
weiter und so fort.
Herr Bürgermeister, in der Zwischenzeit mussten
15 000 Menschen ihren Lebensabend in abgewohnten Großheimen ohne private
Sphäre – die Frau Kollegin Pilz hat es gerade vorhin angeführt – ihr Leben
fristen und auch ihr Leben beenden. Der soziale Tod war sehr oft vor dem
physischen Tod. Und warum? Deshalb, weil politisch nicht rechtzeitig gehandelt
wurde. (Beifall bei der ÖVP und des GR
Rudolf Stark.)
Die
Vorschläge lagen auf dem Tisch. Sie hätten nur
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