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Gemeinderat, 12. Sitzung vom 01.03.2002, Wörtliches Protokoll  -  Seite 39 von 81

 

Ich gebe es zu: Wenn meine Kinder sehr quengelig waren, war es auch gut, wenn sie im Stühlchen gesessen sind. Da war vorne ein kleines Tischchen, da können sie zeichnen, und sie stellen nicht gleich etwas an, wenn sie heraus wollen. - Was man bei Kindern vielleicht einmal für zehn Minuten macht, das soll man mit alten Menschen nicht machen, wenn sie tagsüber auf den Gängen in den Pflegeheimen sitzen, denn man nimmt ihnen damit die Möglichkeit, aufzustehen und sich selbständig zu bewegen. Solche Freiheitseinschränkungen sind nur in eingeschränkten und wenigen Fällen zu vertreten, in denen sich die Menschen sonst in Gefahr bringen würden.

 

Was die Unterbringungsmöglichkeiten betrifft - wir haben es gestern gehört -, so ist der Standard nach wie vor das Mehrbettzimmer, bis hin zum 8-Bett-Zimmer. Es gibt hier nur wenige bis gar keine Möglichkeiten, die eigene Privatsphäre durch Rückzug, durch ein Recht auf Intimität auch auszuleben.

 

Die Versorgung - und Frau StRin Pittermann vertritt diesen Ansatz ja auch ganz offensiv - ist in erster Linie an der medizinischen Betreuung der alten Menschen orientiert und stellt viel zu wenig in Rechnung, dass es auch psychosoziale Probleme gibt, dass die hochbetagten Menschen in den Pflegeheimen oft kleine Alltagsprobleme haben, zum Beispiel Probleme mit ihren Mitbewohnern und Mitbewohnerinnen, mit ihrer Verwandtschaft oder das Problem, dass niemand da ist, der sich um notwendige kleine Erledigungen adäquat kümmert. Ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin, der beziehungsweise die erst kommt, wenn eine Anforderung durch einen Arzt erfolgt, ist da sicher keine ausreichende Betreuung. Es soll auch so sein, dass der Zugang der Menschen zu Frischluft, zu eigenen Erledigungen gewahrt bleibt, dass nicht mühsames Bewegen, weit abgelegene Frischluftbereiche oder ferne Toiletten noch ein weiterer Hemmschuh, ein Mobilitätshindernis sind, das für alte Menschen dann möglicherweise bedeutet, den ganzen Tag im Zimmer zu bleiben.

 

Um das alles zu ändern, Frau Stadträtin, braucht es einen Sichtwechsel, einen Blickwechsel, bei dem die Menschen, die Bewohner und Bewohnerinnen in den Heimen, in erster Linie als Konsumenten einer Leistung gesehen werden, auf die sie Anspruch haben. Die Sichtweise darf also nicht die sein, dass diese Menschen hier etwas bekommen, was ihnen gewährt wird und wofür sie sozusagen mit Wohlverhalten und Dankbarkeit zu reagieren haben, sondern dass es hier um eine Leistung geht, deren Erbringung gegenüber den alten Menschen geschuldet wird. Sie sollen ebenbürtige Vertragspartner sein, die für ihr Geld auch eine Leistung erwarten können.

 

Blickwechsel heißt aber auch, wegzukommen von dem bevormundenden, bemutternden Blick auf die Bewohner und Bewohnerinnen, der letztlich auch eine Entwertung ihrer Persönlichkeit beinhaltet, hin zu mehr Selbstbestimmung und Wahrung möglichst großer Selbständigkeit, wo das möglich ist. Das heißt, dass eine Pflege sich nicht nur daran orientieren soll, dass jemand zwar vielleicht gut versorgt, aber ansonsten eben nur gut "aufgehoben" ist, sondern eine Pflege muss sich auch an dem Ziel orientieren, jene Fähigkeiten zur Selbstgestaltung und Selbstversorgung, die die Menschen haben, zu unterstützen und nicht etwa durch eine überbemutternde Betreuung verkümmern zu lassen.

 

Das alles soll durch einen Heimvertrag geregelt werden, einen Vertrag, der den Menschen in den Heimen, in den Geriatriezentren den Status in einer Beziehung unter Gleichen vermittelt und nicht etwa der Abhängigkeit. Und die HeimbewohnerInnenanwaltschaft soll die Interessen der alten Menschen dort wahrnehmen, wo sie diese selbst nicht mehr vertreten können, wo sie jemanden brauchen, der ihre Rechte an ihrer Stelle wahrnimmt.

 

Ganz bestimmt müssen in einem solchen Pflegeheimgesetz die Qualitätsstandards in der Pflege und Betreuung der alten Menschen festgeschrieben sein, und es muss sichergestellt sein, dass ihre Einhaltung auch kontrolliert wird.

 

Das wird Geld kosten. Frau StRin Pittermann hat sich gestern nicht dazu geäußert, wie sie das Pflegeheimgesetz, das sie vorlegen will, auch entsprechend dotieren kann, was es heißt, wenn man bauliche Mindeststandards einführt, was es heißt, wenn man weggeht von dem wirklich veralteten System der 8-Bett-Zimmer. Es imponiert mir wirklich nicht, wenn man sagt, die Menschen leben ohnedies gern in 8-Bett-Zimmern. Das ist eine Unterstellung, eine Behauptung, die erst darauf wartet, bewiesen zu werden. Nur weil jemand nicht laut schreit, heißt das nicht, dass es ihm gefällt, in großen Räumen unpersönlich untergebracht zu sein.

 

Frau StRin Pittermann! Legen Sie uns ein Pflegeheimgesetz vor, das diesen Kriterien entspricht, das diese Qualitätsstandards erreicht, und sagen Sie uns, wann es realisiert werden soll und vor allem wie Sie es finanzieren wollen. - Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Vorsitzende GRin Mag Heidemarie Unterreiner: Als nächste Rednerin ist Frau GRin Korosec gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

 

GRin Ingrid Korosec (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Frau Vorsitzende! Frau Berichterstatterin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Frau Dr Pilz, ich stimme in sehr vielem mit Ihnen überein. Natürlich wäre solch ein Heimvertrag etwas ganz Wichtiges, und dass Qualitätsstandards endlich einmal aufgestellt werden, ist mehr als notwendig.

 

Damit komme ich zu der Kommission, die heute wieder eingesetzt werden soll. Ich halte sie grundsätzlich für wichtig, richtig und notwendig, aber - und jetzt kommt das Aber - unter ganz bestimmten Voraussetzungen, denn eine Kommission, die es seit 32 Jahren gibt und die heute so ein Ergebnis hat, die muss man hinterfragen! Ich sage sogar: Sie hat 32 Jahre lang wirklich ein Schattendasein geführt.

 

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