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Gemeinderat, 4. Sitzung vom 27.6.2001, Wörtliches Protokoll  -  Seite 78 von 121

 

jeder Zeit und in jedem Zusammenhang - weiterer Begriff ist als einer, der sich nur auf materielle Überlegungen beschränken dürfte.

 

Es heißt ja auch "Österreichischer Fonds Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit" und das ist schon die größere Dimension und der größere Zusammenhang, wenn man diese Worte richtig verstehen will, nämlich als ernsthafte Einladung, über die materiellen Dinge hinaus nachzudenken.

 

Jetzt gibt es nach dem Versöhnungsfondsgesetz 2000 zur ehemaligen Sklaven- und Zwangsarbeiterfrage eben auch einen allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus. Und ich möchte Frau Dr Maria Schaumayer und Dr Ernst Sucharipa und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - und jeder, der mit diesen Fragen ein bisschen zu tun gehabt hat, weiß, was diese Teams geleistet haben - auch hier vom Gemeinderat aus unseren herzlichen Dank aussprechen. (Beifall bei der ÖVP und bei der SPÖ.) 

 

Dem Dr Scholz kann ich nur alles Gute wünschen. Es freut mich, dass Wien einen Restitutionsbeauftragten hat. Ist es doch gerade in unserer Koalitionsregierung, Herr Vizebürgermeister, gelungen, zu diesem Thema eine sehr wichtige Entscheidung zu treffen, nämlich die Restitution in Wien zu beschließen, was die Kunstgüter betrifft, die ja von den jetzigen Veranlassungen ausdrücklich ausgenommen sind .

 

Meine Damen und Herren! Präsident Bush hat vor kurzem der Bundesregierung und dem Bundeskanzler Schüssel brieflich und ausführlich gedankt. Ich glaube, wir sollten uns hier im Gemeinderat nicht zu gut sein, parteiüberschreitend das Gleiche zu tun. Einfach deshalb, weil mit diesen Gesetzen eine für Österreich eminent wichtige Initiative, ein eminent wichtiger Beitrag zum verantwortungsvollen Umgang mit unserer Vergangenheit geleistet wurde. (Beifall bei der ÖVP.) Und der muss sich auf allen Gebieten und in allen Bereichen abspielen.

 

Ich habe zuerst die Kunst erwähnt. Das ist genauso wichtig, das ernst zu nehmen. Ich will, dass wir in unsere Wiener Museen wieder ohne schlechtes Gewissen gehen können und ohne viele Fragezeichen, ob jedes dritte oder vierte Stück, das wir dort sehen, vielleicht doch nicht rechtmäßig erworben wurde.

 

Sie kennen ja auch ein bisschen die Vorgeschichte. Es ist jetzt schon mehr als zweieinhalb Jahre her, da habe ich einmal das Museum und das Archiv und die Bibliothek gebeten nachzuforschen, ob da irgendetwas fragwürdig oder nicht in Ordnung sein könnte, und die spontane und ich glaube, wirklich total ehrlich gemeinte Antwort war: Nein, nein, da kann überhaupt nichts sein, bei uns kann es nichts geben.

 

Meine Damen und Herren! Inzwischen sind es allein im Museum der Stadt Wien 18 000 Stück, die eigentumsrechtlich in Frage gestellt werden müssen. Das hört sich ein bisschen schlimmer an als es ist, weil es um große Sammlungen geht - über 110 Sammlungen -, aber insgesamt ist es tatsächlich diese Menge. Ich glaube, dass es uns ein Anliegen bleiben sollte, in einem überschaubaren Zeitraum - mir hat man versprochen, dass das zirka zwei Jahre sein dürften - alle diese offenen Fragen zu lösen, weil ja auch die Zeit hier ein besonderer Faktor ist. Wie gesagt, damit wir ohne schlechtes Gewissen unsere Archive, Bibliotheken und Museen in Wien besuchen können und damit das auch die Besucher unserer Stadt tun können.

 

Ich habe zuerst von der gedanklichen Dimension gesprochen und dazu gehört auch etwas, was erfreulicherweise schon gesagt wurde, nämlich dass es natürlich keinen Schlussstrich geben kann. Die Verstrahlung durch den Supergau, des größten denkbaren Zusammenbruchs aller menschlichen Werte dauert einfach länger als ein paar Jahre oder Jahrzehnte. Die Abbauzeiten werden sich über viele Generationen erstrecken, meine Damen und Herren.

 

Mir ist da noch aus meiner New Yorker Zeit ein Gedicht in Erinnerung, das ich Ihnen nur auszugsweise vorlesen möchte: "Hitler ist tot", heißt es hier im "Trommellied vom Irrsinn" von Alfred Farau, "nun schwenket keine Fahnen, marschiert nicht auf und läutet nicht die Glocken. Das ist ein Tag der Trauer und der Scham. Das ist kein Tag, um jauchzend zu frohlocken." Dann beschreibt er warum, weil so etwas ja nicht einfach aus dem Boden kommt und da ist wie ein Ungewitter, sondern weil es eben gewachsen sein muss. Und am Schluss schreibt er: "Und Lehrer müssen allen Völkern aufstehen. Sie lehren, den Zusammenhang zu schauen und zu begreifen, dass es nur an uns liegt, die Welt nach unserem Willen umzubauen. Damit einst eine Menschenwelt erstehe, die solchen Männern keinen Raum mehr lässt. Die es versteht, sich ihnen zu verschließen und sie vermeiden lernt so wie die Pest." Und dann schreibt er, erst wenn das geschieht, erst wenn das so weit ist, dann kann man daran denken, Glocken läuten zu lassen und zu frohlocken. "Besinnt euch Leute und geht still nach Hause. Hitler ist tot. Der wahre Kampf beginnt." Das schreibt der Exilant Alfred Farau 1945.

 

Meine Damen und Herren! Der wahre Kampf, das heißt einfach, politisch bereit und entschlossen und in der Lage zu sein, permanent aufzufordern, einzuladen, nicht nachzugeben, wenn es um die Nachlässigkeit im Umgang mit der dunkelsten Zeit unserer Geschichte geht. Dazu gehört die Erziehung, die Bildung, die Debatte, die Auseinandersetzung, die Offenheit und alles, was dazugehört. Dazu gehört auch der schon erwähnte Judenplatz, der heute ein würdevoller und weltweit anerkannter Platz des Gedenkens und des Nachdenkens ist. Ich hoffe, dass alle von Ihnen schon dort waren. Sie werden etwas bemerken: Wenn Sie sich einfach an irgendeine Ecke hinstellen und eine viertel Stunde stehen bleiben, wie sich die Schritte der Platzbesucher, der Menschen, die auf diesen Platz stoßen, von allen Seiten verlangsamen.

 

Irgendwo bleiben die dann stehen, schauen nach links, schauen nach rechts und schauen auf das

 

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