Gemeinderat,
4. Sitzung vom 27.6.2001, Wörtliches Protokoll
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jeder Zeit und in jedem Zusammenhang - weiterer Begriff ist als einer, der
sich nur auf materielle Überlegungen beschränken dürfte.
Es heißt ja auch "Österreichischer Fonds Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit"
und das ist schon die größere Dimension und der größere Zusammenhang, wenn man
diese Worte richtig verstehen will, nämlich als ernsthafte Einladung, über die
materiellen Dinge hinaus nachzudenken.
Jetzt gibt es nach dem Versöhnungsfondsgesetz 2000 zur ehemaligen Sklaven-
und Zwangsarbeiterfrage eben auch einen allgemeinen Entschädigungsfonds für
Opfer des Nationalsozialismus. Und ich möchte Frau Dr Maria Schaumayer und Dr
Ernst Sucharipa und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - und jeder, der
mit diesen Fragen ein bisschen zu tun gehabt hat, weiß, was diese Teams
geleistet haben - auch hier vom Gemeinderat aus unseren herzlichen Dank aussprechen.
(Beifall bei der ÖVP und bei der SPÖ.)
Dem Dr Scholz kann ich nur alles Gute wünschen. Es freut mich, dass Wien
einen Restitutionsbeauftragten hat. Ist es doch gerade in unserer
Koalitionsregierung, Herr Vizebürgermeister, gelungen, zu diesem Thema eine
sehr wichtige Entscheidung zu treffen, nämlich die Restitution in Wien zu
beschließen, was die Kunstgüter betrifft, die ja von den jetzigen Veranlassungen
ausdrücklich ausgenommen sind .
Meine Damen und Herren! Präsident Bush hat vor kurzem der Bundesregierung
und dem Bundeskanzler Schüssel brieflich und ausführlich gedankt. Ich glaube,
wir sollten uns hier im Gemeinderat nicht zu gut sein, parteiüberschreitend das
Gleiche zu tun. Einfach deshalb, weil mit diesen Gesetzen eine für Österreich
eminent wichtige Initiative, ein eminent wichtiger Beitrag zum
verantwortungsvollen Umgang mit unserer Vergangenheit geleistet wurde. (Beifall bei der ÖVP.) Und der muss sich
auf allen Gebieten und in allen Bereichen abspielen.
Ich habe zuerst die Kunst erwähnt. Das ist genauso wichtig, das ernst zu nehmen.
Ich will, dass wir in unsere Wiener Museen wieder ohne schlechtes Gewissen
gehen können und ohne viele Fragezeichen, ob jedes dritte oder vierte Stück,
das wir dort sehen, vielleicht doch nicht rechtmäßig erworben wurde.
Sie kennen ja auch ein bisschen die Vorgeschichte. Es ist jetzt schon mehr
als zweieinhalb Jahre her, da habe ich einmal das Museum und das Archiv und die
Bibliothek gebeten nachzuforschen, ob da irgendetwas fragwürdig oder nicht in
Ordnung sein könnte, und die spontane und ich glaube, wirklich total ehrlich gemeinte
Antwort war: Nein, nein, da kann überhaupt nichts sein, bei uns kann es nichts
geben.
Meine Damen und Herren! Inzwischen sind es allein im Museum der Stadt Wien
18 000 Stück, die eigentumsrechtlich in Frage gestellt werden müssen. Das
hört sich ein bisschen schlimmer an als es ist, weil es um große Sammlungen
geht - über 110 Sammlungen -, aber insgesamt ist es tatsächlich diese Menge.
Ich glaube, dass es uns ein Anliegen bleiben sollte, in einem überschaubaren
Zeitraum - mir hat man versprochen, dass das zirka zwei Jahre sein dürften -
alle diese offenen Fragen zu lösen, weil ja auch die Zeit hier ein besonderer
Faktor ist. Wie gesagt, damit wir ohne schlechtes Gewissen unsere Archive,
Bibliotheken und Museen in Wien besuchen können und damit das auch die Besucher
unserer Stadt tun können.
Ich habe zuerst von der gedanklichen Dimension gesprochen und dazu gehört
auch etwas, was erfreulicherweise schon gesagt wurde, nämlich dass es natürlich
keinen Schlussstrich geben kann. Die Verstrahlung durch den Supergau, des größten
denkbaren Zusammenbruchs aller menschlichen Werte dauert einfach länger als ein
paar Jahre oder Jahrzehnte. Die Abbauzeiten werden sich über viele Generationen
erstrecken, meine Damen und Herren.
Mir ist da noch aus meiner New Yorker Zeit ein Gedicht in Erinnerung, das
ich Ihnen nur auszugsweise vorlesen möchte: "Hitler ist tot", heißt
es hier im "Trommellied vom Irrsinn" von Alfred Farau, "nun
schwenket keine Fahnen, marschiert nicht auf und läutet nicht die Glocken. Das
ist ein Tag der Trauer und der Scham. Das ist kein Tag, um jauchzend zu
frohlocken." Dann beschreibt er warum, weil so etwas ja nicht einfach aus
dem Boden kommt und da ist wie ein Ungewitter, sondern weil es eben gewachsen
sein muss. Und am Schluss schreibt er: "Und Lehrer müssen allen Völkern
aufstehen. Sie lehren, den Zusammenhang zu schauen und zu begreifen, dass es
nur an uns liegt, die Welt nach unserem Willen umzubauen. Damit einst eine
Menschenwelt erstehe, die solchen Männern keinen Raum mehr lässt. Die es versteht,
sich ihnen zu verschließen und sie vermeiden lernt so wie die Pest." Und
dann schreibt er, erst wenn das geschieht, erst wenn das so weit ist, dann kann
man daran denken, Glocken läuten zu lassen und zu frohlocken. "Besinnt
euch Leute und geht still nach Hause. Hitler ist tot. Der wahre Kampf
beginnt." Das schreibt der Exilant Alfred Farau 1945.
Meine Damen und Herren! Der wahre Kampf, das heißt einfach, politisch bereit
und entschlossen und in der Lage zu sein, permanent aufzufordern, einzuladen,
nicht nachzugeben, wenn es um die Nachlässigkeit im Umgang mit der dunkelsten
Zeit unserer Geschichte geht. Dazu gehört die Erziehung, die Bildung, die Debatte,
die Auseinandersetzung, die Offenheit und alles, was dazugehört. Dazu gehört
auch der schon erwähnte Judenplatz, der heute ein würdevoller und weltweit
anerkannter Platz des Gedenkens und des Nachdenkens ist. Ich hoffe, dass alle
von Ihnen schon dort waren. Sie werden etwas bemerken: Wenn Sie sich einfach an
irgendeine Ecke hinstellen und eine viertel Stunde stehen bleiben, wie sich die
Schritte der Platzbesucher, der Menschen, die auf diesen Platz stoßen, von
allen Seiten verlangsamen.
Irgendwo bleiben die dann stehen, schauen nach links,
schauen nach rechts und schauen auf das
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