Gemeinderat,
3. Sitzung vom 26.6.2001, Wörtliches Protokoll
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Ich bin auch für die
Familien, auch für die Kinder, nur ist die Familie einfach nicht mehr die alte
Kernfamilie im herkömmlichen und traditionellen Sinn. Es gibt ein Haufen
Patchwork-Verbindungen zwischen verschiedenen Menschen und auch die alle sind
Familie und die alle muss man mitbedenken.
Lassen Sie
mich ein bisschen was zur Treffsicherheit sagen. Das ist ja mittlerweile zur
gefährlichen Drohung geworden. Treffsicherheit heißt ja nichts anderes, als
dass man sagt: Es gibt zwar rund 1 Million Menschen in Österreich, die
entweder arm sind oder an der Grenze der Armut sind, bei denen das Risiko groß
ist, dass sie arm werden, aber vergessen wir einmal die Million, versorgen wir
zunächst nur die 500 000 Ärmsten.
Wissen Sie,
was in all den Ländern passiert ist, die diesen Weg, der ein neoliberaler Weg
ist, die diesen Weg der Treffsicherheit gegangen sind? - Ich glaube, einige von
Ihnen wissen es einfach. Das sind die Länder mit der größten Armut. Das ist
England, das ist Amerika, und ich denke nicht, dass Österreich diesen Weg in
der Folge beschreiten sollte.
Das heißt, ich
behaupte, dass jene Länder, die ihre Sozialpolitik so gestalten, dass sie
soziale Grundrechte schaffen und damit einen wesentlich breiteren Teil der
Bevölkerung quasi - "versorgen" ist das falsche Wort - mit
Sozialpolitik bedenken, wesentlich besser fahren, tatsächlich Armut verhindern
und tatsächlich so etwas wie eine Prävention auf diesem Gebiet machen. Deshalb
behaupte ich, Sie zerschlagen derzeit viel Geschirr - und nicht nur in der
Sozialpolitik, sondern selbstverständlich auch in der Schulpolitik.
Was müssten in
dieser Situation die Wiener eigentlich machen? - Die Wiener müssten eine gute
Analyse der Sozialpolitik auf der Bundesebene machen und dann ihre Schlüsse
daraus ziehen und sagen: Jetzt kommt dieser große Wiener Gegenentwurf, wir in
Wien bringen etwas zusammen.
Jetzt behaupte
ich nicht, dass sich das niemand gedacht hat. Das denken sich natürlich in Wien
alle, die mit Sozialpolitik in irgendeiner Form befasst sind, sehr wohl. Da
will ich niemandem etwas unterstellen. Nur eines möchte ich an der Stelle auch
festhalten: So viel Geschirr wie die Regierungsparteien derzeit in der
Sozialpolitik zerschlagen, so viele Scherben können die Wiener gar nicht
wegkehren. Das wird nicht möglich sein. Das heißt, die Wiener können eine
optimale Sozialpolitik anstreben, aber sie werden es nicht zusammenbringen, das
alles zu reparieren, was Sie derzeit ruinieren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Jetzt möchte
ich mich gerne ein bisserl mit den Wienern unterhalten und vielleicht gelingt
es uns heute, nicht wieder das alte Ritual aufzunehmen. Normalerweise ist es
so: Ich stelle mich da her und sage Ihnen, wo ich finde, das ist schlecht, das
ist schlecht und das ist schlecht, das ist ungerecht, ungerecht, ungerecht,
falsch, falsch, falsch. Und dann kommt Frau GR LUDWIG heraus, hält den großen
Verteidigungsrundumschlag und erklärt mir, warum das alles vollkommen anders
ist, und dann kommt Frau GR Malyar und erklärt uns auch allen, dass alles ganz,
ganz tiptop ist, und wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Ich möchte
jetzt dieses Ritual einmal beiseite lassen und nur ein paar Punkte nennen und
vorschlagen: Befassen wir uns damit, überlegen wir uns, wie es besser gehen könnte,
überlegen wir uns, in welchen Punkten Verbesserungen ansetzen müssen, und
schauen wir, ob wir für Wien etwas zusammenbringen!
Erstes
Beispiel: Obdachlosigkeit. Da ist in Wien in den wenigen letzten Jahren etwas
weitergegangen. Da gab es Verbesserungen, und zwar vor allem Verbesserungen
struktureller Natur, und das ist ja immer das ganz Wichtige, dass sich in der
Struktur etwas verändert. Das heißt, da wurde etwas zusammengebracht, aber trotzdem
stelle ich jetzt eine Frage, und ich möchte sehr, sehr gerne, dass mir die
sozialdemokratischen Abgeordneten, die dann hier reden werden, auch wirklich
eine Antwort geben. Vielleicht können wir in dieser Sitzung einen Dialog
aufbauen und nicht immer wieder diese ganz lähmenden Rituale der Gemeinderatssitzungen
wiederholen.
Die
Obdachlosen bitten darum, fordern die Freifahrt auf den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Das ist eine sehr gescheite Sache, denn wenn man kein Geld hat und trotzdem
mobil sein will, dann muss man halt irgendwo auf den Öffis auch fahren können,
ohne so viel Geld zu zahlen wie die anderen. Warum, bitte, gelingt es nicht, in
dieser Freifahrt auch nur einen Schritt weiterzukommen? - Ich verstehe es
mittlerweile nicht mehr. Wenn wir sagen, jeder, der alt ist, aber von mir aus
100 000 S im Monat netto hat, aber halt schon das Alter erreicht hat,
fährt um die Hälfte des Geldes, warum kann man nicht auch noch sagen: Nicht nur
jeder, der alt ist, sondern auch jeder, der arm ist, fährt um die Hälfte? Warum
geht das nicht in einer sozialdemokratisch regierten Stadt?
Erklären Sie
es mir nur einmal! Und bitte, bitte, sagen Sie mir nicht wieder, damit wären
diese Leute stigmatisiert. Wir sagen bei den alten Menschen auch nicht, sie
sind stigmatisiert, wenn sie um den halben Preis fahren. Sagen wir es bei den
Armen auch nicht! Lassen wir sie nur einfach fahren. Es ist die einzige
Möglichkeit, dass sie mobil sind. (Beifall
bei den GRÜNEN - leicht verzögert.) Ihr habt den Einsatz verpasst. (GR Martina Malyar: Sie schlafen noch! -
Heiterkeit.)
Ein anderes Beispiel:
Es gibt Menschen, die auf der Straße sind, und zwar schon längere Zeit. Die
würden vielleicht irgendwo eine Wohnung auftreiben, die 3 500,
4 000 S kostet und im privaten Bereich zu finden ist. Das entspricht
in etwa der Summe, die die Stadt Wien immer noch in der Guldenstraße zahlt. Ich
mache jetzt keinen Vorwurf in Richtung Guldenstraße. Ich weiß, es passiert
etwas, es läuft ganz gut. Aber für dieses Loch in der Guldenstraße,
8 Quadratmeter ohne Klo - wer immer dort reingeht, hält einmal die Luft
an, das ist ja fast nicht auszuhalten; grauenhaft;
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