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Gemeinderat, 3. Sitzung vom 26.6.2001, Wörtliches Protokoll  -  Seite 3 von 121

 

(Wiederaufnahme der Sitzung um 9.00 Uhr.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Einen schönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Wir nehmen die unterbrochene Sitzung mit Elan, wie ich annehme, wieder auf.

 

Entschuldigt sind Herr GR Johann Hatzl bis 12 Uhr, Frau GR Mag Heidemarie Unterreiner von 13 bis 17 Uhr, Herr GR Josef Rauchenberger.

 

Die Beratungen des Rechnungsabschlusses der Bundeshauptstadt Wien für das Jahr 2000 werden, wie gesagt, fortgesetzt.

 

Wir kommen nun zur Beratung der Geschäftsgruppe Bildung, Jugend, Soziales, Information und Sport.

 

Zum Wort gemeldet ist Frau GR Susanne Jerusalem. Ich erteile es ihr.

 

GR Susanne Jerusalem (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrte Frau Stadträtin! Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Ein paar von Ihnen schauen ja schon richtig frisch aus und die anderen ruhen hoffentlich noch. (Ruf: Wieso hoffentlich?) Hoffentlich, damit sie dann ausgeschlafen hier erscheinen.

 

Ich möchte Sie gerne an eine Sache erinnern, die Ihnen sicher allen begegnet ist, und zwar mir zu meinem allergrößten Missfallen und Ihnen möglicherweise zum ganz großen Wohlgefallen. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern können, da gab es eine Aktion in den Schulen, da haben die Kinder für Kinder Geld gesammelt. Es war im Rahmen von "Nachbar in Not". Wenn ich das gesehen habe, bin ich immer irgendwie geschwind auf die Toilette gegangen oder etwas trinken gegangen und habe versucht, dem zu entkommen, denn mir war bei der Geschichte sehr, sehr unwohl in meiner Haut. Mir hat das überhaupt nicht gefallen.

 

Ich habe dann darüber nachgedacht, warum mir das so überhaupt nicht gefällt, und ich habe mir gedacht, das ist ein richtiges Beispiel, bei dem es um diese würdigen Armen geht. Es gibt die Armen, die schauen freundlich aus, die sind so adrett und gewaschen, die schauen aus wie gute Menschen, das sind die, die so unschuldig in Not geraten sind, also ganz unschuldige, arme, brave Menschen, und für die sammeln wir jetzt recht viel Geld. Und auf der anderen Seite gibt es auch immer diese unwürdigen Armen. Das sind die Parasiten, die Schmarotzer und so weiter, für die wir nicht gerne Geld hergeben.

 

In dieser Schule haben nun unschuldige, brave Kinder für arme, unschuldige, brave Kinder gesammelt. Die ganze Schule wurde da faktisch mit hineingezogen und hat mitgesammelt. Ich persönlich halte das für falsch. Erstens deswegen, weil da auch viele arme Kinder aufgefordert wurden, Geld herzugeben. Ich halte das einfach für falsch. Es gibt viele Familien, bei denen am Ende des Monats zu Hause nur noch Kartoffeln gegessen werden. Es gibt viele Familien, bei denen es gar nicht in Frage kommt, dass irgendwer in ein Kino geht oder an einer sonstigen Veranstaltung teilnimmt. Und dass man dann, quasi als Schau, die Kinder auffordert, Geld abzugeben, und dann gehen alle Kinder - man hat es ja gesehen im Fernsehen - aus den Bankreihen heraus und an dem großen Sparschwein vorbei und werfen da etwas ein, das halte ich für falsch.

 

Ich möchte jetzt am Beginn meiner Rede nur sagen, dass man sich, da ich glaube, dass da heftige Seilschaften am Werk sind - denn wer darf denn schon in der Schule sammeln -, darauf einigt, die Kinder nicht ständig sammeln und betteln zu schicken, weder für die Caritas noch für den Stephansdom, weder auf der Straße noch in irgendwelchen Schulen. Wenn die Regierung will, dass gesammelt wird, wenn "Licht ins Dunkel" oder wenn die Herren Seilschaften wollen, dass Geld für etwas hereinkommt, dann sollen sie das bitte bei Erwachsenen machen. Dann sollen sie sich vor die Bank hinstellen und die Erwachsenen auffordern, zu sammeln, oder vor dem Billa oder sonst wo, aber nicht bei den Kindern. Das möchte ich zunächst einmal nur hier deponiert haben. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

 

Ja, man soll sie nicht instrumentalisieren. Da gebe ich Ihnen 100-prozentig Recht. Die Kinder gehören für so etwas nicht instrumentalisiert und man kann und soll so etwas auch nicht in die Schulen hineintragen. Da bin ich 100-prozentig bei Ihnen. Das sollte man nicht machen, und die Herren Seilschafen sind aufgerufen, das auch nicht zu machen.

 

"Licht ins Dunkel" sollte man sich auch einmal genauer anschauen. Da gibt es so viele Dinge, für die gesammelt wird, für die gebettelt wird, wo sich doch jeder anständige Mensch nur fragen kann: Und was, bitte, machen die mit meinen Steuergeldern? Ich zahle gerne Steuer auch dafür, dass es in Österreich keine Armut gibt und damit Sozialpolitik gemacht wird. Wieso wird für das alles gebettelt und gebettelt und gebettelt? - Das sind alles Brosamen und Gnadenakte. Wir brauchen doch soziale Rechte und nicht irgendwen, der irgendwo das Geld zusammenbettelt für die ganz armen Leute. Ich halte das für eine völlig falsche Entwicklung.

 

Der Kabarettist Schneyder hat das auch einmal ganz deutlich gesagt: Ich will, dass mit meinen Geldern Sozialpolitik gemacht wird und dass für die gute Sache nicht immer gebettelt wird. - Das wollte ich eingangs nur gesagt haben.

 

Um zu sehen, wie es in der Sozialpolitik weitergeht, muss man sich natürlich zunächst einmal die Regierungspolitik anschauen. Die Regierung macht eindeutig eine neoliberale Sozialpolitik. Wirtschaftspolitik und Budgetpolitik stehen über der Sozialpolitik. Das ist die ganz wesentliche Kritik.

 

Dann hat die Regierung noch ihre Lieblingsarmen, die irgendwie versorgt werden, das sind die Familien. Da konnte sich offensichtlich das neoliberale mit dem konservativen Element treffen. Die Familien werden versorgt und da ist plötzlich auch die Treffsicherheit vollkommen Wurscht, da wird mit der Gießkanne über die Familien drübergefahren. Diese Menschen werden versorgt.

 

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