Mitschrift
Ich bin 1933 in Wien geboren. Anfang des Jahres, im Februar. Und, ähm, die ersten großen Eindrücke meines Lebens war eigentlich der Anschluss. Und zwar hab ich das nicht so genau verstanden. Ein Fünfjähriger versteht das nicht so genau. Da waren Aufmärsche, Gebrüll, Lastwagen sind gefahren, mit schreienden und singenden Leuten. Und mein Vater war eigentlich traurig, nicht. Und ich erinnere mich, wie er zur Mutter gesagt hat: "Jetzt sind s' da. Aber Leut, die Telefonhäusl in die Luft sprengen, die können nicht regieren." Da waren in der Familie: Mein Vater war ein weichender Bauernsohn aus Niederösterreich. Mit neun Kinder. Also, da waren alle Parteien vertreten. Da hat's einen Nazi gegeben und alles, was das Spektrum in Österreich hergegeben hat. Das war das Milieu, in dem ich aufgewachsen bin. Das ist auch interessant. Mein erster Schultag war der 1. September 1939. Da war ich sechs Jahre alt und bin in die erste Volksschulklasse gegangen. In die Erdberger Schule. Also im tiefsten Erdberg. Da war der Oberlehrer, der Rektor, wie er hieß, ich kann mich noch heute erinnern, der hat eine Parteiuniform angehabt und hat einen Vortrag gehalten. Das hab ich mir gemerkt, mit meinen sechs Jahren. Er hat dort gesagt: "Es gibt Krieg und wir werden alle kämpfen müssen." Unsere Väter und Onkel und ältere Brüder, Cousins und was weiß ich, was er gesagt hat. Die werden also alle einrücken müssen und fürs Vaterland heldenhaft kämpfen müssen. Und da wird der eine oder andere auch fallen. Also der wird tot sein, weil er sich fürs Vaterland opfern musste. Das hab ich mir als sechsjähriger Bub gemerkt, ich war sechseinhalb. Da dachte ich: aha. Und das war dann der Heimweg eines sechsjährigen Buben vom ersten Schultag. Da hab ich darüber nachgedacht: Also, okay, wenn da Leute fallen und sterben - wer aus meiner Umgebung könnte denn das sein? Den Vater hab ich ausgeschlossen, den hab ich ungeheuer gern gehabt. Der durfte nicht sterben. Dann hab ich Cousins gehabt, die wesentlich älter waren. Die durften auch nicht sterben. Dann ist mir der eine oder andere, der mich mal geärgert hat, weil ich laut ihm frech war ... Da hab ich gemeint, also so in mich hinein, nicht wahr: Der würde mich weniger irritieren. Das waren Gedanken, das weiß ich bis heute, als wäre es gestern gewesen. Aber das war der Eindruck, den halt so ein Kind mitnimmt, nicht? Und dann, als es angefangen hat, war es noch relativ ruhig. Der Vater hat, obwohl er nicht mehr so jung war, einrücken müssen. Auch der Onkel. Also, seine zwei älteren Brüder waren im Ersten Weltkrieg eingerückt. Die zwei anderen, es waren vier Söhne und fünf Töchter, die anderen zwei, der Vater und der andere, waren 1904 und 1905 geboren. Die sind also im Zweiten Weltkrieg eingerückt gewesen. Der andere, der Onkel, der Bruder von ihm, mit dem ich sehr gut war, das war der Ferdl-Onkel, der ist gefallen. Mein Vater Gott sei Dank nicht. Und das war so der Eindruck. Cousins sind gefallen, dann die Ehemänner meiner Tanten. Wie das halt war. Das waren im Wesentlichen gesunde Leut. Die mussten alle ran, nicht, und da hat es halt die Opfer gegeben. Am meisten getroffen hat mich von meinen Verwandten der Tod eines Cousins, der am 31. Dezember, das war der Sohn einer Schwester meines Vaters, 1927 geboren war. Also im Prinzip nur fünf Jahre älter war als ich. Mit dem war ich sehr gut. Und der ist auch gefallen. Und zwar Mitte ... Mitte Jänner 1945, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe. Das hat mich ungeheuer getroffen. Weil mit dem war ich gut. Das war ein Automechaniker. Und der war 17 Jahre alt. Ein paar Tag über 17 ist er gefallen. Gar nicht weit. Ich glaub, irgendwo an der ... an der damaligen Grenze des Heiligen, des Deutschen Reiches zu Ungarn oder zur Slowakei. Ein Bruder meines Vaters war Nationalsozialist. Der war mir zuwider. Der hat halt geglaubt, jetzt kriegen die Leut eine Arbeit, jetzt wird die Not vorbei sein. Das war seine Überzeugung. Und mein Vater hat mit dem immer Auseinandersetzungen gehabt. Das war der älteste Bruder. Der zweitälteste Bruder, mit dem war mein Vater wieder sehr gut. Das war der Bauer. Mit dem war ich sehr gut. Das war mein zweiter Vater. Der hat keine Kinder gehabt und da hat er mich so ... Von dem hab ich viel gelernt. Der war gescheit. Ein ruhiger, überlegter Mann. Da erinnere ich noch, wenn über Heldentaten geredet wurde ... Mein Vater hat das nicht, er hat gesagt: "Ich bin froh, wenn ich nicht an die Front muss." Und da haben alle erzählt, was da war und was passiert ist. Da hat der Bauer immer zu mir gesagt: "Lass die Deppen reden. Ich hab keinen gesehn, der sich nicht halb tot gefürchtet hat." Der war im ganzen Ersten Weltkrieg eingerückt, der hat das ganz realistisch gesehen. Ein starker Anti-Nazi. Der Vater ist ein weichender Bauernbub gewesen. Er hat in Wien gearbeitet, in Wien geheiratet, aber stammte aus Piesting. Taus ist dort in dem Graben eher ein häufiger Name. Ich wurde ausgewählt für die Napola. Mein Vater war striktest dagegen, dass ich dort hingehe. Und ... da hat er sich also ... mein Vater war Fleischhacker. Und daher war er zeitweise Koch. Und sein Kompaniechef war, so viel ich weiß, ein preußischer Finanzbeamter. Hauptmann der Reserve. Der auch ein Anti-Nazi war, ein ganz ein starker. Und dem hat der Vater halt gesagt: "Der Bub soll zur Napola kommen und er will das nicht, Herr Hauptmann." Ich weiß sogar den Namen, obwohl ich ihn nie gesehen hab. Hauptmann Noah hieß er. Als Bub hab ich mir das gemerkt, als Neunjähriger, wie der hieß. Er ist in den letzten Kriegstagen, Wochen in Berlin gefallen, wo die Einheit vom Vater war. Obwohl er, glaub ich, ein Berliner gewesen ist. Und der hat gesagt: "Ach Gott, du wirst doch deinen Buben nicht diesem Gesindel geben." Und er hat Briefe geschrieben, dass ich zurückgestellt werde. Ich glaub, er war sogar Jurist, konnte daher mit Bürokratie umgehen. Den Brief hat der Vater unterschrieben und ich wurde zurückgestellt. Es gab in der Nazizeit keinen Religionsunterricht. Und meine Eltern waren keine Gegner. Der Vater kam vom Land, aber auch die Mutter, die kommt in Wien aus kleinen Verhältnissen, die war auch nicht dagegen. Sie haben sich nicht zerfetzt, aber sie war nicht dagegen. So hat man mich als Siebenjährigen oder so in den sogenannten Seelsorgeunterricht der Pfarre Alt-Erdberg geschickt. Als Vorbereitung für die Erstkommunion. Und da waren so, was weiß ich, 20, 25 Buben. So viele gab es ja nicht, damals. Viele sind ja ausgetreten gewesen und so, nicht wahr. Und da war ein junger Kaplan dort, Brenner hieß er, Franz Brenner, der dann ein recht bekannter Schriftsteller wurde, äh ... das war dann der Biograf eines katholischen Lyrikers. Er hat dann ein paar Novellen geschrieben. Eine davon, "Der Totenvogel", ist besonders gut gewesen. Der war auch ein ... Ja, dann nach dem Krieg war er in der Lehrerakademie, also in der Lehrerbildungsanstalt war er Professor, Religionsprofessor. Und der hat mich so gewissermaßen entdeckt. Der hat uns da vorgetragen, also das war unser Lehrer. Und dem bin ich aufgefallen, aus irgendeinem Grund. Der hat mir die ersten Bücher meines Lebens gegeben und hat gesagt: "Lies das, reden wir darüber." Und dann bin ich in dem Fahrwasser geblieben. Dann hat es noch zwei Kapläne gegeben, die sind wieder zurückgekommen, die waren eingerückt. Geistliche mussten ja genauso einrücken. Die waren bei der Sanität. Na gut, da sind sie genauso drangekommen wie alle, bloß halt Dienst ohne Waffe. Und der hat einen Herzfehler gehabt, wurde aber trotzdem über 80. Ihm blieb die Wehrmacht erspart, dem Professor Brenner. Durch den ... Der hat mich stark beeinflusst. Und das hat mir imponiert, was ich da gesehen habe, was man alles lesen kann. Ich habe wahnsinnig viel gelesen. Also mit sieben, acht Jahren. Ich glaub, ich war einer der Ersten, der den Tom Shark und den Rolf Torring, und wie sie alle hießen, gelesen hab. Und dann kam der erst und zeigte mir was ganz anderes. Das wusste ich gar nicht, dass es so was gibt. Das war in der zweiten oder dritten Volksschule ungefähr. Ich bin ins Gymnasium gegangen. War auch ganz interessant. War ja eine ziemlich harte Selektion. Als erstes durfte man zur Aufnahmeprüfung, die zwei Tage dauerte und wir waren so eine große Klasse. Hing wohl schon damit zusammen, dass viele eingerückt waren. Denn wir haben so ab der zweiten Klasse immer nur, in unseren Bubenaugen, alte Männer und Frauen als Lehrer gehabt. Und wir waren ungefähr 40 in der Klasse. Da wurden ausgewählt drei, die zur Aufnahmeprüfung antreten durften. Nur drei. Und die hat zwei Tage gedauert, aber das ist Detail. Da ist einer von uns dreien durchgefallen, der ausgewählt wurde und wir zwei sind offenbar glatt durchgekommen. Und wir haben dann auch die Matura glatt geschafft, ohne Problem. Das heißt, das war noch im Krieg. Ich bin 1943 gekommen. Das war ein hartes Auswahlprinzip. Ganz hart, da hat es nichts gegeben. Aber auch in Erdberg die Eltern hatten sicherlich nur eine geringe Interventionskapazität. In der Wiener Vorstadt hat es keine mächtigen Menschen gegeben, die irgendwas sagen könnten. Ein Mittelschulprofessor, das war eine Lichtfigur. Der so weit weg war, wo jeder vor Respekt erstorben ist. Aber mir ist es im Gymnasium gut gegangen. Ich hab dort maturiert. Ging nicht schlecht. Da gibt's auch eine Geschichte, die hab ich vom Vater. Sie waren dann eingesetzt zur Sicherung. Das waren lauter ältere Männer, alle um die 40. Mein Vater war bei einer Handwerkerkompanie. Luftwaffen-Baukompanie hat das geheißen. Und da war auch der Hauptmann einer Kompanie Chef. Und vielleicht ganz interessant, was der Vater erzählt hat, mehr kann nicht sagen. Und der Hauptmann hat sich dann ... mit den Bürgermeistern dieser drei, vier Dörfer, in denen sie waren, die sie besetzten und schauten, dass keine Partisanen kommen, ins Benehmen gesetzt. Und das waren eben lauter Handwerker. Das war die Luftwaffen-Baukompanie. Und die haben das erste Mal in ihrem Leben ein WC gegraben und Wasserleitungen gemacht. Und einen Saal haben sie gebaut, für ein Kino und alles. Und sie haben keine Verluste gehabt. Sie sind nie von Partisanen angegriffen worden. Die waren natürlich alle Leute aus den Dörfern. Und der Hauptmann war intelligent, das war der, der mich von der Napola ferngehalten hat. Der hat das auch verstanden. Und er hat ein Agreement mit den Dorfältesten geschlossen. Daraufhin haben sie, im Gegensatz zu den anderen Kompanien des Bataillons, die weit verstreut in den Wäldern, den weißrussischen, gewesen sind, keine Verluste gehabt. Sie mussten jeden Tag Patrouille fahren und schauen, was los ist. Nichts. Sie sind nie beschossen worden, sie waren die Guten. Das heißt, die Leute waren eh willig. Und solche Sachen, hat der Vater gesagt, das war ihr Überleben. Weil bei der Nachbarskompanie hat es große Verluste gegeben. Die haben halt die wilden Leute gespielt. So hat er es mir erzählt. Das hab ich ja nicht selber erlebt. Aber der Vater hat nie geschwindelt. Das konnte man ihm nie nachweisen. Was er gesagt hat, war so. Der Vater ist in Kriegsgefangenschaft geraten. Das hat er erzählt natürlich. Sie haben sich abgesetzt und sind über die Elbe zu den Amerikanern. Und die Amerikaner haben alle, ich glaub, die nach dem ... nach der Kapitulation der Wehrmacht, das war der 8. Mai, zu ihnen gekommen sind, an die Russen ausgeliefert. Der Vater war einer davon und hat aber Gott sei Dank nichts erlebt und hat Glück auch gehabt. Mein Vater war das Produkt einer Dorfvolksschule. Wenn er ... Wenn er das nicht gewesen wäre, wäre er nicht dumm gewesen und hätte in eine höhere Schule gehen können. Aber das war nicht üblich am Land, dass so etwas geschieht. Und der Vater hat gemerkt, dass in den riesigen Gefangenenlager jeden Tag ein, zwei Hundertschaften, die Gefangenen mussten in Hunderterblöcken antreten, sind wegtransportiert worden. Offensichtlich nach Russland. Das fiel ihm auf, also hat er sich immer ganz hinten im Hunderterblock angestellt. Und tatsächlich, eines Tages, - er hat gesagt, da scheinen österreichische Kommunisten oder was dagewesen zu sein - wurden sie ausgesondert von den ... Deutschen. Also von den Reichsdeutschen, wie das damals hieß. Und sie sind in ein eigenes Österreicherlager gekommen. Und die sind im September '45 nach Hause geschickt worden. So war der Vater zaundürr, ich kann mich noch erinnern, ich bin aus der Schule gekommen und er ist dagesessen, eingefallen, dünn, weil viel zum Essen hat's nicht gegeben. Da war der Vater wieder da und hat halt gearbeitet. Das war auch interessant, denn viele seiner Bekannten und von uns, das waren auch Österreicher, die waren schon zwei, drei Jahre länger weg. Er hat gesagt, also wieso sie dieses Masel in diesem Lager hatten, wie er sich ausgedrückt hat, weiß er nicht. Aber sie haben es gehabt, das war genug. Unsere Leut, die Verwandten vom Land haben gesagt: "Kommt zu uns, da habt ihr mehr zu essen." Das Übliche halt. Die Familie hat ganz gut zusammen gehalten. Die waren alle ganz gut miteinander. Aber der Vater hat abgeraten und hat gesagt: "Bleibt in Wien, versteckt euch." Das Haus, in dem er gewohnt hat, in Erdberg, war bombenbeschädigt. "Versteckt euch da oben." Das hat er gesehen. "Die Russen werden am Land viel mehr wüten als in der Stadt." "Da werden sie unsicherer sein. Das sind Bauernbuben, die russischen Soldaten." Und er hatte Recht. Genau so war es. Und wir haben eigentlich diese scheußlichen ersten acht, zehn Tage ganz gut überstanden. Es ist nichts passiert, keine Vergewaltigung. Das hat es gegeben. Alle fünf Minuten hat eine Frau geschrien von irgendwo her, in den ersten Tagen. Das war... Das war also nicht so lustig. Und dann ging es darum, dass wir etwas zum Essen kriegen, es war ja nichts da. Naja, da bin ich ... Da sind so zwei, drei Buben stehlen gegangen, plündern gegangen sind wir. In die damals noch brennenden Lagerhäuser an der Donau. Da sind wir hinein und haben geschaut, dass wir irgendetwas finden. Ich hab ein ganzes Kisterl mit Pudding erwischt. Dann haben wir tagelang, wochenlang Pudding gegessen. Was anderes haben wir nicht gehabt. Das war ... Das kann man sich heute alles nicht vorstellen. Wie da so Buben über die Donau ... Wir konnten ja nicht rüber, wir sind ja über ... Die Stadionbrücke war gesprengt, und da waren nur die Bögen. Da musste man über die Bögen rüber in den Prater. So sind wir rüber und haben geschaut, dass wir irgendwas kriegen. Dann ist schön langsam bei den Gärtnereien, die damals noch viel häufiger waren als heute, ist also das Gemüse und so herausgekommen. Da haben wir also Spinat weggeholt. Also alles, wo wir was zu Essen gekriegt haben, haben wir versucht, zu kriegen. Also ich würde meinen, auf eine nicht übertrieben legale Weise. Nicht wahr? Aber das war üblich. Und dann musste man was ... Es gab ja kein Gas und wenig elektrischen Strom, Licht. Und daher haben wir auch Holz geschlagen im Prater, weil heizen mussten wir mit Holz, wir haben nichts anderes gehabt. Da haben wir halt eine Säge mitgehabt und einen Baum abgesägt. Also die Äste. Elegant war das nicht, das wussten wir schon, wir waren keine dummen Buben. Aber wir haben gesagt: "Was sollen wir tun?" "Wir wollen was zum Essen und müssen dafür auch heizen." Da hab ich ein Glück gehabt: Da war im Nachbarhaus, wo ich gewohnt hab, eine Bäckerei. Und nach zehn, zwölf, vierzehn Tag, drei Wochen, ich weiß nicht genau, hat der Bäcker Mehl bekommen und all die Ingredienzen für Brot und hat für die russische Armee, die da war, Brot gebacken. Die sind jeden Tag gekommen, mit einem LKW, zwei russische Soldaten, und haben das Brot aufgeladen. Und wir haben da zugeschaut, nicht viele, zwei, drei Buben. Da haben wir Mut gefasst, also einer oder zwei, ich war dabei. Und die Russen haben das begriffen und haben ... Und haben uns engagiert, dass wir aufladen ... das Brot. Sie haben sich schön hingesetzt, haben eine Machorka Zigarette gedreht, die geraucht, und wir zwei Buben haben geladen. Da hat jeder ein Laib Brot gekriegt. Das war je etwas Ungeheures, auf diese Art! Und einer von den Russen, das ist die größte Hetz, ich hab das, ich trag das seit dieser Zeit mit. Hat mir den, das ist ein russischer Militärkamm, geschenkt. Moment. Und da ist eingraviert, man sieht's jetzt noch: "Iwan". Mit zyrillischen Buchstaben, schauen Sie her. Das ist eine Riesenhetz, den hab ich bis heute. Den hab ich jeden Tag meines Lebens seit dem Ende ... Ende ... April, Anfang Mai des Jahres '45 mit. Das ist mein Kamm, ich hab nie einen anderen gehabt, nur den. So wie Berlin ist Wien viergeteilt worden. Ich hab im dritten Bezirk gewohnt. Das war englische Besatzungszone. Und das Erste, was die Engländer gemacht haben, war: Dass sie alle Trümmer weggeräumt haben und so. Sie haben sich nicht ausgekannt und ich hab zugeschaut, wie bei den Russen. Und die zehn Sätze, die ich auf Englisch konnte, ich bin ja im Herbst '45 schon in der dritten Klasse gewesen, die hab ich eingesetzt. Und daraufhin haben mich die als Lotse durch die Stadt benützt. Über die ... Über die Donau drüber. Da gab's im 21. Bezirk Müllgruben, da ist das hingeführt worden. Da bin ich auch mitgefahren. Und hab jeden Tag was zum Essen gekriegt. Konserven oder so. Und da konnte man ganz gut leben wieder davon. War ein Zufall. Die anderen Buben haben sich nicht so getraut. Aber ein Freund von mir und ich haben uns getraut, sind hingegangen und haben getan, was wir alles an Englisch können. Einen Schmarrn konnten wir! Aber ein bisschen gelernt haben wir von den Soldaten, die waren freundlich, wie alle Soldaten zu halb- wüchsigen Buben freundlich waren. Dann ging es schon ganz gut. Der Vater ist bald gekommen und hat gearbeitet. Ich bin in die Schule gegangen. Damit war die schrecklichste Zeit vorbei. Dann bin ich entdeckt worden für den Sport. Wir haben Fußball gespielt, alles Mögliche. Dann waren wir schwimmen. Und da hat der Trainer vom Postsportverein mich und einen Klassenkollegen aus dem Wasser geholt und gesagt: "Ihr schaut talentiert aus. Wollt ihr Schwimmen trainieren?" So kamen wir zum Postsportverein. Da bin ich ganz schön weit gekommen. Ich war in der-A Jugend, 16 bis 18. Da war ich dann einer der schnellsten österreichischen Jugendpostschwimmer. Und ich war ein passabler Wasserballer. Ich hab nur Probleme gehabt, weil ich sehr kurzsichtig war. Und Wasserball wurde oft in der Nacht gespielt mit künstlichem Licht. Da war ich sehr egoistisch, weil ich niemanden gesehen hab, aber das ist eine andere Geschichte. Ich war dann einer der Ersten in Österreich mit Haftbrille. Dann war ich auf einmal ein mannschaftsdienlicher Spieler, weil ich die anderen gesehen hab. Das hat mir sehr viel gebracht, ich hab sehr viel gelernt. Dann hat sich der Postsportverein aufgelöst, ich bin zur Donau gekommen, und dann hab ich mit 19 aufgehört. Ich ging arbeiten, ich hab immer gearbeitet. Vom ersten Tag an nach der Matura hab ich gearbeitet. Arbeiten, studieren und Sport war zu viel. Und ich hab einen Trainer gehabt, der konnte mich ganz gut leiden. Und der hat mich zum Hilfsbademeister und Hilfsschwimmlehrer gemacht. Der war ein berühmter Schwimmer, österreichischer Rekordhalter. Aber da er ein Nazi war, durfte er nicht arbeiten, aber seine Sportkollegen ließen ihn nicht fallen. So war er beim Postsportverein im dritten Bezirk der Bademeister und Trainer vom Klub. Von dem habe ich viel gelernt. Dann haben wir Wasserball spielen gelernt. Da tauchten plötzlich im Jahr ... Wann war denn das? Da tauchten aus Ungarn Flüchtlinge auf, und da war ein berühmter ungarischer Olympionike dabei, der Dr. Magaschi. Das war einer der Olympiasieger des Jahres 1936 und war lustigerweise der Generalsekretär der Kleinen Landwirte-Partei. Von dem haben wir Wasserball spielen gelernt. Was habe ich alles gemacht. Ich hab im Akkord Kalk gelöscht. Ich hab Hoffmann-Dralles Haarwasser ausgetragen. Das war eine schwere Arbeit. Ich war bei einer Erdbaufirma, Danek und Co., ich glaub, die gibt es alle nicht mehr. Und dann hab ich bessere Positionen gekriegt. Dann hat es sich getroffen, dass ich so ... als ... als Mitarbeiter, da war ich um die 20 Jahre, in die Wiener Zeitung kam. In die Wirtschaftsredaktion. Nicht, dass ich da viel Ahnung gehabt hab, aber ein bisschen schon, weil es mich interessiert hat. Dort hab ich Glück gehabt, so wie oft in meinem Leben. Dort saß als Wirtschaftsredakteur ein aus der Vorkriegszeit berühmter Journalist, der hieß Dr. Danneberg. Er war offensichtlich verwandt mit der Familie Danneberg. Und von dem habe ich viel gelernt. Der war im Tagblatt, das war eine große österreichische Zeitung, der Wirtschaftschef in den 20er, 30er Jahren. Er war schon im Ersten Weltkrieg eingerückt. Von dem hab ich sehr viel gelernt, der konnte mich gut leiden, weil er gesehen hat, ich kann schreiben. Und dann wurde er, da hat es irgendeinen Notzustand, obwohl er schon sehr alt war, im Bundeskanzleramt gegeben. ins Bundeskanzleramt einberufen. In den Pressedienst. Da hat mich der Chefredakteur rufen lassen und hat gesagt: "Also bitteschön." Ich bin zwar erst ein halbes oder dreiviertel Jahr da, aber er probiert es mit mir. Wenn ich innerhalb eines Monats halbwegs so weit bin, dass er das Gefühl hat, ich kann's, - ich hatte jeden Tag eine ganze Seite Wirtschaft - kann ich bleiben und werde Wirtschaftsredakteur. Wenn nicht, muss er mich leider raushauen, weil er keinen anderen Posten hat. - Aber es hat geklappt. Ich hab auch umgebrochen, war geschickt beim Setzen, konnte zur Not meine Maschine setzen. Und die Setzer haben mir sehr geholfen! Vor allem die Korrektoren. Ich hab ja erst vor zwei Jahren oder was maturiert gehabt. Daher haben die Korrektoren immer gesagt: "Der Bub macht die wenigsten Rechtschreibfehler." Das hat mir sehr geholfen. Ja, dann war ich bei der Wiener Zeitung. Da habe ich viel geschrieben. Dann hat mich der Friedrich Heer, den ich gekannt hab ... Ich bin zum CV gegangen, ein Freund hat mich mitgenommen. Und da war der Friedrich Heer, dem bin ich aufgefallen. Und der brachte mich zur Furche. Der war der Erste, der in der Furche Wirtschaftsartikel geschrieben hat. Da war ich so 21, 22 Jahre. Dann war ich mit dem Studium sehr schnell fertig. Ich hab ein Glück gehabt, hab lauter gute Prüfungen gehabt. Und dann war's eigentlich schon halb gelaufen. Dann war's halb gelaufen. Dann hab ich das Gerichtsjahr gemacht. Und gleichzeitig, während ich im Gerichtsjahr war, hab ich ... war ich Wirtschaftsredakteur der Wiener Zeitung. Im Gerichtsjahr musste ich mich nicht zu Tode arbeiten. Und dann haben sie entdeckt, in den Gerichten, wo ich war, dass ich, obwohl ich so jung war, ganz gut Urteile machen konnte. Damit hatte ich gewonnen. Man hat geredet, dass ich Richter werden soll, aber das war nichts für mich. Es hat einen Rat im Oberlandesgericht gegeben, der die Rechtspraktikanten betreut hat, und der hat mich gefragt: "Wollen Sie nicht Richter werden?" "Das wär doch was für Sie." Da hab ich gesagt: "Ich will über andere Menschen nicht richten." Das hat ihn etwas gekränkt oder geärgert, weiß nicht. Nach dem Gerichtsjahr bin ich noch ein bisschen geblieben. Dann war ich im Wirtschaftsforschungsinstitut, da hat mich Professor Nemschak angerufen. Das war dann eine der wenigen Dinge, die ich nicht so fair gemacht habe. Ich hab schon gearbeitet dort, aber es war die erste Chance meines Lebens, wo ich ein Gehalt bekam und lernen konnte. Ich war zweieinhalb Jahre am Institut für Wirtschaftsforschung und hab von früh bis spät studiert. Die hatten eine schöne Bibliothek. Da hab ich sehr viel gelernt. Von der Basis lebe ich heute noch. Und nach zweieinhalb Jahren bin ich wieder in die Bank, in die Giro gegangen. Und als die Leute in der CA, die mir angeboten haben, dort hinzugehen, dann gehört haben, ich gehe in die krisengeschüttelte Giro, hatte ich den Eindruck, sie haben mich für deppert gehalten und waren froh, dass der Esel nicht zu ihnen kam. Aber ich war in zehn Jahren sicher der schärfste Konkurrent, den die je hatten nach dem Krieg. Wir haben die Giro groß gemacht. Das hab ich immer gemacht. Ich hab immer eine Mannschaft aufgebaut. Ich bin da relativ rasch. Mit 29 oder 30 war ich Direktionssekretär, dann Prokurist. Dann ist's schon gegangen. Dann war ich in den ganzen Schulungsvorgängen der Sparkassen. Dann kamen die deutschen Sparkassen drauf, dass es mich gibt. Und ich wurde noch sehr jung zu Re- feraten nach Deutschland eingeladen. Also, es hat sich dann gemacht. Ich war in der Bank wahnsinnig gern. Und bin eigentlich dann nach dem Unfalltod des Schleinzer ... Ich hatte nicht die geringste Absicht, hauptberuflich Politiker zu werden, obwohl ich jung Staatssekretär war. Mit 33 Jahren. Das war damals sehr jung. Ich hab die Verstaatlichte Industrie gehabt, in der Regierung Klaus. Die Geschichte war so. Wir haben uns im Kummer Institut sehr intensiv beschäftigt mit Verteilungsfragen. Obwohl damals, das war Mitte der 50er Jahre, '57, '58, da waren wir noch nicht so reich, trotzdem war das eine entscheidende Frage. Wir waren also die Experten der katholischen Soziallehre. Alle berühmten Jesuiten, ob das der Schasching war, ob das der Vetter war, auch die berühmten Deutschen, der Wallraff und wie sie alle geheißen haben, haben bei uns verkehrt und Referate gehalten. Ich hab die zum Teil in Deutschland besucht. Das waren ganz große Leute. Das war die große Diskussion damals: Auf der Basis der katholischen Soziallehre gibt es in der Wirtschaft einen dritten Weg. Das ist... Ach, es hat großes Theater in der ÖVP gegeben. Der Kummer ist angegriffen worden. Manche nannten ihn schwarzen Bolschewiken, das hat ihn sehr gekränkt. Das war er wirklich nicht. Die waren zu wenig gebildet, um da mit ihm reden zu können. Ich will keine Namen sagen, aber wie es halt im Leben so ist. Und ich verdanke ihm ungeheuer viel. Aber nicht nur ich. Viele. Der hat sich wirklich selbstlos für die Jungen eingesetzt. Und hat geschaut, dass aus ihnen was wird und sie auch politisch weiterkommen. Und kam natürlich die Idee, aus der katholischen Soziallehre, der breiten Streuung des Eigentums. Und die ganze Mittelstandsidee, das ist alles von uns schon diskutiert worden. Die Volkspartei war ja wie die Christlich Sozialen, also die Christlich Sozialen, die Luegersche Gründung, die sehr stark von der katholischen Soziallehre beeinflusst war, die war ja der linke Teil. Das ist ja so, dass die Christlich Sozialen in den ersten Phasen historisch gesehen, vor allem im angelsächsischen Bereich, als Sozialdemokraten bezeichnet werden. Dass stimmt auch, wenn man das liest, was sie gesagt haben. Aber dann gab es ja hier noch die Katholisch Konservativen, im Parlament der Monarchie. Und die Christlich Sozialen haben dann fusioniert mit den Katholisch Konservativen, und ich war dann schon routiniert, wie ich dann Ende 20 war und auch schon lange in der Partei. Also so lange man Ende 20 wo sein konnte. Ich konnte sehr schnell sagen, ob der, der vis-à-vis sitzt, ein Katholisch Konservativer oder ein Christlich Sozialer ist. Und das hat sich durch die ÖVP durchgezogen. In Wahrheit bis heute. Um ein Beispiel zu sagen: Ein wirklich großer Mann, ich hab mit ihm natürlich noch relativ wenig zu tun gehabt, ich hab ein oder zwei Gespräche mit ihm gehabt, das war der Raab. Das war der klassische Katholische Konservative. Nicht? Der Kummer war der klassische Christlich Soziale. Da hat's viele gegeben. Das konnte man so sagen. Die Bauern haben immer ihre eigene Rolle gespielt, nicht? Und, dann bin ich beim Klaus gewesen, das ging sehr gut. Er ist populär geworden als Finanzminister und wir haben da auch gut zusammengearbeitet. Und er war wie gesagt... Er hat ... Er war ein großer Mann. Es wäre blöd, irgendetwas anderes zu sagen. Er ist, historisch gesehen, auf die Seite geschoben worden. Also ich gönn dem Dr. Kreisky alles, was zu seinem 100. Geburtstag gemacht wurde. Oder ich gönn es seiner Familie oder wer auch immer das ist. Ich hab keine schlechte Erinnerung an ihn, hab ihn gut gekannt. Das war eigentlich ein anderes Verhältnis, als es sich in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Aber der Klaus ... Vieles von dem, was in der Regierung gemacht wurde, wurde grundgelegt beim Klaus. Das muss man schon wissen. Ich hab eine andere Meinung gehabt, das hab ich bis heute. Als viele andere Leute. Ich will jetzt gar nicht Parteien zuordnen. Ich war immer der Meinung, dass ein Fundamentum einer Marktwirtschaft ist das Eigentum. Das Privateigentum. Und jetzt gab's in Österreich sehr lange die Tendenz zu sagen, es ist völlig wurscht, wem was gehört, es muss nur bei uns im Land sein. Ich war ganz anderer Meinung. So ein kleines Land wie Österreich, wir sind ein kleines Land ohne Bedeutung, das muss um jede Firma kämpfen, dass sie das Eigentum ... Wenn ein Ausländer herkommt, investiert, etwas aufbaut, okay, soll er machen. Aber nicht, dass wir verscheppern. Ich hab das gesehen, dass das droht und hab die ÖIAG gemacht. Zuerst die ÖIG, da hab ich schon sehr gekämpft, und die ÖIAG hab ich auch noch gemacht, die Novelle. Ich wollte die Verstaatlichung schon privat finanzieren. Aber ich wollte schauen, Lösungen zu finden, dass sie österreichisch bleibt. Und die Geschichte mit dem Kreisky war eine sehr Einfache. Ich hab mit ihm ein gutes Verhältnis gehabt. Als er die Wahl gewonnen hat, wollte ich sofort zurücktreten. Ich war Aufsichtsratsvorsitzender, Präsident, Generaldirektor der Giro Zentrale und in vielen Aufsichtsräten, ich war in der Chase in Amerika und was weiß ich. Aber das ist nicht wichtig. Sondern der Kreisky wollte nicht, dass ich zurücktrete. Und ich sagte: "Herr Bundeskanzler, so kann's nicht sein." "Das heißt, dass ich dort sitz, im Aufsichtsrat, das Wort erteile und das ist alles?" "Ich kann jede Sekunde überstimmt werden? Das will ich nicht." Dann trafen wir eine Vereinbarung. Dass ich nicht überstimmt werden darf. Sondern da muss es vorher ein Gespräch Kreisky-Taus geben, und wenn wir uns nicht einigen, dann entscheiden wir, ob ich die Mehrheit der Sozialisten anerkenne oder nicht. Dann hab ich den Dr. Schleinzer mitgenommen. Das wollte der Kreisky gar nicht, natürlich. Der Parteivorsitzende der Roten wollte keinen Obmann der Schwarzen. Und ... Wir waren dann zu dritt. Das hat eine Weile gut funktioniert. Ja, aber es war nicht mehr das ... Der Dr. Kreisky stand doch sehr unter dem Einfluss der 30er Jahre. Das ist auch klar. Er wurde 1911 geboren. Ich war auch der Meinung, das Wichtigste ist die Vollbeschäftigung. Aber ich meinte, man muss über die Grenzen und damals haben viele Sozialdemokraten ... Ich war der Erste, der ... Die Manager haben es schon wollen, die die Verstaatlichte ins Ausland gebracht haben und Firmen gegründet haben und gekauft haben. Während die Gewerkschafter waren damals nicht die Gescheiteren, aber mit denen konnte man reden. Die Facharbeiter in der Gewerkschaft waren die Besten. Da war immer die entscheidende Frage: "Ihr exportiert unsere Arbeitsplätze." "Gar nicht, wie sichern sie, weil wir uns den Markt sichern." Das ist vielleicht eine ambivalente Haltung, aber das ist es. Und dann bin ich aus der Verstaatlichten raus. Und zwar, das war auch ganz interessant: Der Dr. Klaus hat die Wahl verloren. Und die entscheidende Frage war also dann ... Kreisky wurde Kanzler, hat die Wahl gewonnen. Und der Peter hat als Obmann der Freiheitlichen ihn zum Kanzler gemacht. Das wär er nicht geworden ohne Peter. Jetzt, ich mache hier keinen Vorwurf. Dass der Kreisky ein extrem geschickter Politiker war, dass er intelligent, dass er gebildet war, braucht man nicht darüber reden. Ist ja blöd, wenn man darüber diskutiert. Aber immerhin, er ist mit entscheidender Mithilfe eines SS Obersturmführers Bundeskanzler geworden. Ohne dessen Hilfe wäre er das nicht geworden. Um das ganz klar zu sagen. So war das. Aber ich bin darüber nicht böse. Mich ärgert immer nur, wenn jetzt auf einmal da herum geredet wird: "Furchtbar, die nationale Linie!" Na gut, also ... Na? Die Jetzigen, ich weiß nicht, das sind keine Freunde von mir. Aber SS Obersturmführer waren es nimmermehr. Okay, ist auch wurscht. Aber dann kam die zweite Geschichte: Dr. Kreisky hat sich sofort revanchiert. Er war sehr geschickt und hat sofort das Wahlrecht geändert. Das hat der ÖVP, also je nachdem, wie die Wahl ausgegangen wär, mindestens drei bis fünf Mandate gekostet. Und ab der Geschichte war es wahnsinnig schwer, Mehrheiten zu kriegen für uns. Wir haben zu einem guten Teil ... Die Sozialisten haben schon zwei Mal vorher mehr Stimmen gehabt als wir. Wir haben aber immer noch ein oder zwei Mandate mehr gekriegt. Aus dem Wahlrecht heraus, weil die Kinder gezählt haben. Das hat er weggebracht, also nur mehr die Wahlfähigen. Damit waren wir schon einmal schwer angeschlagen. Das haben viele nicht begriffen. Dann ist der Dr. Witthalm, mit dem ich sehr gut war, Parteiobmann geworden. Der war das nur ein Jahr. Und nach einem Jahr hat Kreisky gewählt und hat die absolute Mehrheit gekriegt. Der Witthalm ist sofort zurückgetreten, hat mich angerufen und gesagt: "Du wirst mein Nachfolger." Wer den Witthalm kannte, weiß, so hat er geredet, so war's. Und ich habe gesagt: "Ich will das nicht." "Ich sitz da, ich kann gar nicht." "Nix, du wirst mein Nachfolger." Dann hat er mich vorgeschlagen am Parteitag. Ich bin hinaufgekrochen auf die Rednerbühne und erklärte wortreich, dass ich das nicht werden will. Da wurde ich ausgepfiffen und dachte: Aha, damit ist der Kelch an mir für immer vorbei. Und der Dr. Schleinzer wurde gewählt. Und wie immer, die groteske Entwicklung im Leben ... Da gab's in der ÖVP so zwei Gruppen. So Meinungen. Eine Meinungsgruppe, zu der ich gehörte, war, dass die Mehrheit der SPÖ nichts Kurzfristiges ist. Sondern das ist ein harter Kampf und das wird nicht schnell sein. Dass wir wieder eine Mehrheit kriegen. Da gab's eine andere Gruppe, eben die aus der alten Reforma, die sagte: "Ach, das ist geschwind! Der ist in ein, zwei Jahren fort." Da gab's einen Widerspruch. Ich gehörte zu denen, die sagten: "Nein, das ist gefährlich für uns. Das geht nicht so geschwind." Noch dazu hat sich Dr. Kreisky geschickt verhalten, kann man gleich dazu sagen. Ruhe mit der Kirche, dem Otto Habsburg hat er die Hand geschüttelt. Also, das muss man alles sehen. Es hat ja Geschichte gekannt, nicht? Dann hat er gesagt: "Die wohlerworbenen Rechte ..." Und alles das. Was ist ein wohlerworbenes Recht? Aber das war's halt, das war's halt. Auch die Partie, die er um sich hatte, waren vife Burschen. Muss man nicht im Detail darüber reden. Und tatsächlich passiert's mir dann: Es verunglückt der arme Schlainzer. Er hat einen Autounfall gehabt, ist tot. Und ich komme wieder dran. Dann konnte ich schwer Nein sagen. Dann hat man mich bei der Loyalität gepackt. Obwohl das alles Blödsinn war. Die trauten sich alle nicht. Ich ging hin und wusste, ich kann nicht gewinnen. Das Einzige was ich wollte, war, ihm die absolute Mehrheit zu nehmen. Er hatte neun Prozentpunkte als wir. Ich habe mir gedacht, wenn ich ein oder zwei Punkte wegnehm ... Er hat ja nie mehr als die 51 gekriegt. Es waren immer nur Zehntel, die hin und her gingen. Wir hatten 42, die haben wir durch seine Periode durchgehalten. Und die Freiheitlichen hatten mehr Mandate, die sie zum größten Teil von uns gekriegt haben. Also das war keine lustige Situation. Ich hab das in den vier Jahren, wo ich drinnen war, nicht geschafft und war froh, dass ich wieder wegkonnte. Nicht, weil ich dagegen war oder mich gefürchtet hab. Sondern weil ich gesehen hab, dass der Glaube, dass man die Sozialdemokratie sehr schnell aus der ersten Position wegbringt, falsch ist. Das habe ich von Anfang an geglaubt. Aber nicht allein, auch noch viele andere. Eigentlich die meisten im ÖABB, die die Sozialdemokraten besser gekannt haben, über Gewerkschaft und so. Als die der anderen Bünde, die nicht diesen engen Kontakt hatten. Der Alois Mock war mein Nachfolger. Auch eine lustige Geschichte. Ich hab den Alois lang gekannt. Er ist über mich in den ÖAAB gekommen. Er war als Sekretär des Dr. Klaus gar nicht ÖVP Mitglied, wie das die meisten Diplomaten nicht waren. Und ich sitz einmal dort, weil ich mit dem Klaus einen Termin hatte, und red mit ihm. Und ich sag: "Du bist ja Diplomat." Und er sagt: "Klar. Wir kennen uns ja lang genug." Sag ich: "Ja. Bist du überhaupt bei der ÖVP?" Sagt er: "Nein, ich war immer im Ausland." Und ich: "Pass auf, ich schick dir ein Mitgliedsansuchen beim ÖAAB." Und so kam er zur ÖVP. Das ist alles ganz lustig. Das weiß niemand. Der Mock war ein braver Schwarzer. Und er war auch gut. Ich hab den Mock deshalb gemocht, weil ich geglaubt hab, dass er der Masse der Wähler sympathischer ist als ich. Also, ich hab nicht den Eindruck, dass ich ein besonders übertrieben sympathischer Mensch bin, dem die Herzen zufliegen. Das war ich nicht, das hab ich schon gewusst. Da hätt ich vielleicht regieren können, aber ein "Vote Getter" war ich sicher nicht. Meiner Meinung nach. Ja, das war die politische Geschichte. Damit war es zu Ende. Ich war dann noch lange im Parlament, war Wirtschaftssprecher und was weiß ich, was alles. Dann bin ich zu einem Privatindustriellen gegangen, zum Herbert Turnauer. In die Constantia, weil ich gesagt hab, ich renn nicht davon. Aber ich möchte weit weg sein von allem, was staatlich ist. Deshalb war ich zehn Jahre dort und wir hatten große Erfolge. Und nach zehn Jahren bei Herbert Turnauer hab ich gesagt, ich mach mich das letzte Mal in meinem Leben, ich war ja fast 60, wie ich weggegangen bin von ihm, da mach ich mich selbstständig. Der Paschke, ich und der Leeb. Wir machen uns selbstständig. Der Leeb war am Anfang nicht. Paschke und ich waren das. Wir haben uns selbstständig gemacht. Was ich regelmäßig mache, kann ich schon sagen. Wir haben seit vielen Jahren ein Abonnement bei den Philharmoniker. Da schau ich, dass ich überall hingehe. Meine Frau hat noch eine Menge anderer Abonnements. Wenn ich Zeit hab, geh ich gern mit. Ins Theater ... geh ich ganz gern ins Volkstheater. Da geh ich ziemlich regelmäßig. Wien. Also ich hab ja doch den größten Teil meines Lebens in Wien verbracht, obwohl ich auch immer wieder weg war. Ich fühl mich wohl in Wien, eine wunderschöne Stadt. Es gibt auch andere schöne Städte, aber Wien hat ein eigenes Flair. Flair ist falsch, das heißt Spürsinn. Aber das wird in Wien immer falsch angewandt. Wir verwenden viele Worte falsch, aber das macht nichts. Wenn alle das Gleiche falsch verwenden, ist es wieder richtig. Wien ist an sich eine schöne Stadt. Wien ist eine herrliche Stadt. Es ist auch viel los, und wir Österreicher haben, so klein wir sind, wenn wir geschickt sind, haben wir gute Chancen.
Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Josef Taus (Unternehmer/Politiker)
Wir und Wien - Erinnerungen Nach einem Jahr als Staatssekretär für Verkehr und verstaatlichte Industrie unter Bundeskanzler Josef Klaus (1966-67) leitete der erfolgreiche Bankmanager Josef Taus als Aufsichtsratsvorsitzender der ÖIG bzw. ÖIAG eine Neuordnung und Modernisierung der Verstaatlichten ein. Von 1968 bis 1975 war Josef Taus Vorstandsvorsitzender der Girozentrale der österreichischen Sparkassen, in der er schon zuvor in Spitzenpositionen tätig gewesen war.
Länge: 44 Min. 35 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien