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Mitschrift

Mein Name ist Hedi Richter. Ich weiß nicht, ob Sie mich noch kennen. Ich war früher mal Primaballerina an der Volksoper. Das war von den Jahren '55 bis '80. Jetzt bin ich schon das 27. Jahr an der Ballettschule der Staatsoper. Begonnen hat mein Leben in der jetzigen Tschechoslowakei, und zwar bin ich in Troppau geboren und hab meine Kindheit bis zu meinem neunten Lebensjahr, Pardon, zehnten Lebensjahr, dort verbracht. Die Zeit war nicht sehr schön. Ich bin ein älterer Jahrgang und bin genau in die schlechten Jahre gekommen. Mein Vater ist dort verhungert, meine Mutter hatte es sehr schwer. Meine beiden Brüder waren in Gefangenschaft. Und ja ... .. im Jahr '46 sind wir dann nach Wien gekommen, und auch da war das Leben nicht sehr lustig für uns. Wir haben zum Teil in einem Lager gewohnt, und das viele Jahre. Erst durch die Volksoper war es mir möglich ... Wir haben eine kleine Wohnung zugeteilt bekommen. Und damit hat's eigentlich begonnen, unser besseres Leben sozusagen. Obwohl wir dankbar sein mussten, denn wir sind nicht von Krankheit gezeichnet gewesen und mussten daher eigentlich sehr dankbar sein. Es hat Leute gegeben, denen es noch schlechter ging. Ja, ich hab dann ... Ich wollte immer tanzen. Ich war als Kind sehr zart und kränklich. Meine Mutter ist mit mir zum Arzt gegangen, und auf seinen Rat hin ... Er meinte, ich sollte viel Bewegung machen. Und so war es dann möglich, dass ich ... Meine Mutter hat mich dann zu einer Tanzlehrerin gegeben, und ich hab halt dort die ersten Schritte begonnen. Ich hab aber Blut geleckt und es hat mir immer viel Freude gemacht. Und wie wir dann, nach all den schrecklichen Jahren, in Österreich wieder waren, waren wir eigentlich zu dieser Zeit kurzfristig in Salzburg. Da hat mich, also meine Mutter, eine Dame angesprochen und hat gemeint, das Mädel wär begabt. Ich hab nämlich an der Salzach Räder geschlagen, und sie sagte: "Geben Sie sie zu mir in die Gymnastikschule." Die Dame hieß Tilly Proschko, und meine Mutter hat nur gemeint: "Ja, aber das kann ich ja gar nicht bezahlen." Sie sagte aber: "Sie braucht nichts bezahlen. Sie soll so kommen." Und da war ich dort, und wir hatten eine russische Lehrerin. Die hat meiner Mutter nahegelegt, dass sie mich auf jeden Fall weiter tanzen lernen lassen soll. Na gut. Also, Jahre vergingen. Nach einem Jahr kamen wir wieder nach Wien zurück. Und ich hab meine Mutter sehr, sehr sekkiert, dass ich unbedingt wieder tanzen will. Nachdem ich aber aus einem sehr bürgerlichen Haus komme, hat meine Mutter eigentlich die Haare aufgestellt und gemeint: "Um Gottes Willen, dein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn der wüsste, dass du tanzen lernst." Die Rede hat mich nicht sehr beeindruckt, und ich hab sie weiter sekkiert. Und da meinte sie: "Ja, wenn, dann geb ich dich nur zur Frau Wiesenthal," - Grete Wiesenthal war damals eine sehr berühmte Tänzerin - "und die soll dich prüfen, ob es dafür steht, dass du diesen Beruf wirklich erlernst." Ja, und das haben wir eben dann so gemacht, und die Frau Wiesenthal hat meiner Mutter gesagt: "Ja, lassen Sie s' ruhig tanzen lernen." So hab ich damals in einem Kleidchen aus einem Care-Paket, hab ich dann also vorgetanzt, weil anderes hatte ich nicht. Ja, so hat's dann begonnen. Ich bin dann in die Akademie gekommen und hab dort die Vorbereitungsklassen gemacht. Das war damals in der Lothringerstraße. Später ist die Tanzabteilung ins Schloss Schönbrunn gekommen. Und mit sehr viel Freude und Enthusiasmus hab ich also diese Schule dort gemacht. Wir hatten da sehr berühmte Lehrer wie Frau Grete Wiesenthal, Frau Rosalia Chladek und Professor Toni Birkmeyer, Frau Rauser. Und alle diese Lehrer haben wir heiß geliebt und haben uns wirklich gut aufgehoben gefühlt dort unter deren Betreuung und Liebe. Und ich hab dann 1954 die Abschlussprüfung gemacht, und da hat mich die damalige ... oder spätere Chefin der Volksoper, Dia Luca, gesehen und hat mich dort angesprochen und gemeint, sie würde mich dann gerne als Solotänzerin haben. Ich muss dazu sagen, zu dieser Zeit, 1955, wurde die Staatsoper, die bis dahin Volksoper und "Theater an der Wien" betanzt hat - in der Staatsoper war es ja noch nicht möglich durch die Zerstörung -, wurde das Ballett getrennt. Und es wurde in der Volksoper ein eigenes Ballett gegründet. Und da war dann ein Vortanzen, und ich habe dann das Glück gehabt, dass ich den Soloposten bekommen habe. Ja, es waren dann 60 Tänzerinnen, im Vergleich zu der heutigen Zeit sehr wenig, und da hat also dann meine Laufbahn dort an der Volksoper begonnen. Und es ist dann ... ich habe dann getanzt bis zum Jahr 1980. Dann hab ich aufgehört 1980. Wir hatten ein wunderbares Leben eigentlich, muss ich sagen. Wir haben die großen Operetten gehabt mit den tollsten Sängern damals zu der Zeit und auch Musicals. Das erste Musical wurde in der Volksoper aufgeführt. Wir mussten sehr vielseitig sein, und gerade das hat mir sehr viel Freude gemacht. Es hat auch, ich glaub, es war das Jahr '57, wenn ich richtig bin, also, Ende der 50er Jahre jedenfalls war das erste Fernsehen, das gesendet wurde. Das haben wir auch mit dem Volksopernballett betanzt unter Willi Boskovsky als Dirigenten. Das war ja natürlich für uns herrlich. Und von da an hab ich dann 15 Jahre das Neujahrskonzert getanzt, immer noch mit Willi Boskovsky. Und ... das hat mein Leben natürlich sehr, wie soll ich sagen, bunt gemacht. Es waren immer wieder neue Sachen dort gefordert. In der Zeit - das hat dort zu unserer Popularität sehr beigetragen - bin ich dann eingeladen worden, z.B. zur Königin Juliane zum Geburtstag nach Holland zu tanzen. Und wir waren auch in Kanada. Wir haben dann sehr viele Österreicher-Bälle gemacht wie z.B. den Österreicher-Ball in New York. Und ... ja, es fällt mir gar nicht alles ein. Es ist die Zeit zu kurz, um hier alles extra zu erwähnen. Auf jeden Fall war eigentlich rückblickend ... Natürlich waren auch schwere Zeiten, und manchmal sagt man sich: "Ach, wieder und wieder, ich kann nicht mehr." Aber rückblickend muss ich sagen, wir hatten ein wunderschönes Leben. Es war bunt und es war ... Auch meine Kolleginnen, die die Zeit noch erlebt haben, sagen alle, dass es wirklich eine schöne Zeit war, auch für die anderen. 1980 hab ich dann meine Karriere in der Volksoper beendet. Ich habe zu der Zeit schon ein Baby gehabt, einen Sohn. Der war damals zwei Jahre alt, und ich dachte, dass jetzt privat mein Leben weitergeht. So war's aber nicht. Meine Ehe ist leider auseinandergegangen, und ich habe dann in der Zwischenzeit zwei Jahre in einem sehr bekannten Geschäft in Wien gearbeitet, weil ich mein seelisches Gleichgewicht wiederfinden wollte. In dieser Zeit hat sich dann ergeben, dass mich der Michael Birkmeyer anrief und mir sagte, dass er die Ballettschule der Staatsoper übernimmt und dass er mich gerne als Lehrerin für dorthin haben wollte. Also gut, ich war ja auch ein bisschen zweifelnd: Werd ich das schaffen? Wird es mir gelingen? Es ist doch etwas ganz anderes, als selbst zu tanzen. Meine Mutter hat gesagt: "Du, wenn dir etwas so zugeflogen kommt, dann machst du es." So hab ich's also gemacht, 1985 war das. Und heute bin ich immer noch in der Ballettschule der Staatsoper. Ich habe mittlerweile vier verschiedene Chefs dort überstanden. Nein, sie waren immer alle sehr nett. Und ich weiß nicht, wie lange ich es weiter noch machen werde. Solange, bis mir halt der Herrgott ein Zeichen gibt, aufzuhören. Ich unterrichte vor allem dort das Fach "Grete Wiesenthal". Das heißt, es ist ... Eigentlich wird dieser Stil vor allem als Walzerfach verwendet. Obwohl man in allen modernen Stücken ... auch diesen Stil also verwenden kann oder tanzen kann. Die Frau Wiesenthal ... Es sind nicht ihre Choreographien, sondern es sind meine Choreographien. Denn die Choreographien von der Frau Wiesenthal gehen langsam in Vergessenheit. Und ich habe also neue Kreationen versucht zu erfinden, die auch sehr gut angekommen sind. Wir tanzen auf sehr viel großen Bällen, auch im Ausland. Es ist sogar bis Peking, bis Shanghai, bis Boston, Philadelphia etc., Milano, Lissabon usw. gegangen. Und immer mit sehr viel Freude, auch für mich, weil ich immer mit den jungen Mädchen zusammen war. Das ist dann irgendwie ein Jungbrunnen. Grete Wiesenthal, möcht ich noch extra betonen, war eine außerordentlich - wie soll ich sagen - charmante und liebenswürdige Erscheinung. Tanzen hab ich sie selbst nie gesehen. Aber es geht ihr der Ruf hervor, dass sie etwas ganz Besonderes war. Sie war eigentlich mehr oder weniger die Erste, die in den Tanz Seele und auch Inhalt hineingebracht hat. Und man hat mir auch gesagt, dass sie die Erste war, die eigentlich den Stein zum modernen Tanz geworfen hat. Nicht von Amerika kam's hierher, sondern die Grete Wiesenthal war die Erste, die die Schühchen ausgezogen hat und barfuß getanzt hat. Und sie war von ihrer Zeit ... Ob das Max Reinhardt war, ob das Hofmannsthal war, ob das Reinhold Schneider war oder Altenberg - alle haben diese Frau ob ihres Charmes, ob ihrer Persönlichkeit besungen und bewundert. Sie hat ... 1885 ist sie zur Welt gekommen und ist leider 1970 verstorben. Denn eigentlich sollten wir solche Persönlichkeiten für ewig für uns auf der Erde behalten dürfen. Ja, in der Tschechoslowakei ... .. war ich eigentlich ... .. bin ich in ein gutbürgerliches Haus hineingeboren worden. Mein Urgroßvater hieß Ignaz Schustala und war der Gründer der Tatra-Werke. Mein Vater hat dann die ganze Sache ... Wie die Tatra-Werke zu groß wurden, wurden sie verstaatlicht, und mein Vater hat eine Tonwarenfabrik gekauft, wo dann Kacheln, Öfen, Keramik gemacht wurden, Majolika-Sachen usw. Da gibt's sogar noch Bilder, wo mein Großvater in China war, wo man ihn mit einer Rikscha geführt hat. Das war natürlich zu der Zeit schon für mich auch als Kind etwas Besonderes, solche Fotos zu sehen. Ja, und mein Vater ist dort, wie gesagt, verhungert, obwohl er - es würd natürlich jeder sagen - nie was gemacht hat. Aber er war auch Wiener und war Österreicher, und das war ja damals Freistaat. Und eigentlich hätte man ihm gar nichts machen dürfen. Aber es gab ja zu der Zeit keine Gesetze. Meine Mutter ist von einem Konsulat zum anderen gelaufen, aber es war nicht möglich, ihn freizubekommen. Wir waren in einem Lager, mein Vater in einem anderen. Meine beiden Brüder waren jeweils verschollen. Mein ältester Bruder ist 1943 gefallen, der war bei der Marine. Kurzum: Ja, wir waren halt eine der Familien, die zu der Zeit viel abbekommen haben. Wir sind dann nur mit einem Rucksack über die Grenze gekommen. Und ich weiß, ich hab zwei, drei Kleider übereinander angehabt und einen kleinen Lodenmantel. Und ich hab am Rucksack einen kleinen Nachttopf angebunden gehabt, weil, das war alles, was wir hatten. Und meiner Mutter haben sie noch alles zum Schluss ... Wie soll ich sagen ... Wir haben ein Übersiedlungsgut zugesprochen bekommen, damit meine Mutter - die hat Weißnähen gelernt - mit Weißnähen sich weiterbringen kann. Aber das haben sie dann alles, ich weiß noch, am Stephansplatz uns weggeworfen von dem Lastwagen. Es ist alles zersplittert, und alles war weg. Wir sind dann bei einer Tante hier untergekommen fürs Erste. Dann eben, wie ich schon sagte, sind wir nach Salzburg, was damals sehr schwierig war, weil das amerikanische Zone war. Und Wien war ja russische Zone. Da haben wir ein Jahr wieder bei Verwandten unterkommen können. Meine Mutter hat sich immer mit Nachtarbeit durchgebracht, mit Handarbeit und solchen Sachen, die man ihr so gegeben hat. Sie hat bei meinen Verwandten gearbeitet, und dafür durften wir dort umsonst wohnen. Und so haben wir uns halt irgendwie dort durchgebracht. Und nach einem Jahr mussten wir dann von dort auch wieder weg, zurück in die russische Zone, und haben dann immer wieder bei verschiedenen Verwandten gewohnt. Aber zum Schluss hat man uns ein Lager zugeteilt. Und da haben wir dann mit 30 mehr oder weniger Flüchtlingen aus dem Banat gewohnt. Wir hatten ein WC, eine kleine Küche, wo nicht einmal ... Da war nur mit Glas eine ... also der Schutz. Gar nix weiter. Also, es war schon recht arm. Ich wollt es damals auch niemandem sagen, wo ich wohne. Es war so schön der Name: "Stoß im Himmel" beim alten Rathaus. Und ja, da gab's viele Ratten, und wenn ich da - da war ich ja schon am Anfang in der Volksoper - und wenn ich nach Haus kam, hab ich's immer piepsen gehört. Und ich hab mich wirklich gefürchtet, durch dieses Riesentor hineinzugehen. Wir haben das "Erdäpfel-Platzki" genannt, was wir gegessen haben - sehr viel. Und ... ja, oder Breie. In der Tschechei hat man "Kaše" dazu gesagt. Also die verschiedensten Sachen. Je einfacher, desto besser. Und interessanterweise ist meine Mutter 99 Jahre alt geworden, trotz all der Breie und Kašen und wie wir das so genannt haben, eigentlich einem Arme-Leute-Essen. Vielleicht ist das das große Geheimnis, das wir heute alle verloren haben und werden deshalb früher krank. Zum Thema Politik möcht ich sagen: Eigentlich war es für mich als Kind und als junge Person, die eigentlich immer nur das Tanzen im Kopf hatte, uninteressant. Für mich gab's nur Menschen, Publikum. Ob die links, rechts oder in der Mitte standen, war für mich uninteressant. Ja, ich war ja doch noch relativ sehr jung, und es war nur eins in meinem Schädel: (leise:) tanzen, tanzen, tanzen. Wie wir noch Schüler waren in der Akademie, wurden wir auch von Toni Birkmeyer, der damals das Ballett am Rosenhügel leitete, manchmal hinzugezogen. Es war für uns natürlich ganz toll. Der Rosenhügel wurde damals von den Russen geleitet. Und ... es war also in russischer Hand. Und wir haben dort einen Film ... Ich hab bei einem Film mitgemacht, der hat geheißen - Arbeitstitel: "Abenteuer im Schloss". Es hat Rudolf Steinboeck die Regie gehabt, und Ernst Stankovski hat die Hauptrolle gehabt. Und ich war halt eine von vielen dort. Ich weiß aber noch, es haben diese Nachtaufnahmen immer so bis halb fünf in der Früh gedauert. Und wie die erste Dämmerung sichtbar wurde, war Drehschluss. Und wir sind dann vom Rosenhügel, oder ich zumindest auch, mit der ersten Straßenbahn nach Haus gefahren. Nicht nur einmal bin ich in der Straßenbahn eingeschlafen und zu weit gefahren. Und so bin ich also nach Hause gekommen und war ganz glücklich, weil ich eine Nahaufnahme hatte mit dem Ernst Stankovski. Und ich hab mir gedacht: "So, jetzt beginnt meine große Karriere." Nachdem ich meistens russische Lehrer hatte, die mir immer sehr zugetan waren, so hab auch ich mein Herz immer an die Russen verloren und wollte immer ... Nachdem mir das meine Lehrerin besonders empfohlen hat, dass das russische Ballett, wie jeder weiß, zu der Zeit zumindest wirklich das beste war, hab ich angestrebt, ein Stipendium zu bekommen, weil ich in der Tschechoslowakei geboren bin. Meine Mutter wollte, dass ich einen staatlichen Schutz habe, wenn ich nach Russland komme. Das bekam ich nach mehreren Jahren und bin dann nach St. Petersburg. Ich hab dort drei Monate im damaligen Mariinsky-Ballett getanzt. Und ich muss sagen, ich hab mit den Russen persönlich nur die beste Erfahrung gehabt: warmherzig, liebenswürdig und ... Ja, also mich hat St. Petersburg sehr beeindruckt und auch die Lehrer, die ich damals dort hatte. Wir haben auch viele Veranstaltungen für die Stadt Wien gemacht, mit viel Freude, denn es waren ja Großveranstaltungen. Es hat uns auch besonders viel Freude gemacht, zum Beispiel vorm Rathaus die Festwochen-Eröffnungen. Und überhaupt haben wir viele Dinge gemacht, eben speziell auch die Volksoper. Und wie wir das alles zum Erfolg hingebracht hatten, ist die Staatsoper draufgekommen, dass sie's auch tanzen könnten. So haben wir langsam wieder die Dinge verloren, die wir eigentlich zum Erfolg gebracht haben. Die Musicals waren auch ein Thema für uns in der Volksoper. Wir waren ja ganz aufgeregt, wie Marcel Prawy die ersten Musicals nach Österreich gebracht hat. Das war z.B., wie Sie vielleicht noch wissen - das war ja ein Riesenerfolg damals - "Kiss Me, Kate". Weiters auch noch "Wonderful Town". Und was war denn ein Drittes? Natürlich: "West Side Story". "West Side Story" war ja ganz toll für uns Tänzer. Da gab's einen Choreographen, ach, wenn ich an den denk, der war toll: Alan Johnson, und wir waren alle ganz ... verrückt nach ihm. Ich kann mich erinnern, dass es im Unterschied zu heute Solotanzabende gegeben hat von besonderen Künstlern, wo der Schwerpunkt mehr auf Ausdruck gelegen ist und nicht so sehr auf Technik. Aber das hat uns Kinder und Jugendliche besonders beeindruckt. Es waren Tanzabende von Cilli Wang, es waren Tanzabende von der Rosalia Chladek, es waren Tanzabende von Harald Kreutzberg. Also mit einem Wort: Es war ein großes Angebot, und für uns war es wunderbar. Ja, zu seinerzeit, hab ich noch vergessen zu sagen, war natürlich das Engagement zu bekommen leichter, als es heute ist. Trotzdem waren wir alle sehr glücklich, wie wir engagiert wurden. Aber wenn ich denk: Heute kommen für einen Posten 100 Leute aus der ganzen Welt, seit es Internet gibt überhaupt. Also, mir war schon unsere Zeit damals lieber. Natürlich zu unserer Zeit, als wir getanzt haben, war die Technik in keinster Weise so im Vordergrund, wie sie heute ist. Ich muss dazu sagen, was mich persönlich immer ein bisschen stört: Es waren zu meiner Zeit doch immer wieder kleine Persönlichkeiten, die man, wenn sie auf die Bühne gekommen sind, auch gesehen hat. Es ist heute so, dass man ins Theater geht, und es ist fantastisch, was die Leute leisten. Und man ist geradezu schwindelig, es ist ein Feuerwerk, und es stimmt alles von der Technik. Und trotzdem: Man sehnt sich oft nach einem Ruhepunkt und nach einer Persönlichkeit. Ich glaube, es ist schon ... Ein bisschen hängt es auch von den jeweiligen Choreographen ab, die sich selbst eine Visitenkarte geben wollen, was sie selbst alles an tollen Dingen auf die Bühne stellen können. Es liegt nicht so sehr an den Menschen, denn die sind sicherlich formbar, wenn man mit ihnen arbeitet und versucht, ihre Persönlichkeit auch herauszuholen aus ihrem Charakter. Und die wären wahrscheinlich zum Teil sehr glücklich. So aber wird leider immer nur auf die Technik Wert gelegt, und so versäumen wir vielleicht so manche Pawlowa oder so manchen Nurejew. Eigentlich muss man sagen, dass das Wiener Staatsopernballett in den Anfangsjahren, sag ich jetzt, nach '46, keine große Rolle gespielt hat - konnte es auch gar nicht. Wir mussten erst die ganzen Kriegsjahre eigentlich verdauen, wo ja vom Ballett gar keine Rede war, von Training oder solchen Dingen. Aber es war ja eine Musikstadt. Als das war ja Wien bekannt in der ganzen Welt. Aber heute kann man sagen, dass Wien sich wirklich so wieder hinaufgearbeitet hat, dass wir sicherlich auch es international im Vergleich ... .. also den Vergleich halten können. Und darüber sind wir alle froh. So, und zum Schluss möcht ich Ihnen noch meine große Freude mitteilen, und zwar: Ich habe auch das Silberne Verdienstzeichen der Republik Österreich bekommen (langgezogen:) und ... .. auch das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien. Ich bin so viel in der Welt herumgekommen, aber eins sag ich Ihnen: Ich möchte nirgendwo anders leben als in Wien.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Hedi Richter (Primaballerina)

Wir und Wien - Erinnerungen In ihren Erinnerungen erzählt uns Hedi Richter von ihrer verehrten Lehrmeisterin Grete Wiesenthal. Um die Jahrhundertwende des 20.Jahrhunderts brach ihr Stil die Strenge des reinen Spitzentanzes und führte zu einer gelösten Leichtigkeit und Schwerelosigkeit in der Bewegung. Er brach mit der Konvention des Althergebrachten. Der Wiener Walzer wurde nachhaltig geprägt und neu erfunden. Hedi Richter unterrichtet diese Walzer-Technik an der Ballettschule der Wiener Staatsoper.

Länge: 25 Min. 13 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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