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Landtag, 51. Sitzung vom 10.11.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 6 von 8

 

ben, personell vertreten zu sein. Es war für viele dieser Menschen die letzte Möglichkeit, an einer offiziellen Kundgebung mitzuwirken.

 

Die Shoah, das größte Menschheitsverbrechen, der Zweite Weltkrieg mit den Auswirkungen auf unsere Stadt, haben es erfordert, dass die politisch Verantwortlichen diese Stadt nach 1945 wieder aufgebaut haben, und zwar in großartiger Art und Weise. Wien ist zu einer toleranten, weltoffenen Stadt geworden, mit einem Sitz der Vereinten Nationen, dem einzigen Sitz der UNO in der Europäischen Union. Es war ein besonderes Verdienst von Bundeskanzler Bruno Kreisky, aber auch des damaligen Bürgermeisters Leopold Gratz, dass das gelungen ist und mittlerweile haben 40 internationale Organisationen ihren Sitz in unserer Stadt, im Bundesland Wien.

 

Es sind viele Dinge geschaffen worden, die weltweit einmalig sind: Wenn ich an die Donauinsel denke, an den sehr schnellen Ausbau der U-Bahn und auch der Fußgängerzonen: Vieles davon ist mit dem Namen Helmut Zilk verbunden, der gerade im Kulturbereich vieles geleistet hat, mit dem Namen Michael Häupl, der Wien zur Umweltmusterstadt gemacht hat und vieles andere mehr. Kurz, um es auf den Punkt zu bringen: Sie haben Wien zur lebenswertesten Stadt gemacht.

 

Von daher hat ein Satz an Bedeutung verloren, den der Satiriker Karl Farkas oft verwendet hat: „Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit.“ - Das ist zum Teil richtig, wir sind stolz auf Teile unserer Vergangenheit. Wir sehen manche Entwicklungen der Geschichte unserer Stadt, unseres Landes sehr kritisch, wir setzen uns auch intensiv mit der Geschichte unserer Stadt auseinander, aber wir sind auch stolz auf die Errungenschaften, wenn ich an die öffentliche Daseinsvorsorge denke und an all das, das uns von anderen, gesichtslosen Metropolen unterscheidet.

 

Gerade jetzt in dieser Krise hat sich gezeigt, dass ein öffentlich finanziertes Gesundheitswesen von großer Bedeutung ist, dass wir aber auch neue Formen finden, mit der Wirtschaft zu kooperieren - ich denke an den Beteiligungsfonds „Stolz auf Wien“ - und dass wir gerade Klein- und Mittelbetriebe sowie Ein-Personen-Unternehmen besonders unterstützen.

 

Wir werden uns weiterhin mit der Vergangenheit, mit diesen 100 Jahren auseinandersetzen und mit der Gegenwart: Dass wir Wirtschaftsmotor in Österreich sind, mit 100 Milliarden EUR Bruttoregionalprodukt, dass wir mit Niederösterreich, aber auch mit allen anderen österreichischen Bundesländern ein gutes Einvernehmen pflegen, stolz darauf sind, dass wir in diese Gemeinschaft der Bundesländer eingebettet sind und gut zusammenarbeiten, dass wir eine offensive Stadtaußenpolitik betreiben und wichtiger Teil europäischer und internationaler Städtenetzwerke sind und auch gehört werden, wenn wir uns als Stadt, als Bundesland Wien melden.

 

Wir haben guten Grund, mit Stolz auf diese 100 Jahre zurückzublicken, wir haben aber noch mehr Grund, sehr zuversichtlich und optimistisch in die Zukunft zu blicken. Diesen Weg gemeinsam zu gehen, dazu lade ich Sie, dazu lade ich Euch ganz herzlich ein. Glück auf!

 

(Allgemeiner Beifall.)

 

(Das Septett in Es-Dur, op. 20, 5. Satz von Ludwig van Beethoven wird gespielt.)

 

(Allgemeiner Beifall.)

 

Vorsitzende des Universitätsrats der Universität Wien Dr. Eva Nowotny: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Ich freue mich sehr, dass ich als Vorsitzende des Universitätsrats der Universität Wien eingeladen wurde, aus diesem besonders schönen Anlass hier ein paar Gedanken mit Ihnen zu teilen. Ich finde es sehr passend und sehr schön, dass die Universität Wien, die im Leben dieser Stadt wirtschaftlich, wissenschaftlich, aber auch sozial ein bedeutender Faktor ist, ihren Platz in dieser Festveranstaltung findet.

 

Ich bin ein neugieriger Mensch und habe natürlich sofort einmal versucht, herauszufinden, wie sich diese Entscheidung in der Universität Wien widergespiegelt hat. Mit unserem Archivar, Herrn Dr. Maisel, haben wir nachgeschaut und es hat sich herausgestellt, dass das kaum einen Niederschlag gefunden hat.

 

Es gab am 18. November 1920 eine Senatssitzung mit Rektor Alfons Dopsch. Der Rektor hat damals über die Lage berichtet und da ist auch über den Beschluss der Trennung Wiens von Niederösterreich berichtet worden. Es gab aber keine weitere Diskussion und keine weiteren Kommentare, bis auf die Tatsache, die mit einer gewissen Befriedigung festgestellt wurde, dass von nun an die Universität Wien nicht mehr nach Niederösterreich berichten würde, sondern einer eigenen Verwaltungseinheit, die damals dem Bundesministerium für Unterricht unterstanden ist.

 

Wir erinnern in dieser Veranstaltung an die Gründung des Wiener Landtages, aber gleichzeitig treten wir damit auch in die Gründungsphase der Ersten Republik ein. Die Umstände dieser Zeit - der Herr Landeshauptmann hat darauf Bezug genommen - waren dramatisch. Es gab wirtschaftliche und politische Unsicherheit, Massenarmut, Arbeitslosigkeit, es hat die Spanische Grippe geherrscht und furchtbare Verheerungen angerichtet, es gab eine Unterversorgung der Bevölkerung mit allen Gütern des Lebens, dramatische Wohnungsnot, kurzum, ein Klima der Verzweiflung, Traumata, eine gewisse Hoffnungslosigkeit.

 

Es ist bewundernswert, mit welchem Mut, mit welcher Weisheit, mit welcher Disziplin, mit welcher Weitsicht sich eine Gruppe von Leuten damals an die Neukonstruktion des Staates und damit auch der Stadt gemacht und diese Arbeit auf sich genommen hat. Die Diskussion über die Rechtsstellung Wiens beginnt nicht zu diesem Zeitpunkt, da gibt es schon eine lange Vorgeschichte.

 

Das geht zurück bis ins 19. Jahrhundert, wobei zum Beispiel auch schon in den sozialdemokratischen Kommunalprogrammen der 1890er Jahre immer wieder die Forderung erhoben wurde, Wien möge eine reichsunmittelbare Stadt werden, also eine Reichsunmittelbarkeit erteilt bekommen. Interessant ist auch, dass in dieser Zeit andere große Städte Änderungen erfahren haben, was

 

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