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Landtag, 40. Sitzung vom 20.11.2019, Wörtliches Protokoll  -  Seite 7 von 76

 

Gewaltausübung in Einrichtungen der Stadt Wien begangene Unrecht anzuerkennen und Verantwortung für die erlebte Gewalt der Opfer zu übernehmen.

 

In diesem Sinne wurde damals umgehend die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft als Anlaufstelle für die Betroffenen beauftragt. In weiterer Folge wurde dann die unabhängige Opferschutzorganisation Weisser Ring mit dem Aufarbeitungsprojekt „Hilfe für Opfer von Gewalt in Einrichtungen der Wiener Jugendwohlfahrt“ betraut. Insofern darf ich an dieser Stelle klarstellen, dass Wien bezüglich einer raschen Aufarbeitung des Geschehenen absolut federführend in Österreich ist, nämlich zeitnah und opferorientiert.

 

Das Aufarbeitungsprojekt des Weissen Ringes, aber auch die anderen Projekte der Stadt Wien verfolgten das Ziel, den Betroffenen Respekt zu erweisen, rasche und unbürokratische Hilfe zu ermöglichen, ihnen rechtliche Beratung, psychosoziale und therapeutische Unterstützung sowie finanzielle Hilfestellung zukommen zu lassen.

 

Gleichzeitig wurden mehrere historische Studien und Untersuchungen in Auftrag gegeben, um die Geschichte der Wiener Jugendwohlfahrt aufzuarbeiten sowie den Betroffenen Anerkennung für ihr Leid zukommen zu lassen und ihrer Geschichte Gehör zu verschaffen.

 

Mit Gemeinderatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 hat die Stadt Wien das Projekt „Hilfe für Opfer von Gewalt in Einrichtungen der Wiener Jugendwohlfahrt“ beschlossen. Zu diesem Zweck wurden von der Stadt Wien finanzielle Mittel von zunächst 2 Millionen EUR zur Verfügung gestellt. In der Folge wurden die diesbezüglichen finanziellen Mittel mehrmals durch Gemeinderatsbeschlüsse erhöht. Zuletzt wurde mit Beschluss des Gemeinderates vom 16. Dezember 2015 eine Erhöhung um 8 Millionen EUR genehmigt, womit schließlich für das Projekt eine Gesamtsumme von über 52 Millionen EUR zur Verfügung gestellt wurde.

 

Nach sechsjähriger Laufzeit wurde der Meldeschluss für das Projekt mit 31. März 2016 festgelegt. Bis März 2018 konnten erforderliche zusätzliche Therapieeinheiten beantragt und bis Ende März dieses Jahres in Anspruch genommen werden. Auch nach dieser Zeit steht den Betroffenen die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft als Ansprechstelle zur Verfügung und unterstützt bei der Organisation von Hilfen und Therapien, insbesondere durch den Psychosozialen Dienst der Stadt Wien.

 

Im Zuge des Projektes haben sich 3.139 Betroffene beim Weissen Ring gemeldet. Insgesamt 2.384 Personen erhielten finanzielle Hilfeleistungen. Allen Betroffenen wurde Psychotherapie angeboten, dabei wurden insgesamt rund 144.400 Einheiten genehmigt, von welchen circa die Hälfte der Stunden auch in Anspruch genommen wurde. Vom Weissen Ring wurden über 42 Millionen EUR an finanziellen Hilfeleistungen zuerkannt, für Clearing und Psychotherapie über 6 Millionen EUR und für Rechtsberatung um die 94.000 EUR. Die Administrationskosten des Projekts betrugen rund 2,8 Millionen EUR. Die Gesamtausgaben des gegenständlichen Aufarbeitungsprojektes belaufen sich nach dessen Abschluss auf rund 51,2 Millionen EUR.

 

Die Magistratsabteilung 11 hat allen Betroffenen ihre historischen Unterlagen zur Verfügung gestellt und diese auf Wunsch im Sinne einer Biographiearbeit in vielen Einzelgesprächen mit Betroffenen erörtert. Im Juli 2013 fand in der Magistratsabteilung 11 ein Tag der Begegnung mit den Betroffenen, mit den Verantwortlichen der Abteilung, dem Weissen Ring sowie Univ.-Prof. Reinhard Sieder und Dr. Barbara Helige statt. Großen Respekt habe ich vor den Betroffenen, die der Magistratsabteilung 11 und der Öffentlichkeit ihr Leid und ihre Erfahrungen berichtet haben. In diesem Zusammenhang war der Tag der Begegnung mit den Betroffenen in der Wiener Kinder- und Jugendhilfe besonders lehrreich.

 

Die Erkenntnis des Aufarbeitungsprozesses ist für uns Auftrag, dass dies niemals wieder passieren darf. Es darf insbesondere niemals wieder derart geschlossene Institutionen geben, welche derartiges Unrecht möglich machen. Daher hat die Wiener Jugend- und Kinderhilfe beginnend in den 1990er Jahren sämtliche Großheime aufgelöst. Heute werden Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren Eltern leben können, in Krisenzentren und familienähnlichen sozialpädagogischen Wohngemeinschaften sowie bei gut ausgewählten und ausgebildeten Pflegeeltern betreut. Wichtig sind dabei die Stärkung der Kinderrechte, eine gute Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, moderne Standards, funktionierende Kontrollinstrumente und vor allem die Schaffung einer Aufmerksamkeitskultur, um Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen zu können.

 

Am 17. November 2016 enthüllte der damalige Bürgermeister der Stadt Wien, Dr. Michael Häupl, eine Gedenktafel an der ehemaligen Kinderübernahmestelle in der Lustkandlgasse 50 im 9. Bezirk. Von diesem Standort wurden Kinder in Heime und Pflegefamilien gebracht, in denen sie erschütternden alltäglichen Erziehungspraktiken und institutioneller Gewalt ausgesetzt waren. Mein Amtsvorgänger Dr. Michael Häupl betonte dabei ausdrücklich, dass es ihm ein persönliches Anliegen sei, im Rahmen der Aufarbeitung die Opfer des Unrechts, das in Kinderheimen der Stadt Wien beziehungsweise bei Pflegeltern geschehen ist, nochmals um Entschuldigung zu bitten. Es sei ein Kapitel in der Geschichte in unserer Stadt, das nie hätte geschrieben werden dürfen, denn es liege in unserer gesellschaftlichen Verantwortung, dass jene, die am schutzlosesten und damit am verwundbarsten sind, in besonderer Weise vor Gewalt und Übergriffen geschützt werden. Die Gedenktafel solle für alle sichtbar eine Mahnung und Auftrag sein, immer den Blick auf die Schwächsten in einer Gesellschaft zu richten.

 

Es sollte zudem nicht übersehen werden, dass sowohl mein Amtsvorgänger als auch der frühere Stadtrat Christian Oxonitsch sich in besonderer Weise für eine nationale Gedenkzeremonie eingesetzt haben, mit der die Republik dem Wunsch vieler Opfer nachkommen sollte. Sie haben darauf hingewiesen, dass mit den verschiedenen historischen Aufarbeitungsprojekten das Leid, welches Kindern und Jugendlichen in den Heimen der Stadt Wien widerfahren ist, nicht wiedergutgemacht

 

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