Landtag, 36. Sitzung vom 15.01.2015, Wörtliches Protokoll - Seite 10 von 26
Lage ist, das Wahlrecht allein zu ändern, haben Sie ein demokratisches Wahlrecht gemacht – nirgends! –, sondern überall ist es anders. Gut. Geschenkt! Es scheint halt einmal so zu sein, dass man sich daran gewöhnen muss.
Die nächsten Wahlen, die noch früher als die Wirtschaftskammerwahlen stattfinden, sind die niederösterreichischen Gemeinderatswahlen. Darüber konnte man gestern in der Zeitung lesen. (Abg Mag Wolfgang Jung: Was Sie aufführen, ist peinlich!) Ich finde das peinlich, was dort passiert!
Wie viele Wahlberechtigte gibt es in Niederösterreich bei der Gemeinderatswahl? In Wien dürfen Leute nicht wählen, die hier wohnen und arbeiten gehen. In Niederösterreich dürfen sie ein Mal, zwei Mal, drei Mal, vier Mal, fünf Mal, sechs Mal, zehn Mal wählen. Das ist dort wurscht! Sie können so oft wählen, wie sie an einem Nebenwohnsitz gemeldet sind. (Abg Mag Wolfgang Jung: Wir sind aber in Wien! Tagwache!)
Ich sage nur: Sehen wir uns das doch einmal an und überprüfen wir, wie ernst wir das überhaupt meinen! Das Wahlrecht in Niederösterreich wird natürlich von der Volkspartei verteidigt. Und das bedeutet momentan: In der Zeit zwischen der letzten Nationalratswahl und den jetzigen Gemeinderatswahlen hatte Niederösterreich einen Zuwachs an 300 000 Stimmberechtigten. Dort dürfen jetzt im Jänner bei der Gemeinderatswahl 300 000 Leute mehr abstimmen als bei der Nationalratswahl. Das ist ein Irrsinn! Dort kann man sich am Standort seines Kegelvereins anmelden, jemand kann sich dort melden, wo sein Kind in die Schule geht, wo er arbeitet, wo sein Freund oder Bruder wohnt. Und genauso geschieht das dort auch, denn anders kommen die 300 000 ja nicht zustande! Wenn das niemand tun würde, gäbe es diesen Zuwachs nicht. (Abg Mag Wolfgang Jung: Das ist fast so wie mit den Studenten im 7. Bezirk!)
Darauf will ich hinaus! Das ist das Problem dabei: Es ist etwas schwierig, zu sagen, die GRÜNEN sollen sich in Fragen der Demokratie zuerst mit der ÖVP und der FPÖ zusammensetzen und dann etwas ausmachen. Das wird nicht möglich sein, und zwar mit der FPÖ nicht, weil sie insgesamt in meinen persönlichen Augen keine sehr demokratisch orientierte Partei ist. Sie kennen das, Sie wissen, was ich meine.
Und auch mit der ÖVP wird das nicht möglich sein, weil sie das überall dort, wo sie zuständig ist, ohnedies nicht tut. Das war auch hier so. Von 1996 bis 2001 haben Sie das Wahlrecht nicht angetastet! – Es war ein schönes Bonmot von Herrn Juraczka, als er gesagt hat, dass Sie zwischen 1996 und 2001 demokratiepolitisch in einem Punkt etwas weitergebracht haben, nämlich hinsichtlich U-Ausschuss. Sie wissen aber schon, warum dieser gemacht wurde? Sie waren damals nicht da! Aber es gab zwischen 1996 und 2001 einen Widmungsskandal, und im Zuge dessen wurde von den GRÜNEN gefordert, man möge diesbezüglich ein Minderheitsrecht einführen. Den Widmungsskandal hatte Herr Görg zu verantworten. Das war das, was Sie von 1996 bis 2001 hinterlassen haben! Es gab einen Widmungsskandal und danach einen U-Ausschuss.
Hinsichtlich Wahlrecht ist hingegen nichts geschehen. In dieser Legislaturperiode haben Sie keinen Ausschuss verlangt. Es ist dies aber ein Minderheitsrecht, das stimmt, und Blau und Schwarz hätten jederzeit einen Ausschuss machen können. Das haben Sie aber nicht getan, und ich nehme das als Beleg für die gute Arbeit von Rot und Grün! Vielen Dank! (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)
Zum Wahlrecht im Detail: Wir haben in Wien drei Verzerrungsfaktoren, die das Wahlergebnis vom Grundsatz „jede Stimme ist gleich viel wert“ entfernen, geredet wird aber nur über einen. Der größte Verzerrer, den wir haben, ist: In dieser Stadt wohnen ungefähr 350 000 Leute, die über 16 Jahre alt sind und nicht mitwählen dürfen. Punkt. (Abg Mag Wolfgang Jung: Na klar, weil sie keine Staatsbürger sind!)
Das ist mittlerweile ein Viertel der Wahlberechtigten. Im 15. Bezirk ist das momentan ein Anteil von mehr als 35 Prozent. Und selbstverständlich ist es demokratiegefährdend, wenn man einem Drittel der Bevölkerung in einem Bezirk sagt: Ihr dürft nicht mittun! Danke schön! Auf Wiederschauen!
In Niederösterreich bei den Gemeinderatswahlen dürfen EU-BürgerInnen zehn Mal wählen, wenn sie möchten und wissen, wie das Ganze funktioniert. Das wissen in Wien nicht alle. Es hat nicht jeder den Pressetext gelesen, der erschienen ist, wie ein Wahlzettel in Niederösterreich ausschaut. Da kann man auch etwas lernen! (Abg Mag Johann Gudenus, MAIS: Wo bleibt das faire Modell für ein Wahlrecht in Wien?)
Dort gibt es amtliche Stimmzettel, und 1,5 Millionen Stimmzettel verschickt die ÖVP! Diese Zettel kommen zu den Leuten nach Hause, man muss sie nicht ausfüllen, sondern nur zusammenfalten und ins Kuvert stecken. Und falls man den amtlichen auch nimmt und ausfüllt, dann ist der amtliche ungültig, denn auf dem Zettel, den die ÖVP verschickt, steht: „Ersetzt den amtlichen Stimmzettel.“ Auf diesem sind ein Bild des Kandidaten und dessen Name, sonst nichts. Und diesen Zettel wirft man ein. Es gibt 1,5 Millionen solcher Stimmzettel!
Dazu sage jetzt auch wieder nicht ich etwas, sondern darüber ist gestern etwas in der „Presse“ gestanden, und zwar unter dem Titel: „Niederösterreich wählt: Die Welt kann dabei noch etwas lernen.“ (Abg Mag Wolfgang Jung: Herr Kollege! Das ist ein Problem, aber nicht in Wien!)
Das müssen alle lesen, die sich einmal mit dem Wahlrecht beschäftigt haben, denn das liest sich wie eine Satire! Wenn man das durchliest, glaubt man, dass das im „Titanic“ in Deutschland erschienen ist und nicht tatsächlich eine Wahlordnung in Österreich betrifft und vorgestern in der „Presse“ erschienen ist. Dieser Artikel mit dem Titel „Niederösterreich wählt: Die Welt kann dabei noch etwas lernen“ ist von Sibylle Hamann, und der hervorragender Text beginnt schon schön mit: „Wahlbeobachtung und Demokratisierungshilfe für unterentwickelte Länder sind eine großartige Sache. Zumal man dafür manchmal gar nicht weit fahren müsste.“ – Man muss nämlich zum Beispiel nur bis Purkersdorf fahren, das geht sich aus!
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