Landtag, 2. Sitzung vom 16.12.2010, Wörtliches Protokoll - Seite 24 von 48
entsprechende Versorgung. Ich gehe einfach nicht davon aus, dass man in Österreich und in Wien speziell weniger Physio-, Ergo- oder Logotherapie beanspruchen muss, sondern schlicht und einfach, dass sich durch die Finanzierungssituation hier Defizite für die betroffenen Familien zeigen, die nicht hingenommen werden können.
Diese Situation, dass man selber finanzieren beziehungsweise vorfinanzieren muss und nur Teile refundiert bekommt, ist in konkreten Einzelfällen eine unzumutbare Belastung für die Familien.
Ich schildere einen konkreten Fall um einen Buben, der 2001 geboren wurde und am Asperger-Syndrom leidet. Er hat eine psychosoziale Entwicklungsstörung und die Diagnose wurde 2009 im AKH gemacht. Es wurden einige Therapien angeordnet, Psychotherapie, Physiotherapie, soziale Einzeltherapie und Gruppentherapie. Da ist man als Familie schon ordentlich am Laufen, damit man das alles zeitlich organisieren kann. Aber schauen wir uns an, was die Familie diese Therapien kosten, die alle sinnvoll und medizinisch indiziert sind, keine davon ist sozusagen ein Luxus.
Im Monat nach der Diagnose im Mai 2009 hat die Familie einmal ausgerechnet, was das kostet: 2 Mal Psychotherapie macht 200 EUR für 1 Monat, Refundierung 40 Prozent, das sind 80 EUR, 4 Mal Physiotherapie, Kosten 260 EUR, 9 Prozent Refundierung - das muss man sich einmal vorstellen: 9 Prozent! -, macht als Zwischensumme in der Refundierung 103,40 EUR. Die Gesamtkosten dieser Therapie im Monat belaufen sich aber auf 356 EUR, das heißt, 78,5 Prozent verbleiben der Familie an monatlichen Kosten mit 356 EUR! Da muss man schon sehr, sehr gut verdienen, dass man das monatlich weglegen kann. Da haben wir aber weder die soziale Einzeltherapie noch die Gruppentherapie noch das Voltigieren, das ihm auch verschrieben wurde, mitgerechnet. Das kostet in Summe 990 EUR. Davon verbleiben die Selbstkosten mit 89,5 Prozent, das macht 886 EUR. Also stellen Sie sich vor, das sind in Summe mehr als 1 000 EUR, die der Familie aus dem Umstand, dass der Sohn am Asperger-Syndrom leidet, an Kosten übrig bleiben. Um das sozusagen nicht so hinzustellen, als wäre es ein Einzelfall, will ich es Ihnen auch an schlichten Zahlen im Vergleich zwischen Wien und deutschen Krankenkassen zeigen: Die Wiener Gebietskrankenkasse bezahlt für 0,6 Prozent der Kinder Ergotherapie, für 1,2 Prozent Logotherapie und für 2 Prozent aller versicherten Kinder Physiotherapie. In Deutschland - und ich gehe jetzt wieder davon aus, dass die Gesundheitssituation nicht wesentlich anders ist - wird Ergotherapie für 3,4 Prozent, Logotherapie für 5,1 Prozent und Physiotherapie für 2,5 Prozent der Versicherten bezahlt. Das heißt, wir können davon ausgehen, dass wir eine krasse Unterversorgung haben, dass Kinder, deren Familien es sich nicht leisten können, das selbst zu finanzieren, schlicht und einfach nicht versorgt werden. Ich finde, das können wir nicht hinnehmen. Und dieses Beispiel mit der Herabsetzung der Pflegestufe ist nur die Spitze des Eisberges. Wir müssen uns damit beschäftigen, dass die Familien von chronisch kranken Kindern, von Kindern nach Unfällen in einer absolut unakzeptablen Situation sind, wenn man noch dazu weiß, dass es auch schon in der Rehabilitation nach dem Unfall zu wenig Betten gibt. Das ÖBIG, und es steht außer Streit, dass diese Zahlen seriös sind, hat 2004 errechnet, dass wir krass zu wenig Betten haben. Man muss sich das vorstellen: Es stehen in ganz Österreich 7 500 Reha-Betten für Erwachsene zur Verfügung gegenüber von sage und schreibe 50 Betten in ganz Österreich für die Rehabilitation von Kindern mit neurologischen Erkrankungen! Überhaupt keine Rehabilitationsbetten für Kinder gibt es im Bereich von Lungenerkrankungen, Rheuma und hämato-onkologischen Erkrankungen. Wir brauchen also unbedingt neben der Vollfinanzierung der Therapien auch einen geordneten Kinderrehabilitationsplan für Österreich. Dass unser Versorgungsgrad in Wien bei Ergo- und Logotherapie bei rund 10 Prozent, bei Physiotherapie bei 50 Prozent liegt, hat zur Folge, dass es lange Wartezeiten gibt. 850 Kinder sind auf der Warteliste, zum Teil bis zu zwei Jahren, 600 bis 700 werden abgewiesen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es muss auch diesen Landtag interessieren, dass es bei den Leistungen für Kinder und Jugendliche, wiewohl sie von der Kasse im Wesentlichen zu erbringen sind, aus gesundheitspolitischen Gründen nicht hingenommen werden kann, dass die Versorgung so schlecht ist. Es ist schon richtig, dass die Gemeinde Wien nicht immer einspringen kann, wenn die Gebietskrankenkasse oder die Sozialversicherung ihre Leistungen nicht erbringen. Aber es muss uns schon klar sein, dass die Eltern und die Kinder die Letzten sind, die unter diesem Kompetenzdschungel leiden sollen. Es ist nicht einzusehen, dass man wie ein Bittsteller, eine Bittstellerin laufen muss, damit man hier die Leistungen bekommt.
Ich möchte abschließend in diesem Zusammenhang noch ein paar grundsätzliche Worte zum Pflegegeld und zu den Pflegeleistungen machen. Es hat im Jahr 2008 eine Studie des Sozialministeriums gegeben und es wurde ein Pflegevorsorgebericht erstellt, der, und da können wir ja froh sein, dass es so ist, festgestellt hat, dass das Pflegegeld als Geldleistung im Prinzip treffsicher ist. Also soviel zu der Diskussion Geldleistung versus Sachleistung. Es wurden 130 diplomierte Gesundheits- und PflegemitarbeiterInnen ausgeschickt, die über 17 000 Hausbesuche gemacht haben, und das Ergebnis kann uns eigentlich freuen: Über 11 000 der Besuchten waren sehr gut gepflegt, fast 6 000 immer noch gut, nur 63 der besuchten Pflegebedürftigen waren mangelhaft und nur 4 verwahrlost. Also die Leute, die zu Hause die Menschen pflegen, die Angehörigen, tun das mit großer Umsicht. Also die Polemik, da wird das Geld eingenommen, aber es kommt den Betroffenen nicht zugute, lässt sich mit diesen Zahlen nicht halten. Aber es hat sich auch gezeigt, dass die Angehörigen eine große Last tragen. 28 Prozent haben gesagt, sie fühlen sich körperlich sehr belastet und über 50 Prozent haben zugegeben, dass sie in großer Sorge sind und in psychischer Belastung. Das führt in Isolation und oft auch zur Einschränkung des eigenen Lebens. Wir wissen, dass es ja im Wesentlichen die Frauen sind, die hier pflegen. Über 80 Prozent der Betreuten sind nach wie vor zu Hause
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