Landtag,
27. Sitzung vom 23.09.2009, Wörtliches Protokoll - Seite 46 von 78
Zustände, sondern es geht mir um andere Menschen, die noch leben. Es
geht mir auch um das Aufzeigen von massiven, strukturellen Mängeln in diesem
ganzen System, die dieser Fall mehrfach aufzeigt.
Es liegt sicher nicht am Mangel an gutem Willen vom medizinischen und
Pflegepersonal, das möchte ich noch einmal betonen, sondern an Mängeln und
Schwachstellen im gesamten Krankenhaus- und Pflegesystem der Stadt Wien.
Erstens einmal zu wenig Pflegeplätze in Wien. Es gibt keinen Platz in
öffentlichen Pflegeheimen ohne lange Wartezeiten. Wenn es um Menschen geht, die
plötzlich eine Verschlechterung ihres Zustands erfahren, wie das in diesem Fall
und in vielen anderen Fällen der Fall ist, dann hat man ein großes Problem,
wenn es keine Familie gibt, die sich darum kümmert.
Es gibt auch viel zu wenig Pflegeplätze, die für demente Patienten
eingerichtet sind. Es gibt natürlich auch viel zu wenig Spitalsplätze, die für
demente Patienten eingerichtet sind, also im Sinne einer Gerontopsychiatrie.
Der Spitalsbetrieb ist weder personell noch räumlich für solche Patienten
eingerichtet. In den wenigen entsprechenden Einrichtungen gibt es einfach nicht
genug Plätze und daher ist das Personal in den anderen Einrichtungen
überfordert, daher kommt es zu der medikamentösen Ruhigstellung, die sich
extrem kontraproduktiv auf den Gesundheitszustand dieser Patienten auswirkt.
Und eigentlich handelt es sich dabei um eine Fehlbehandlung, die in der
Literatur eindeutig beschrieben ist.
Die dritte Schwachstelle ist ein fehlendes Entlassungs- und
Schnittstellenmanagement. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, die Entlassungen
in Ruhe vorzubereiten und sich über alle Eventualitäten zu informieren und
dafür Vorsorge zu treffen. Es gab keine Beratung, es gab keine Hilfestellung
bei keinem dieser Entlassungsfälle. Es gab auch keine klare Zuständigkeit, an
wen man sich zu wenden hat, wer dafür zuständig ist, wer sich darum kümmert. Es
gab nur Entlassungen ohne Unterstützung.
Dann frage ich mich: Was ist, wenn es dann nicht eine größere Familie
gibt, die diverse Unterstützung leisten kann? Man hätte meinen Vater auch nur
meiner 82-jährigen Mutter nach Hause überlassen, ohne zu fragen, wie sie das
bewältigen kann.
Es gab auch mangelnde ärztliche Betreuung im Heim. Die Ärzte sind nicht
ins Heim gekommen, um ihn zu untersuchen. Er musste fünf Mal zu ambulanten
Spitalsbesuchen geschleppt werden, was sicher eine enorme Belastung für ihn war
und auch für die Familie. Es gibt einfach zu wenig Zusammenspiel zwischen den
einzelnen Einrichtungen, offenbar keine Kommunikation zwischen Spital, Fonds
Soziales Wien und Pflegeeinrichtungen, keine Kommunikation zwischen Spital und
Krankentransporten. Es haben sich Gräben aufgetan und es gab keine
übergeordnete Koordination.
Diese Auflistung der Mängel vermisse ich im Bericht des Pflege- und
Patientinnen- und Patientenanwalts. Da gibt es viele Berichte von Einzelfällen,
die gelöst werden konnten, aber kein Eingehen auf die Zusammenhänge und auf die
systematischen Mängel, keinen Hinweis auf die strukturellen Mängel, keine
Vorschläge zur Behebung dieser strukturellen Mängel, keine Vorschläge für
zeitliche, strukturelle und organisatorische Änderungen, keine
Verbesserungsvorschläge für die mangelnde Kommunikation, Koordination, keinen
Vorschlag zur Ausweitung der Pflegekapazität in Wien. Das Entlassungsmanagement
ist im Bericht zwar löblich erwähnt. Es wird über die wissenschaftliche
Literatur berichtet und was sein sollte, aber nicht, wie es in Wien umgesetzt
werden könnte.
Herr Professor, Sie hören solche Fälle sicher nicht zum ersten Mal und
deswegen möchte ich an Sie appellieren, sich damit zu befassen, was
vorgeschlagen und getan werden kann, was geändert werden kann, damit so etwas
in Wien nicht mehr passiert, damit demente Menschen, die sich in unserer
Gesellschaft ohnehin nicht mehr zurecht finden können, nicht mehr
herumgeschoben werden, weil es eben kaum gerontopsychiatrische Kapazitäten
gibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen: Am vergangenen
Montag war Welt-Alzheimer-Tag. Da ist auf die steigende Anzahl von
Demenzkranken hingewiesen worden. 1951 gab es in Österreich 35 500 von
Alzheimer betroffene Menschen. Im Jahr 2000 bereits 90 500. Bei den 85-
bis 95-Jährigen, die ständig an Zahl zunehmen, beträgt die Betroffenheit von
Demenz zu 30 bis 40 Prozent. Diese Gruppe steigt, wie wir wissen, stetig
an. Mitte des 20. Jahrhunderts kam auf 120 Erwerbstätige ein Demenzkranker
und im kommenden Jahr soll ein Demenzkranker nur mehr auf 45 Erwerbstätige
kommen, im Jahr 2015 auf nur mehr 17. 2010 werden weltweit 35,6 Millionen
demente Menschen erwartet. 2050 100 Millionen Menschen.
Daher meine Frage an Sie, Herr Professor: Was schlagen Sie angesichts
dieser Zahlen an Maßnahmen vor? Was ist nötig, um dem derzeitigen und
zukünftigen Pflegebedarf der Menschen gerecht werden zu können und was ist
nötig, damit Menschen mit dieser Krankheit auch in Würde und unter gegebenen
Umständen mit optimaler Lebensqualität altern können?
Ich werde diese Unterlagen Ihrem Büro auch zukommen lassen. Ich möchte
daran erinnern, die Gesellschaft wird daran gemessen, wie sie mit ihren
schwächsten Mitgliedern umgeht, und alte, demente Menschen gehören sicher zu
den Schwächsten. In diesem Sinne, Herr Professor, möchte ich an Sie
appellieren, sich darüber Gedanken zu machen und entweder heute oder im
Gesundheitsausschuss dazu Stellung nehmen.
Abschließend möchte ich mich ganz herzlich bei dem Team der Pflege-,
Patienten- und Patienteninnenanwaltschaft für die hervorragende Arbeit bedanken
und bei Ihnen für die Aufmerksamkeit. - Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Präsidentin Marianne Klicka:
Bevor wir mit der Tagesordnung fortfahren, möchte ich für das Protokoll bekannt
geben, dass Frau Abg Ringler ab 14.43 Uhr entschuldigt ist.
Zu diesem vorliegenden Tagesordnungspunkt hat sich als Nächste Frau Abg
Praniess-Kastner zum Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.
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