Gemeinderat, 58. Sitzung vom 25.09.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 100 von 135
aller politischen Neubenennungen sind SPÖ-Politiker. Auch da können Sie nicht sagen, dass das ein ausgewogener Umgang ist. - Frau Stadträtin, das ist Ihre Anfragebeantwortung, das steht in Ihrer Anfragebeantwortung: 75 Prozent der politischen Neubenennungen sind SPÖ-Politiker. (GR Dipl.-Ing. Martin Margulies: 75 Prozent, ja!) Das ist kein ausgewogener Umgang mit unserer Stadtgeschichte. Noch einmal, unsere Stadtgeschichte ist unser aller Geschichte und nicht nur die Geschichte des Roten Wien. Auch da sehen wir einen Bias, und das ist der Grund für unseren Antrag.
Um noch einmal auf die Lueger-Debatte zurückzukommen: Frau Kollegin Berger-Krotsch hat gesagt: der Umgang mit problematischen Denkmälern. Frau Kollegin, es ist der Umgang mit problematisierten Denkmälern. Die Debatte um Karl Lueger war eine Kampagne von kleinen Interessensgruppen, die wahnsinnig laut und meinetwegen wahnsinnig professionell waren, aber es waren die Studierenden der Angewandten (GRin Viktoria Spielmann, BA: Jüdische HochschülerInnen!), es war die Jüdische Hochschülerschaft. (Weitere Zwischenrufe von GRin Viktoria Spielmann, BA.) Es war die Jüdische Hochschülerschaft, und es war ein Medientreibender, der wahrscheinlich davon gut gelebt hat. Was es aber nicht ist, Frau Kollegin Spielmann, und was es nicht sein kann, ist der Kampf gegen Antisemitismus. Denn dann schaue ich mir an, wo Sie in den letzten Jahren dieser Legislaturperiode aufgestanden sind, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus ging. (Zwischenruf von GRin Viktoria Spielmann, BA.) Wann sind Sie aufgestanden, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus heute ging? (GRin Viktoria Spielmann, BA: Immer! - GR Dipl.-Ing. Martin Margulies: Immer!)
Wenn es gegen muslimischen Antisemitismus gegangen ist, sind wir diejenigen gewesen, die aufgestanden sind. Die türkische Buchhandlung im 15. Bezirk, die antisemitische Literatur geführt hat, haben wir aufgedeckt, die pro-palästinensischen Demonstrationen haben wir offiziell kritisiert. (GRin Viktoria Spielmann, BA: Geh, bitte!) Dar al Janub, die bis heute im Wiener Gemeindebau sitzen: Das haben wir recherchiert, da haben wir die Sachverhaltsdarstellung eingebracht. Das ist der Kampf gegen den Antisemitismus heute, und er wird von der Wiener ÖVP geführt und von Ihnen ist ganz, ganz oft nichts gekommen. Der Kampf gegen Antisemitismus heute ist anders, der spielt sich nicht um Dr. Karl Lueger ab, und das müssen Sie akzeptieren. (Beifall bei der ÖVP.)
Wir möchten, dass wir zu einem neuen und geordneten Umgang mit Stadtgeschichte kommen. Wir möchten, dass wir uns alle an einen Tisch setzen und uns überlegen, wie wir mit dem historischen Erbe Wiens umgehen und wie wir eine ordentliche Gedenkkultur etablieren, und zwar sowohl bei Neubenennungen als auch bei Kontextualisierungen und Umbenennungen. Es kann nicht sein, dass Umbenennungen und Kontextualisierungen auf irgendwelche Zurufe hin passieren.
Es kann nicht sein, wie wir das jetzt ständig in den Bezirksparlamenten sehen, dass Anträge gegen irgendwelche christlich-sozialen, bürgerlichen Politiker kommen, die teilweise inhaltlich völlig falsch sind und trotzdem angenommen werden. Das ist eine Art des kulturellen Selbsthasses, den Sie hier praktizieren, den wir nicht haben wollen. Wir wollen kein Cancelling bürgerlicher Politiker, wir wollen diese Praxis nicht mehr haben, und deswegen sagen wir, wir brauchen einen neuen Umgang und den sollten wir gemeinsam diskutieren. Danke. (Beifall bei der ÖVP.)
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächste zu Wort gemeldet ist GRin Berner. Restredezeit zwölf Minuten, die ich Ihnen jetzt einstelle.
GRin Mag. Ursula Berner, MA (GRÜNE): Danke schön. - Eine kurze Replik an dich, Caro (in Richtung GRin Mag. Caroline Hungerländer). Es geht in der Frage der Erinnerungspolitik natürlich immer darum, historische Persönlichkeiten in ihrem Kontext zu sehen. Daran arbeiten wir ja schon viele Jahre. Die Frage dabei aber bleibt, nicht nur die Person im Kontext zu sehen, sondern dann aus unserer Sicht jetzt zu bewerten: Ist das noch ein Held oder ist das kein Held mehr? Genau das ist die aktuelle Erinnerungspolitik, nämlich zu sagen: Welche Helden wollen wir in dieser Stadt verehren? Warum wollen wir sie verehren? Was bringen sie uns heute in dieser Gesellschaft? Wie können sie ein gutes Zusammenleben in einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Ideologien, mit unterschiedlichen Ideen verstärken? Wie können sie Ideen, Inspiration bringen, auch für eine nächste Generation? Eigentlich geht es darum in einer guten Erinnerungspolitik.
Die absolute Objektivität, wie du sie forderst, gibt es nicht. Das habe ich als Historikerin schon in den 90er Jahren in der Wissenschaftstheorie gelernt. Jeder Wissenschaftler ist biased, weil er aus seinem Hintergrund, aus seinem „frame“ heraus argumentiert. Deshalb müssen wir sehen, wie wir Entscheidungsgruppen zusammensetzen, sodass wir verschiedene Sichtweisen zusammenführen. (GR Dr. Markus Wölbitsch, MIM: Ja, das hat sie ja gesagt!) Wir können aber nicht beginnen, jetzt um die einzelnen Helden hier zu streiten, welcher Held der bessere ist oder wer der bessere Verteidiger gegen Antisemitismus ist. Das ist doch absurd. Wir alle wollen hier ein demokratisches Zusammenleben haben, wir alle wollen, dass wir in dieser Stadt gut miteinander auskommen. Ich glaube, an dem sollten wir am meisten arbeiten: Wie kommen wir gemeinsam gut miteinander aus, ohne dass wir die anderen nur noch provozieren? Es geht nicht um Provokation. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen. Die Berichterstatterin verzichtet auf das Schlusswort.
Wir kommen daher zur Abstimmung über die Postnummer 53. Wer dieser Postnummer zustimmen kann, ersuche ich um ein Zeichen mit der Hand. - Ich sehe die Zustimmung der FPÖ, der NEOS, der SPÖ und der GRÜNEN, womit diese Postnummer mehrstimmig angenommen ist.
Wir haben mehrere Anträge zu dieser Postnummer vorliegen.
Der erste Antrag, von der ÖVP, betrifft den ausgewogenen Umgang mit dem historischen Erbe Wiens, die sofortige Abstimmung wird verlangt. Wer dafür ist, ersuche
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