Gemeinderat, 53. Sitzung vom 22.04.2024, Wörtliches Protokoll - Seite 51 von 76
Debatte gezeigt, wir haben auch hier schon öfters darüber diskutiert - und dass klar ist, dass Wien allein diese Herausforderung nicht stemmen kann, sondern dass es eine gesamtösterreichische Solidarität braucht. Ich spreche hier ganz gezielt natürlich auch die Bundesregierung und den Bildungsminister an, denn jedes Schulkind, das wir hier gut versorgen und beherbergen, bedeutet natürlich auch, dass wir hier gesamtösterreichisch eine große Gesamtverantwortung tragen und wir diese Last gerne aufgeteilt sehen beziehungsweise richte ich auch einen dringenden Appell an den Bundesminister, hier Unterstützungsleistungen anzubieten. Wir hatten gute Unterstützungsleistung in den Corona-Jahren: Wir hatten Förderstunden, es gab mehr Lehrpersonal. Das gibt es alles nicht mehr. Wir brauchen wirklich die Unterstützung, um hier unserer Gesamtverantwortung auch gerecht zu werden. Wir brauchen die Solidarität aller Bundesländer. Wir brauchen auch einen Chancenindex, der endlich auch der Tatsache gerecht wird, dass wir hier in Wien natürlich andere Herausforderungen haben als die Bundesländer. Meine KollegInnen werden heute auch einen Antrag einbringen, der darauf abzielt, denn ich glaube, die Aufgaben, die sich aus der Gesamtverantwortung ergeben, sind nur gemeinsam lösbar, und wir wollen sie gemeinsam lösen. - Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS sowie von GR Dr. Kurt Stürzenbecher und GRin Martina Ludwig-Faymann.)
Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Als Nächster zum Wort gemeldet ist GR Zierfuß. Sie sind am Wort.
GR Harald Zierfuß (ÖVP): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrter Herr Stadtrat! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte heute meine Rede mit einem kurzen Ausschnitt aus einem „Standard“-Artikel von gestern beginnen - vielleicht haben ihn einige von Ihnen gelesen, aber ich glaube, er ist es wert, dass wir alle ihn uns zu Gemüte führen: „Der Motivationsversuch ging nach hinten los. Als der 14-jährige Yusuf bei der Deutschschularbeit weniger als 40 Rechtschreibfehler pro Seite fabriziert hatte, rief ihn der Lehrer zu sich. Er habe sich einen ehrlichen Vierer erarbeitet, so das als aufmunternd gedachte Lob, eine tolle Leistung für einen, der noch nicht lange in Österreich sei. Doch die Reaktion fiel erstaunt aus. ‚Was labern Sie?‘, antwortete der türkischstämmige Bursche, gar nicht frech gemeint, und klopfte sich mit der Faust auf die Brust: ‚Ich bin hier geboren.' Er könnte noch viele derartige Anekdoten zum Besten geben, sagt Hannes F., aber es sei ja nicht sein Ziel, sich über irgendwen lustig zu machen. Geschichten wie diese erzähle er nur, weil es so wie bisher nicht weitergehen dürfe: ‚Die Schulen sind überfordert.'"
Wie gesagt, ein Artikel von gestern, 20. April, von Gerald John und Lisa Nimmervoll im „Standard“. Herr Stadtrat, ich glaube, dieser Artikel bringt ganz besonders zum Ausdruck, was es ist, worüber wir heute diskutieren müssen. Hören Sie auf, so zu tun, als hätten die Familienzusammenführungen erst dazu geführt, dass wir in den Wiener Schulen und Kindergärten ein Problem haben. Dieses Problem gibt es schon viel länger, dass die Kinder in Wien in den Kindergärten und Schulen nicht ausreichend Deutsch lernen. (Beifall bei der ÖVP.)
Wir kennen die Zahlen, und, Herr Stadtrat, ich habe alle diese Zahlen aus Anfragebeantwortungen von Ihnen, also Sie kennen sie auch. Jeder dritte Erstklässler in Wiener Volksschulen ist außerordentlicher Schüler, kann also so schlecht Deutsch, dass er dem Regelunterricht nicht folgen kann. Von diesen 7.145 Schülern sind 2 Drittel hier geboren, 4.767 an der Zahl. 80 Prozent von diesen Kindern sind mindestens 2 Jahre im Kindergarten gewesen. Und ja, wir können gerne darüber diskutieren, wie es bei den 20 Prozent der Kinder, die nicht so lange im Kindergarten waren, aussieht, oder von mir aus reden wir auch über das Drittel der Kinder, die nicht hier geboren sind, warum diese nicht Deutsch können und was da andere dafür können. Aber bei den 4.767 Kindern in der 1. Klasse Volksschule, die hier geboren sind, hier aufgewachsen sind, hier im Kindergarten waren, darf es keine Ausrede geben, warum die nicht ausreichend Deutsch können. Es ist vollkommen klar, da haben die Wiener Stadtregierungen versagt, die Deutschförderung in Kindergärten richtig aufzustellen, und das werden wir weiterhin aufzeigen.
Bei diesen Zahlen muss uns allen aber auch klar sein, dass wir im Kindergarten ansetzen müssen, und - Frau Kollegin Bakos hat das vorhin im Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten angesprochen - Kindergärten sind reine Zuständigkeit der Länder im Vollzug, und deswegen müssen wir das hier auch entsprechend verbessern. Sie, Herr Stadtrat, haben letzte Woche Ihre Deutschoffensive mit fünf Maßnahmen aufgezeigt, und ich habe Sie in der Früh, auch sehr ernst gemeint, gefragt, ob Sie daran glauben, dass diese fünf Maßnahmen etwas an der Tatsache verändern werden, dass so viele Kinder in Wien beim Schuleintritt nicht ausreichend Deutsch können.
Ihre Antwort war lang, sie war nicht kurz, sie war nicht wirklich ein Ja, sie war auch kein Nein. Im Wesentlichen war es ein Herausreden, und ich weiß auch, warum. Weil die fünf Maßnahmen, die Sie präsentiert haben, im Wesentlichen alte Maßnahmen sind, die Sie weiterführen, aufstocken, und ein neues Pilotprojekt, das an drei Kindergärten dazukommt. Ich finde es gut, dass man etwas macht, aber, Herr Stadtrat, Sie wissen genauso wie wir, dass diese fünf Maßnahmen natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und überhaupt nichts verändern werden. Das wissen Sie genauso gut wie wir.
Was es wirklich braucht, ist eine spürbare Aufstockung der Deutschförderkräfte - auch darüber haben wir schon viel diskutiert -, bei der es nicht um 50 pro Jahr zusätzlich geht, sondern um deutlich mehr, weil die Zahlen ja auch zeigen, dass das Verhältnis zwischen der Anzahl der Kinder, die Deutschförderbedarf haben, und der Anzahl jener, die eine Deutschförderkraft brauchen und dann auch eine bekommen, schlechter wird. Wir brauchen eine Kindergartenpflicht für all jene, die nicht ausreichend Deutsch können, viel früher - da wären wir uns ja einig. Wir sind aber in der Umsetzung, glaube ich, wie es dann gehen würde, noch unterschiedlicher Auffassung. Es braucht ein C1-Niveau für all jene, die im Kindergarten mit Kindern arbeiten, damit die Kinder auch wirklich Sprachvorbilder haben, und natürlich braucht es auch bessere Betreuungsverhältnisse im Kindergarten, einen besseren Fachkraft-
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