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Gemeinderat, 38. Sitzung vom 24.05.2023, Wörtliches Protokoll  -  Seite 35 von 146

 

Es hat bis zum April 2023 gedauert. Es gibt jetzt diese Pressekonferenz. Es gibt dieses Maßnahmenpaket. Gut so, dass es ja auch endlich eine Valorisierung geben wird, aber nur einen Monat später, nämlich jetzt, gibt es diese ersten Akten mit den neuen Bemessungsgrundlagen. Gleichzeitig aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es jetzt - das finde ich völlig unverständlich - diese Erhöhung von Essens- und Betreuungsbeiträgen an Horten und offenen Ganztagsschulen von über 10 Prozent.

 

Was machen Sie also? - Einerseits erhöhen Sie die Bemessungsgrundlage und valorisieren endlich die Bemessungsgrundlage, andererseits verschärfen Sie aber das Problem der Armut und Armutsgefährdung von Kindern einfach weiter. Anstatt einen sofortigen Gebührenstopp bei den Essens- und Beitragsbetreuungsbeiträgen an Horten zu verhängen, werden die Gebühren einfach erhöht. Völlig unverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Das heißt: Was wollen wir, und was fordern wir? - Wir fordern einen sofortigen Gebührenstopp und keine weitere Erhöhung von Essens- und Betreuungsbeiträgen in den Kindergärten und in den Schulen. Wien muss endlich ein Gratismittagessen für jedes Kind in den Wiener Bildungseinrichtungen bereitstellen. Wir finden, das ist eine wesentliche, eine einfache und eine wirkungsvolle Maßnahme für alle Wiener Kinder, liebe Kolleginnen und Kollegen.

 

Ganz kurz: Warum sind so ein Gebührenstopp und ein Gratismittagessen für alle Kinder tatsächlich sinnvoll? Erstens ist es natürlich eine konkrete sofortige Entlastung für armutsgefährdete Kinder in Wien. Ich möchte Ihnen gerne noch ein Beispiel vorrechnen, weil es oft sehr abstrakt ist. Sehr oft reden wir auch tatsächlich nicht konkret von Menschen, die es dann auch betrifft. An einem Beispiel zeige ich Ihnen jetzt noch einmal, wie absurd es ist, diesen Gebührenstopp nicht sofort umzusetzen. Stellen wir uns eine Pflegeassistentin vor, die 30 Stunden pro Woche arbeitet. Sie ist alleinerziehende Mutter von einer Tochter. Sie ist berufstätig, arbeitet 30 Stunden pro Woche, daher geht ihre Tochter in einen Hort. Gehen wir von einem Kollektivvertrag für eine Pflegeassistentin aus dem Jahr 2022 aus, dann beträgt ihr Monatseinkommen 1.505 EUR netto. Wenn wir jetzt noch die Familienbeihilfe dazurechnen, liegt sie dann mit ihrem Einkommen von in Summe 1.889 EUR über der Freibetragsgrenze für die Essenskostenbefreiung. Jetzt rechnen wir die monatlichen Kosten inklusive der Gebührenerhöhung von 10,5 Prozent dazu: Die Kosten für das Schulessen einerseits und die Betreuung im Hort andererseits, weil das ja 2 Beträge sind, die jetzt durch die Gebührenerhöhung steigen. Die machen dann in Summe pro Jahr 1.449 EUR aus. (VBgm Christoph Wiederkehr, MA: Das stimmt ja nicht! Die Rechnung ist falsch! - GR Ing. Christian Meidlinger: Das müssen Sie ...) Wenn wir jetzt das Monatseinkommen nehmen und die Kosten für das Schulessen und den Hort abziehen, bleiben dieser Person 1.757 EUR pro Monat über.

 

Wenn wir uns jetzt die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle anschauen: Die Armutsgefährdungsgrenze der Armutskonferenz liegt für eine erwachsene Person, für eine Frau mit einem Kind, bei 1.810 EUR. Die alleinerziehende Mutter kommt also mit diesen erhöhten Kosten für das Schulessen und den Hort unter die Armutsgefährdungsschwelle. Das ist wirklich ein Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN. - VBgm Christoph Wiederkehr, MA: Sie zahlt den Betreuungsbeitrag nicht!) Es passiert mit dieser Gebührenerhöhung nämlich genau das: Sie verschärfen als Stadtregierung das Problem der Armut und Armutsgefährdung einfach weiter.

 

Ein weiterer Punkt: Sie reden über Chancengleichheit im Bildungssystem, eines Ihrer liebsten Themen. Ein Gebührenstopp beim Mittagessen sorgt natürlich auch dafür, dass es echte Chancengleichheit im Bildungssystem und leistbare Bildung für alle Kinder in dieser Stadt gibt.

 

Dritter wesentlicher Punkt: Natürlich hat der Gebührenstopp auch einen gesamtwirtschaftlichen Aspekt, nämlich einen inflationsdämpfenden Aspekt. Das sagen alle ExpertInnen. Denken Sie an die Forderungen von WIFO-Chef Felbermayr, denken Sie an die Forderung von Fiskalratschef Badelt, die beide gesagt haben, es wäre in der jetzigen Situation sinnvoll, die Inflationsanpassung bei den öffentlichen Dienstleistungen und bei den Gebühren auf null zu stellen, um die Inflation zu dämpfen! Gebührenstopp bedeutet also auch Inflationsdämpfung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Abschließend vielleicht zurück zum Essen, weil es eben immer ein bisschen so ist, als könnten wir das irgendwann einmal diskutieren: Beim Essen und beim Gratisessen geht es natürlich nicht nur darum, irgendein Gratismittagessen zur Verfügung zu stellen. Natürlich geht es auch darum, Essen zur Verfügung zu stellen, das regional ist, das frisch ist und das biologisch ist. Im besten Fall - das ist tatsächlich ein Thema, das wir komplett auslassen - holen wir die Essenszubereitung an die Schulen, kochen gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern und bereiten die Schülerinnen und Schüler so auch darauf vor, was es heißt, gesund und regional zu kochen, und geben ihnen sozusagen all das mit.

 

Man könnte die Stadtlandwirtschaft in so ein großes Programm mit Gratismittagessen einbeziehen, man könnte soziale Unternehmen einbeziehen, man könnte regionale Unternehmen einbeziehen. Mit ein bisschen Phantasie und Innovationskraft kann so ein Gratismittagessen eine wirklich umfassende Maßnahme für die Gesundheit, für die Bildungschancen, aber auch für das Thema regionale Lebensmittel für unsere Kinder sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN sowie von GR Dr. Markus Wölbitsch-Milan, MIM und GR Peter L. Eppinger.)

 

Ganz abschließend: Wir wollen in einer Stadt leben, wo alle Kinder wissen, wie gutes Essen schmeckt, woher es kommt und wie man es zubereiten kann, einer Stadt, in der kein einziges Kind und keine einzige Familie in Sorge leben muss, ob sie sich das Schulessen noch leisten können oder nicht. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, und das ist eine Frage, die auch tatsächlich keinen Aufschub duldet.

 

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