Gemeinderat, 27. Sitzung vom 23.09.2022, Wörtliches Protokoll - Seite 12 von 36
hängigkeit von Öl und Gas in Wien rauszukommen, eine Entzugskur, um im Bild zu bleiben. Eigentlich dürfte man sich erwarten, dass da jetzt entschlossen und mit voller Kraft an der Beendigung diese Abhängigkeit gearbeitet wird. So wie in den 1920er Jahren der Wiener Gemeindebau aus dem Boden gestampft wurde, müssen wir in den 2020er Jahren die Wiener Energieunabhängigkeit erkämpfen. Was die Klima- und Energieabhängigkeitskrise im 21. Jahrhundert ist, war die Wohnungskrise Anfang des 20. Jahrhunderts, ein Problem, das viel zu lange, über Jahrzehnte ignoriert wurde, und ein Problem, das am Ende nur durch entschlossenes Handeln und bis dahin völlig unvorstellbare Anstrengungen gelöst werden konnte.
Die UkrainerInnen, sehr geehrte Damen und Herren, müssen ihre Unabhängigkeit mit Waffen verteidigen. Wir sind in einer vergleichsweise ungleich privilegierteren Situation. Wir müssen unseren Unabhängigkeitskampf mit Werkzeug von InstallateurInnen und BauarbeiterInnen führen, nur machen müssen wir es. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Eigentlich müsste jetzt gerade die ganze Stadt daran arbeiten, dass wir den Gashahn, dass wir die Ölpipeline sobald wie möglich abdrehen können, dass wir die Abhängigkeit von Öl und Gas so schnell wie möglich beseitigen. Es ist gefährlich, dass wir das nicht schon längst tun. Wir sind in der entscheidenden Frage, bei der Bekämpfung der Teuerung viel zu langsam, sehr geehrte Damen und Herren, viel zu langsam. Es reicht nicht, wenn wir uns im November gemütlich zu einer Bauordnungsenquete zusammensetzen und eine Bauordnungsnovelle erarbeiten, die dann irgendwann 2023 vielleicht kommen soll. Es braucht jetzt einen Plan, wie die Abhängigkeit von hunderttausenden WienerInnen von einer Gastherme möglichst schnell beseitigt werden kann (GR Wolfgang Irschik: Wie machen wir es?!), wie wir die Dekarbonisierung unserer Fernwärme noch einmal massiv beschleunigen, wie wir auf Wärmepumpen umstellen, auf Anergienetze, auf Unabhängigkeitsenergien. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Das Rote Wien hat uns in den 1920er Jahren vorgezeigt, wie so etwas geht. Der Ukraine-Krieg ist ein letzter Weckruf, jetzt endlich die Ärmel hochzukrempeln und sofort alles zu tun, um aus dieser Abhängigkeit rauszukommen, sonst droht uns - und das muss man auch ganz klar sagen - der kalte Entzug. Jede und jeder, die sich mit Abhängigkeitserkrankungen auskennen, wissen, was das heißt: unerträgliches Leid und Schmerzen. Jeder Tag, an dem wir weiter nicht verstehen, dass jetzt Ausstieg aus Öl und Gas angesagt ist, und zwar schnell, und zwar sehr schnell, ist ein Tag, an dem Putin versuchen kann, uns zu erpressen, und das müssen wir mit aller Kraft verhindern, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
So wie jede Gemeindewohnung die Wohnungsnot ein Stück gelindert hat, macht uns jede Gasheizung, die durch eine Wärmepumpe ersetzt wird, weniger erpressbar, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist ein schöner Gedanke, arbeiten wir daran. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Wir alle wissen, dass die Teuerung im Kern eine Teuerung ist, die durch unsere Abhängigkeit von Öl und Gas verschuldet ist, also tun wir etwas dagegen. Symptombekämpfung ist wichtig und richtig, damit keine bleibenden Schäden an unserer Gesellschaft entstehen, aber wir müssen auch an die Wurzel des Problems. Nur Symptombekämpfung allein ist zu wenig, sehr geehrte Damen und Herren.
Haben wir uns als GRÜNE in dieser Frage während Rot-Grün konsequent genug durchgesetzt? - Nein, sonst wären wir schon weiter. Wir alle in diesem Haus haben nicht einmal annähernd die notwendige Konsequenz an den Tag gelegt, um die Abhängigkeit von Öl und Gas zu beenden und damit das Klima und unsere Freiheit zu schützen. Hätte man das schon früher wissen können? - Ja, hätte man. Bringt uns das jetzt etwas? - Eher nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPÖ, bevor sie jetzt dann wieder einmal damit kommen, was der Bund alles machen müsste, bevor Sie wieder Ausreden suchen, warum just Sie keine Verantwortung für diese Situation trifft: Fragen Sie sich doch einmal, ob ein Gemeindebau stehen würde, wenn man im Roten Wien der 1920er Jahre auch so gedacht hätte. Fragen Sie sich, ob ein Sozialist oder eine Sozialistin dieser Zeit eine solche Haltung auch nur im Ansatz geduldet hätte. Fragen Sie sich, ob das Wohnungsproblem im 20. Jahrhundert gelöst worden wäre, wenn die Sozialistische Partei in Wien damals in einer ähnlichen, sich selbst als Opfer inszenierenden Lethargie versunken wäre.
Wir brauchen jetzt alle Kräfte, es gibt so viele Fragen zu klären. Wie bringen wir Projekte wie das Anergienetz in der Geblergasse in die Breite? Das wäre eine Aufgabe für die Wien Energie, hier Projekte im großen Stil voranzuschieben. Wie dekarbonisieren wir den Gemeindebau? Wiener Wohnen muss den Gemeindebau vom Nachzügler zum Vorbild machen. Dafür braucht es jetzt endlich einen Plan. Wie beschleunigen wir die Dekarbonisierung der Fernwärme, wie bringen wir Solaranlagen auf jedes Dach in Wien? Diese Fragen müssen wir jetzt beantworten, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Die Teuerung lindern, das können und müssen wir natürlich machen. Die Teuerung bekämpfen, das können wir nur, indem wir uns von Öl und Gas befreien. Der Ausstieg aus Öl und Gas ist der Unabhängigkeitskampf, den wir jetzt führen müssen, sehr geehrte Damen und Herren.
Ein letzter Punkt noch: Ich halte es in diesem Zusammenhang für doppelt dumm, Projekte wie die Stadtautobahn weiterzuverfolgen. Erstens, weil uns die Stadtautobahn hunderte Millionen an Steuergeld auffrisst, die wir eigentlich für die Energieunabhängigkeit brauchen würden. Zweitens, weil der Bau der Stadtautobahn zur Überhitzung der Baukonjunktur beiträgt und damit die Teuerung noch befeuert. Drittens, weil es sich um ein Großprojekt handelt, das die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern fördert, statt sie zu reduzieren. Gleiches gilt im Übrigen für die Lobau-Autobahn - gut, dass wenigstens die gestoppt ist. (Beifall bei den GRÜNEN.)
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