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Gemeinderat, 22. Sitzung vom 27.04.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 49 von 73

 

14.13.46Es gelangt nunmehr Post 8 der Tagesordnung zur Verhandlung. Sie betrifft ein Förderangebot an den Verein Österreichischer Mieter- und Wohnungseigentümerbund, Landesgruppe Wien. Ich bitte den Herrn Berichterstatter, Herrn GR Dr. Stürzenbecher, die Verhandlungen einzuleiten.

 

14.14.02

Berichterstatter GR Dr. Kurt Stürzenbecher: Ich ersuche um Zustimmung zum vorliegenden Geschäftsstück.

 

Vorsitzender GR Mag. Thomas Reindl: Ich eröffne die Debatte. Zum Wort gemeldet ist GRin Spielmann, ich erteile es ihr.

 

14.14.22

GRin Viktoria Spielmann, BA (GRÜNE)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

 

Im vorliegenden Poststück geht es um eine Subvention für eine VermieterInnenorganisation. Ich hingegen möchte heute eher über ein anderes Thema reden beziehungsweise werden wir zu dem Poststück dann später auch noch was sagen. Aber an dieser Stelle möchte ich gern zwei Anträge einbringen und vorstellen, weil ab 2.5., wie Sie ja vielleicht wissen, sehr viele Notquartiere für wohnungslose Menschen geschlossen werden und deswegen auch die Dringlichkeit und auch unter diesem Tagesordnungspunkt. Denn wir müssen nicht nur über VermieterInnen sprechen, sondern auch über MieterInnen und über ihre Situation, und vor allen Dingen auch über die Verfehlungen am neoliberalen Wohnungsmarkt und was die auch produzieren.

 

Ja, heute möchte ich über Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit sprechen, denn vor Kurzem wurde der Amnesty-International-Bericht präsentiert. Ich weiß nicht, ob Sie den schon gesehen haben. Er lautet: „Wenn Wohnen ein Menschenrecht wäre, dann würde ich so nicht wohnen würden beim Zugang bei der Wohnungslosenhilfe in Österreich.“ Da stehen doch einige wichtige Dinge und Punkte drinnen, die nicht nur für Österreich wichtig sind, sondern eben auch für Wien, denn die Hälfte der obdachlosen und wohnungslosen Menschen befindet sich ja in den Städten und vor allen Dingen auch in Wien.

 

Ja, ich möchte ganz kurz von Nina und Robert erzählen. Nina und Robert sind zwei Personen, die Führungen bei der Shades Tours machen. Ich weiß nicht, ob Sie die Shades Tour kennen. Das ist eine Tour, die zum Thema Armut und Obdachlosigkeit durch den 1. Bezirk gemacht wird, und Nina und Robert haben diese Führung zu diesem Thema gehalten. Und ich muss wirklich sagen, dass mich dieses Aufeinandertreffen sehr, sehr berührt hat und auch sehr betroffen gemacht hat, weil diese zwei Personen selbst obdachlos waren, beide übrigens selbst drogenabhängig. Sie haben es wirklich aus eigener Kraft, natürlich mit viel Unterstützung, aber aus eigener Kraft wieder rausgeschafft. Durch diese Begegnung ist mir mal wieder sehr klar geworden, dass Wohnungslosigkeit eben kein individuelles Schuldversagen ist, sondern dass Wohnungslosigkeit ganz oft ein Produkt von mehrfachem Systemversagen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hab‘ dort keine schwachen Menschen getroffen und kennen gelernt, ganz im Gegenteil. Ich glaub‘, dass ich noch nie so starke Menschen getroffen hab‘. Menschen, die trotz sozialer Probleme, trotz Armut, trotz Beschämung, trotz Drogenabhängigkeit und trotz Ausgrenzung es geschafft haben, den Weg in ein selbstbestimmtes Leben wieder zu finden. Das ist wirklich sehr eindrucksvoll und ihre wichtigste Message war: Vorverurteilt obdachlose Menschen nicht, grenzt sie nicht aus und helft ihnen dabei, sich selbst zu helfen! Ich denke, das muss der Fokus der Sozialpolitik und der Wohnungslosenhilfe in Wien sein.

 

Ja, Wohnungslosigkeit wird gerne als individuelles Versagen Einzelner dargestellt, wie vorhin schon gesagt. So ist es freilich nicht. Die strukturellen Gründe der Obdach- und Wohnungslosigkeit liegen ja auf der Hand: Einerseits das Fehlen von leistbarem Wohnraum, von Wohnraum, der von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wird, und die stetig steigenden Wohnungskosten am privaten Wohnungsmarkt. Und andererseits durch sozioökonomische Probleme, denn gerade armutsgefährdete Personen laufen besonders oft Gefahr, obdachlos zu werden.

 

Ja, an dieser Stelle möchte ich ein paar Aspekte von dem Amnesty-International-Bericht rausgreifen, weil er doch wirklich sehr relevant ist für Wien. Dort ist festgeschrieben, das Recht auf angemessenes Wohnen ist sowohl im Art. 25 der Erklärung der Menschenrechte als auch im Art. 11 des UN-Sozialpakts verankert wie auch ein in der Sozialcharta der EU festgehaltenes Grund- und Menschenrecht. Das ist immer wieder wichtig, zu betonen, weil leider aus dem Menschenrecht Wohnen sehr oft Kapital geschlagen wird. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es Wohnungslosigkeit gibt. Es ist dennoch ein Verbrechen.

 

Ja, laut Statistik Austria gab es 2019 über 22.000 Personen, die als obdach- und wohnungslos registriert waren, übrigens 31 Prozent davon Frauen. Laut FSW waren im Jahr 2020 in Wien 12.550 obdachlose Menschen. Jetzt haben wir natürlich die Zahlen, die Zahlen stehen aber quasi immer nur für eine Metaebene. Dahinter stehen ganz, ganz viele Geschichten von Menschen. Aber diese Angaben sind natürlich auch unvollständig, weil die tatsächlichen Zahlen zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit fehlen, vor allem, weil eben die Formen der Wohnungslosigkeit, von der eben speziell Frauen sehr stark betroffen sind, mit den verwendeten statistischen Methoden ja nicht erfasst werden können. Die Gründe für die Unvollständigkeit sind unter anderem, dass nicht alle Menschen, die von Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit betroffen sind, sich bei ihrem Aufenthalt bei einer Einrichtung in der Wohnungslosenhilfe melden oder bei der Gemeinde anmelden. Und auch diejenigen, die keine Angebote der Wohnungslosenhilfe nützen, sondern bei FreundInnen, Angehörigen oder anderswo unterkommen, lassen sich statistisch nicht wirklich erfassen. Wir sprechen hier eben von der verdeckten Wohnungslosigkeit. Daher ist davon auszugehen, dass es eine sehr, sehr hohe Dunkelziffer gibt

 

Das kreidet der Amnesty-International-Bericht auch an. Deswegen ist es für uns besonders wichtig, dass wir heute diesen Antrag einbringen. Zum einen, dass es wieder eine Obdachlosenzählung geben soll, und auf der

 

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