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Gemeinderat, 19. Sitzung vom 26.01.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 66 von 114

 

Vorsitzende GRin Dr. Jennifer Kickert: Vielen Dank für dieses Timing, ich unterbreche jetzt die Verhandlung, die Sitzung und gehe zum Verlangen über.

 

16.00.01Wir kommen also jetzt zum Verlangen, dass die von GR Stark, GRin Sequenz, GR Öztas, GR Kunrath, GR Arsenovic und GR Ellensohn eingebrachte, an den Herrn Bürgermeister gerichtete Dringliche Anfrage betreffend „Der Wiener Klima-Fahrplan oder das Klima-Märchenbuch des Herrn Bürgermeisters“ vom Fragesteller mündlich begründet werde und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfinde.

 

Gemäß § 37 Abs. 5 der Geschäftsordnung hat auf Verlangen vor der mündlichen Begründung die Verlesung der Dringlichen Anfrage zu erfolgen. Ich bitte daher die Schriftführerin um Verlesung dieser Dringlichen Anfrage.

 

16.00.35

Schriftführerin GRin Margarete Kriz-Zwittkovits: Ich darf mit der Verlesung beginnen: „Dringliche Anfrage der GemeinderätInnen Kilian Stark, Mag. Heidemarie Sequenz, Ömer Öztas, Nikolaus Kunrath, Hans Arsenovic und David Ellensohn an den Herrn Bürgermeister Dr. Michael Ludwig gemäß § 16 WStV, eingebracht in der Sitzung des Wiener Gemeinderates am 26. Jänner 2022 betreffend ‚Der Wiener Klima-Fahrplan oder das Klima-Märchenbuch des Herrn Bürgermeisters'.

 

Begründung: Das Ziel-Märchenbuch. Bgm Michael Ludwig hat einen neuen Begriff in die Wiener Politik eingeführt und dabei auf ein Büchlein in seiner Hand verwiesen.

 

Worum geht's: Es geht um das wichtigste Thema des 21. Jahrhunderts, es geht um die drohende Klimakatastrophe, die wir gemeinsam meistern können. Können und Wollen wird nicht reichen. Der Schlüssel ist das Tun, dazu braucht es mutige Politik und mutige PolitikerInnen.

 

Was macht Wien: Schreibt schöne Geschichten, die wir alle gerne hören. Der Bürgermeister weiß, dass das nicht reicht, und erahnt die Kritik: Schöne Texte, nichts dahinter, bei Mobilität nicht einmal das. Und bevor ihn jemand als Märchenonkel bezeichnet, nennt er den Klimafahrplan der Stadt Wien ‚kein Ziel-Märchenbuch'.

 

Früher einmal haben Erwachsene den Kindern Märchen erzählt. Heute erklären Kinder und Jugendliche den Erwachsenen die Klimakrise, und Erwachsene erzählen sich gegenseitig Märchen.

 

Gut, dann der Fakten-Check für das Märchenbuch, das keines sein will, Fakten-Check für sozialdemokratische Öko-Autobahnprojekte. Bei der Pressekonferenz letzten Freitag lief der Herr Bürgermeister unrund. Die ersten drei Fragen der JournalistInnen: Wie gehen sich Ihre Ziele von CO2-Reduktion mit dem Wunsch nach einer 4 Milliarden EUR teuren Lobau-Autobahn aus, wie soll das mit der 500 Millionen EUR Stadtautobahn funktionieren, und können Sie bitte die geplante Reduktion von CO2 auch mit Ziffern, Zahlen, Fakten unterlegen? Die Fragen konnte er nicht beantworten, wir kennen das ja alle aus dem Gemeinderat. Vielleicht kam die spontane Frage nach konkreten Zahlen überraschend bei einer Pressekonferenz zum Wiener Klimaschutz. Dieses Mal gibt es die Fragen zwei Tage vor der Sitzung des Wiener Gemeinderates, schriftlich, und daher hat der Herr Bürgermeister sicher in Erfahrung bringen können, wie es denn mit den Zielen rund um CO2-Reduzierung steht.

 

Ein Mal mehr zeigt sich: Wien hat eine exzellente BeamtInnenschaft und externe ExpertInnen, die wissen, wie man die formulierten Ziele erreichen kann. Bisher fehlt es jedoch vor allem im Bereich der Mobilität, die mittlerweile über 42 Prozent der Wiener CO2-Emissionen ausmacht, an politischem Leadership, um die Ziele von der Märchenwelt in die Realität zu bringen. Eine Klimastrategie, die für den größten und immer noch wachsenden Sektor keine Maßnahmen festlegt, um die Ziele zu erreichen, ist nicht mehr als Greenwashing, eine Show für die Medien ohne die nötige Ernsthaftigkeit.

 

Die Absage des 4 Milliarden EUR teuren Klimazerstörungsprojektes Lobau-Tunnel durch die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler hat den roten Teil der Stadtregierung in einen Ausnahmezustand versetzt. Der offensichtliche Schock hat zu Klagsbriefen durch einen SPÖ-Anwalt geführt, der sogar 13-Jährige damit eingedeckt hat. In Chat-Gruppen wurde zu Gewalt gegen die AktivistInnen in den Klimacamps aufgerufen, der Holzturm im Camp fiel einem Brandanschlag zum Opfer. Ein Glück, dass alle acht Jugendlichen den Flammen unverletzt entkommen sind. Während die Polizei von einem Brandanschlag ausgeht und ermittelt, redet die Wiener Stadtregierung von einem mutmaßlichen Brandanschlag auf ein Holzhaus.

 

Jugendliche mit Klagen mundtot machen, WissenschafterInnen ihre Expertise absprechen und Märchenbücher erstellen, denen keine Taten folgen, so wird Wien keinen Beitrag gegen die Klimakrise leisten.

 

Die SLAPP-Klagsdrohungen sind größtenteils weiterhin aufrecht. Werden die zurückgezogen und wird es jetzt endlich ernsthafte Gespräche über eine Redimensionierung der Stadtautobahn ‚Stadtstraße' - das wäre das Mindeste - geben? In ihrem Ultimatumgespräch am Wochenende haben sich die Stadtverantwortlichen sicher ja keinen Millimeter in Richtung Klimaschutz bewegt: keine Alternativenprüfung, keine Redimensionierung, kein Klima-Check, kein Entgegenkommen bei den Klagsdrohungen.

 

Gesprächsbereitschaft geht anders. Anstatt die Absage des Lobau-Tunnels als Chance für zukunftsträchtige Lösungen zu nutzen, wird der Öffi-Ausbau in der Donaustadt weiter verzögert und werden erneut Klagen zur Durchsetzung des Klimakillers Lobau-Autobahn angekündigt. Das ist ein Schlag ins Gesicht junger und zukünftiger Generationen.

 

Wo bleibt der Klima-Check für Großprojekte in Wien? Wieso kann das die Bundesregierung, und Wien steckt den Kopf in den Sand?

 

Warum zählen wissenschaftliche Erkenntnisse in der Klimafrage, der entscheidenden ökologischen und sozialen Frage dieses Jahrhunderts, für die Wiener Stadtregierung nicht?

 

Die Stadt Wien und die Wiener Stadtregierung sind jetzt aufgefordert, unter den neuen Rahmenbedingungen einen Weg einzuschlagen, der Klimaschutz priorisiert und die Zivilgesellschaft ernst nimmt.

 

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