«  1  »

 

Gemeinderat, 11. Sitzung vom 23.06.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 71 von 109

 

in einer Presseaussendung ziemlich genau vor einem Jahr, als die NEOS einen Antrag eingebracht haben, gesagt: „Mein Wien ist weltoffen und sieht nicht weg, wenn es Leid gibt.“

 

Nun besteht die Möglichkeit, ein humanitäres Zeichen zu setzen, wenn wir als Stadt Wien in diesem Zusammenhang entsprechende Unterstützung geben. Ich möchte dazu nur eine traurige Tatsache in Erinnerung bringen: Vor einem Monat oder zwei Monaten - ich kann mich jetzt nicht mehr ganz genau erinnern - haben wir einen Mehrparteienantrag betreffend Ahmed Samir Abdelhay Ali gestellt, dass dieser in Wien wieder aufgenommen wird. Das wäre auch eine Chance gewesen, als Brücke zu agieren. Er ist nun vor einigen Tagen zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das sind die Konsequenzen, wenn wir uns zu wenig um solche Angelegenheiten kümmern. Dazu werden wir später noch einmal sprechen. - Danke.

 

Vorsitzende GRin Dipl.-Ing. Elisabeth Olischar, BSc: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet hat sich Frau GRin Mag. Hungerländer. Ich erteile ihr das Wort.

 

16.40.48

GRin Mag. Caroline Hungerländer (ÖVP)|: Frau Vorsitzende! Geschätzte Damen und Herren! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen!

 

Die letzten Tage wurde etwas recht Kurioses diskutiert, nämlich das Staatsbürgerschaftsgesetz. Man muss sagen: Das ist ein gewisser Anachronismus. Warum Anachronismus? - Normalerweise wird diese Debatte ja immer vor Wahlen geführt. Das ist dann ein recht orchestrierter Vorgang. Von einer der linken Parteien, SPÖ, NEOS oder GRÜNEN, heißt es dann: Ein Drittel der Wiener ist nicht wahlberechtigt. Dann kommt die „Pass Egal Wahl“. Dabei haben die SPÖ und die GRÜNEN kommunistische Ergebnisse, und sie bringen wiederum ins Spiel, dass es ein Ausländerwahlrecht geben muss. Dann sagen Vertreter der FPÖ und wir: Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut, das darf nicht einfach so hergegeben werden. Es folgt eine große Debatte. Dann kommt die Wahl. Und dann ist das Thema wieder abgeschlossen.

 

Jetzt steht gerade keine Wahl an, und dafür, dass man irgendwelche Themen in den Topf wirft, um das Sommerloch zu füllen, ist es noch ein bisschen zu früh. Daher frage ich mich: Warum kommt die SPÖ jetzt damit? - Ich denke, dass es ihnen passiert ist. Das ist ja nichts Unübliches in der Politik: Irgendjemand geht zu früh hinaus, irgendwer verwechselt etwas oder verplaudert sich, oder irgendjemand möchte den kommenden SPÖ-Parteitag torpedieren. Und auf einmal landet dieser völlig unausgegorene Vorschlag in den Medien.

 

Ein Indiz dafür, dass ihnen das passiert ist, ist die Widersprüchlichkeit, wie die SPÖ das kommuniziert. Unlängst war ihr Herr stellvertretender Klubobmann Leichtfried „Im Zentrum“ und hat dort etwas Bemerkenswertes gesagt. Er hat eine politische Copyright-Verletzung begangen, wenn man das so sagen darf. Er hat nämlich gesagt: Der SPÖ-Antrag steht für Integration durch Leistung. - Der geschulte Politikbeobachter weiß: Die Bezeichnung Integration durch Leistung kommt vom ehemaligen Integrationsstaatssekretär Kurz. Er hat 2017 das Integrationsgesetz initiiert, das ein Meilenstein in der österreichischen Integrationspolitik ist, weil es erstmals Verbindlichkeiten festlegt.

 

Integration durch Leistung bedeutet: Es wird eine Leistung vorgeschrieben beziehungsweise eingefordert. Wird diese Leistung nicht erbracht, dann folgen Sanktionen. - Herr Kollege Leichtfried scheint das falsch verstanden zu haben, denn de facto enthält der SPÖ-Vorschlag keine einzige Anforderungsverschärfung. Ganz im Gegenteil! (Zwischenruf.) Ja. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Staatsbürgerschaftsprüfung, die jetzt erforderlich ist, soll durch einen Lehrgang ersetzt werden. Aus der Wiener Integrationspolitik wissen wir, was Lehrgang bedeutet: Lehrgang bedeutet zusammenzusitzen, Lehrgang bedeutet das, was die SPÖ als Leistungsprinzip versteht, nämlich einen Sitzkreis statt einer Prüfung. Nur keine Messbarkeit einführen, nur keine Konsequenzen! - Das ist offensichtlich das Leistungsprinzip der SPÖ.

 

Deswegen darf ich Sie ersuchen, Herrn Kollegen Leichtfried eventuell auszurichten, dass er, wenn er sich schon der Worte der ÖVP bedient, dann doch bitte auch die Inhalte mitnehmen möge. Das können Sie in Wahrheit in Wien am allereinfachsten machen: Wenn Sie wirklich zu Integration durch Leistung stehen, dann setzen Sie das doch in Wien um, meine Damen und Herren! Dann führen Sie doch in Wien Verbindlichkeiten, Messbarkeiten und Sanktionen ein. Dann können wir nämlich über Leistung im Integrationsprozess sprechen.

 

Anders kommuniziert hat das die Nationalratsabgeordnete Yilmaz. Ich hoffe ...

 

Vorsitzende GRin Dipl.-Ing. Elisabeth Olischar, BSc (unterbrechend): Ich darf Sie kurz unterbrechen, Frau Gemeinderätin, und bitte Sie, auch einen Bezug zum Poststück herzustellen.

 

GRin Mag. Caroline Hungerländer (fortsetzend): Ich bringe einen Antrag ein, wenn es erlaubt ist. Und dann rede ich zu den Poststücken.

 

Abg. Yilmaz hat nämlich gesagt, dass die Staatsbürgerschaft der Motor der Integration sein soll. Da frage ich mich: Woher nehmen Sie denn die Evidenz, dass Integrationsprozesse schneller vor sich gehen, wenn man die Staatsbürgerschaft hat, meine Damen und Herren?

 

Wir sehen es umgekehrt. Wir sagen: Es muss zuerst ein Integrationsprozess geschehen. Warum? - Damit die Menschen lernen, sich mit ihrem neuen Heimatland zu identifizieren. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht, und das darf am Ende des Tages auch abgeprüft werden. Deswegen sagen wir ganz klar und deutlich: Die Staatsbürgerschaft ist der Abschluss und die Krönung eines erfolgreichen Integrationsprozesses, aber ganz sicher nicht dessen Anfang.

 

Ein zweiter Stolperstein, den ich unbedingt erwähnen möchte, ist das Geburtsortprinzip. Geburtsortprinzip bedeutet nach dem Vorschlag der SPÖ, dass ein Kind, das in Österreich geboren wird und dessen Eltern fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufhältig sind, automatisch die Staatsbürgerschaft bekommt. - Wir müssen uns überlegen, was „rechtmäßig in Österreich aufhältig“ bedeutet. Das bedeutet, dass man beispielsweise den

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular