Gemeinderat, 48. Sitzung vom 27.02.2019, Wörtliches Protokoll - Seite 29 von 100
GR Mag. Christoph Chorherr (GRÜNE): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Vorsitzende!
Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut auf eine Rede geistig vorbereitet. Wie Sie wissen, ist das heute meine letzte Rede nach 27 Jahren hier im Gemeinderat. Weil mich viele Leute gefragt haben, wie es mir so geht, habe ich gesagt: Zu zwei Dritteln freue ich mich auf die Türen, die sich ab übermorgen öffnen werden, aber zu einem Drittel ist auch Wehmut dabei. - Aber ich werde Sie mit Wehmut nicht belästigen.
Ich habe mir gedacht: Was ist ein vernünftiger Einstieg? Und dann habe ich kurz überlegt: 1991. Was war 1991? Und vor allem: Was war 1991 nicht?
Also: Es gab keine Seestadt, es gab keinen Nordbahnhof, beim Westbahnhof ist keine U3 vorbeigefahren, es ist keine U2 in die Donaustadt oder auch nur in den 2. Bezirk gefahren. Vor mir - ich freue mich übrigens, dass auch der Herr Bürgermeister anwesend ist - saßen, wenn ich ab 1991 reden durfte, damals hier Bgm Zilk und daneben Finanzstadtrat Mayr, im Übrigen ein wirklich beachtlicher Mann, ein beachtlicher Finanzstadtrat, von dem ich viel gelernt habe.
Aber das fast Wesentlichste ist, dass das eine vergangene Zeit ist - die ich überhaupt nicht glorifiziere -: Es gab kein Google, es gab kein Facebook, ich hatte - ich habe lange nachgedacht, wann ich mein erstes Handy bekam - einen Pager. Also für die Jüngeren: Der Pager war der, der gepiepst hat, und dann kam eine Nummer, und die hat man angerufen, und man ist sich dabei wahnsinnig technologieaffin vorgekommen.
Wenn ich mich kurz erinnere: Der amerikanische Präsident war damals der vor Bill Clinton, das war der ältere Bush. Also es war eine lange Zeit.
Jetzt möchte ich die Flughöhe ein bisschen halten. Es folgen also keine Detailprojekte und es ist auch kein wehmütiger Rückblick, aber es geht in gewisser Weise schon darum, vor einem Gremium, das ich geliebt habe - Kommunalpolitiker in Wien zu sein, ist ein toller Beruf, eine tolle Berufung -, auch sozusagen Rechenschaft über die wesentlichen Dinge abzulegen und irgendwie zusammenzufassen, was mir wirklich wichtig war.
Ich fange jetzt von hinten an. Die letzten acht Jahre in Regierungsfunktion, insbesondere in der Stadtplanung, das war schon etwas Besonderes. Und jetzt gehe ich wieder ins Jahr 1991, das war nämlich das Jahr, in dem sich die Wiener Bevölkerung gedreht hat. Man muss sich vorstellen: Von 1914 bis 1989/1990/1991 war ein permanenter Rückgang der Bevölkerung zu verzeichnen, ich glaube, von 2,2 auf 1,4 Millionen. Wien schrumpft - das haben viele noch immer irgendwie im Kopf: das alte, schrumpfende Wien -, und plötzlich ist etwas passiert, was im gesamten europäischen Maßstab passiert ist: Städte sind hochattraktiv geworden. Sie sind es bis heute. Gegenüber dem Zeitpunkt, als ich hier angelobt wurde, hat Wien heute 350.000 Menschen mehr, und auch für die Zukunft schaut es so aus, als ob Wien weiter wachsen wird. Und in dieser Phase Stadtplanung mitgestalten zu dürfen, Projekte entwickeln zu dürfen, empfinde ich als ganz großes Privileg, für das ich sehr dankbar bin.
Ich bleibe jetzt sozusagen bei den Prinzipien. Ich werde mich dann ohnedies bei einigen wenigen bedanken, nämlich bei einer Landesversammlung: Die GRÜNEN haben mich sechs Mal gewählt, viele aus Überzeugung, manche weniger - das ist eben die Politik -, aber ich bin den GRÜNEN sehr dankbar. Sechs Mal waren es, und ein Mal stand als Überschrift ein Satz, der mich beseelt - wenn man das in einer Abschiedsrede sagen darf -, der gelautet hat oder noch immer lautet: „Schärfer als die schärfste Kritik ist die konkrete Alternative.“ - also vorzuzeigen, auszuprobieren, wie es geht. Und die Stadt ist der Ort, wo man Dinge ausprobieren kann. Deswegen kommen ja auch so viele in die Stadt, und - ohne jetzt das Land abzuwerten - die Stadt ist groß genug, dass es noch ein paar Verrückte gibt, die so ähnlich sind wie man selbst. Ab einer bestimmten Größe, irgendwo bei einer Million fängt es an, sind ganz viele Subkulturen - man sagt dazu abwertend „Blasen“ -, wo sich Menschen finden, gemeinsam etwas auf die Füße stellen, gemeinsam etwas entwickeln und diese Freiheit, die die Stadt immer geboten hat, nutzen können und nicht immer nur die scheelen Blicke der Nachbarn aushalten müssen.
Und für dieses Entwickeln von konkreten Projekten und dafür, zu sagen: Nun, was ist daran schlecht? Aber reden wir nicht darüber, was schlecht ist, sondern zeigen wir, wie es anders geht! Dafür danke ich auch vielen. Denn wenn man vieles ausprobiert, funktioniert natürlich nicht alles, es gehen auch einige Dinge schief. Ich kann gar nicht alle aufzählen. Von denjenigen, die schon länger im Haus sind, können sich ein paar an die erste Idee der Citybikes, eine grandiose Idee, die wir damals hatten, erinnern - übrigens ein System, das in Wien begonnen hat und weltweit mit einer guten Technologie funktioniert. Das erste war so das Wiener Modell, irgendwie wie das Billa-Wagerl, wo man 2 EUR reinstecken musste. Wir haben gesagt: Ach, das werden die Leute schon machen! - Das ist innerhalb von wenigen Wochen grandios gescheitert. Damals hat man noch, habe ich so das Gefühl, mehr scheitern dürfen. Wenn man nämlich etwas ausprobiert, dann geht auch etliches schief. Ja, und das ist auch die Stadt.
Vieles ist gelungen, vieles ist geblieben - ich werde noch die Möglichkeit haben, das nächste Woche mit einigen Freundinnen und Freunden und Bekannten ausführlicher zu diskutieren -, es wurden Dinge auf die Welt gebracht.
Ein Zweites ist: Was ich irgendwie als Aufgabe der Politik sehe, ist eben nicht, Angst zu machen, sondern Hoffnung zu unterstützen - nicht Hoffnung zu geben. Und was macht mir bis heute und bis morgen Freude am Gemeinderatsdasein? Denn viele fragen mich ja: Bist du schon halb weg? Und denen sage ich: Fragst du einen Marathonläufer bei Kilometer 42,1, ob er schon im Ziel ist? Da schnauft er am allermeisten. Also morgen um 24 Uhr ist es dann endgültig eine Zäsur.
Zum Schönsten dieses Berufes zähle ich, so viele interessante Wienerinnen und Wiener kennen lernen und mit ihnen etwas unternehmen zu dürfen, Räume zu finden, manchmal auch nur Menschen zusammenzubringen: Du, ich habe eine Idee, ich kenne da jemanden, der
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